Wenn das Haus in einer Gefahrenzone steht
Schäden am Eigenheim durch Naturereignisse verursachen schnell hohe Kosten. Wenn im schlimmsten Fall sogar eine Umsiedlung unumgänglich wird, genügt auch eine Gebäudeversicherung nicht.
Veröffentlicht am 11. April 2022 - 10:58 Uhr
Idyllisch und ruhig liegt das Dörfchen Brienz auf einem sonnigen Plateau hoch über dem Bündner Albulatal. Doch die Idylle trügt: Oberhalb des Dorfs rutscht ein Hang, von dem bis zu 22 Millionen Kubikmeter Erde, Geröll und Felsen losbrechen können. Das ist siebenmal so viel wie 2017 beim Bergsturz oberhalb des Bergeller Dorfs Bondo . Um bis zu 9 Meter pro Jahr bewegt sich das Anrissgebiet aktuell. Grund dafür ist vermutlich eine stark wasserhaltige Schicht tief im Boden.
Sensoren im Hang registrieren die Bewegungen und würden rechtzeitig einen Evakuationsalarm auslösen. Daher können die Brienzer bis auf weiteres im Dorf bleiben. Doch der Hang bedroht sie gleich doppelt: Die Rutschung bewegt auch den Boden unter dem Dorf. Aktuell rutscht Brienz 1,4 Meter pro Jahr talwärts. Das führt durch Senkungen zu Rissen an Gebäuden, von denen einige bereits nicht mehr genutzt werden können.
Eine derart grosse Bedrohung wie in Brienz ist ein Einzelfall. Aber auch andernorts in der Schweiz ist das Siedlungsgebiet durch Felsstürze, Hochwasser oder Lawinen gefährdet. In den letzten Jahrzehnten hat sich das Potenzial dafür teilweise verstärkt.
Einerseits führt der Klimawandel zum Auftauen von Permafrostböden, und Starkregenereignisse sind häufiger geworden. Andererseits hat sich das Siedlungsgebiet ausgedehnt – auch in Bereiche, wo unsere Urahnen nicht gebaut hätten, weil sie die Gefahren kannten. Gemäss dem Naturgefahren-Bericht des Bundesamts für Umwelt (Bafu) von 2016 ist über ein Fünftel der Bauzonen in der Schweiz von Naturereignissen bedroht. In diesen Zonen wohnen 1,8 Millionen Menschen und befinden sich 1,7 Millionen Arbeitsplätze.
«Viele wohnen seit Generationen hier. Es wäre äusserst schwer für sie, wegziehen zu müssen.»
Daniel Albertin, Präsident der Gemeinde Albula/Alvra
Hinter den nackten Zahlen stecken immer auch Schicksale. In Brienz sind rund 120 Einwohner betroffen. Ihnen droht im schlimmsten Fall die Umsiedlung. «Viele wohnen seit Generationen hier. Sie sind stark verwurzelt, und es wäre äusserst schwer für sie, wegziehen zu müssen», sagt Daniel Albertin, Präsident der Gemeinde Albula/Alvra, zu der Brienz gehört.
Die Umsiedlung ganzer Gebiete, wie sie in Brienz diskutiert wird, ist zum Glück die Ausnahme. «Das ist die allerletzte Option, wenn die Sicherheit der betroffenen Bevölkerung mit allen anderen Schutzmassnahmen nicht erreicht werden kann», sagt Roberto Loat, Naturgefahrenspezialist beim Bafu. Den letzten ähnlichen Fall stellt Weggis LU am Vierwaldstättersee dar. Dort wurden 2014 fünf Häuser für unbewohnbar erklärt, da der darüberliegende Hang nicht ausreichend gesichert werden konnte.
Finanzielle Risiken für Hausbesitzer
Naturgefahren bergen für die Besitzer der betroffenen Gebäude besondere finanzielle Risiken. Neben dem investierten Eigenkapital geht es auch um die Hypothekarschuld gegenüber der Bank. Die folgenden drei Fälle stehen dabei im Vordergrund:
- von Versicherungen nicht gedeckte Schäden durch Naturereignisse,
- der Wertverlust durch den Standort in einem betroffenen Gebiet und
- finanzielle Folgen durch eine behördlich angeordnete Umsiedlung.
Verschiedene Versicherungen springen bei Schäden durch Naturereignisse ein (siehe Box am Artikelende). Wichtigstes Element bildet die Gebäudeversicherung, die in den meisten Kantonen obligatorisch ist. «Eine solche Versicherung ergibt in jedem Fall auch dort Sinn, wo sie nicht vorgeschrieben ist. Denn damit ist man gegen die mitunter beträchtlichen Schäden gut abgesichert, und die auf der Liegenschaft lastende Hypothek ist gedeckt», sagt Marc Pittner, Leiter Bereich Finanzierung bei der Graubündner Kantonalbank (GKB) in Chur.
Hundertprozentigen Schutz bietet die Versicherung aber nicht. Einerseits sind Schäden am Umschwung damit nicht gedeckt, diese können aber separat versichert werden. Andererseits bezahlt die Versicherung zwar die Kosten für die Reparatur oder den Wiederaufbau eines Gebäudes, nicht aber die Miete einer Ersatzwohnung, die bis zur Wiederherstellung der beschädigten Liegenschaft und neben dem weiterlaufenden Hypothekarzins berappt werden muss. «Wird es dadurch finanziell eng, sollte man unbedingt das Gespräch mit seiner Hypothekarbank suchen. Diese kann zur Reduktion der finanziellen Belastung eine vorübergehende Aussetzung von Amortisationsverpflichtungen prüfen», sagt Marc Pittner.
Durch die Gebäudeversicherung nicht gedeckt sind auch Risse durch Senkungen infolge von Rutschungen, wie sie derzeit an den Häusern in Brienz entstehen. «Versichert sind nur plötzlich eintretende Ereignisse», sagt Alain Marti, Vizedirektor der Vereinigung Kantonaler Gebäudeversicherungen (VKG). Der Kanton Graubünden hat aufgrund der Lage in Brienz jedoch reagiert und 2019 die Deckung von Schäden durch Rutschungen in das kantonale Gebäudeversicherungsgesetz aufgenommen. Damit wurde den Brienzern eine Last von den Schultern genommen. Ausserhalb von Graubünden müssen Liegenschaftsbesitzer Rissschäden durch Rutschungen weiterhin selbst bezahlen.
An extremen Gefahrenlagen können Liegenschaften aufgrund drohender Naturgefahren teils massiv an Verkehrswert einbüssen. Ein Verkauf ist dann schwierig, oder Bauverbote verunmöglichen die Nutzung von Bauland. Doch solche Fälle sind die Ausnahme. «Wertreduktionen aufgrund drohender Naturgefahren beobachten wir zum Glück sehr selten», sagt Roberto Loat vom Bafu. Verkehrslärm etwa wirke sich hier viel gravierender aus.
Gering ist das Problem einer Entwertung aufgrund von Naturgefahren vor allem, weil solche Risiken in der Regel nicht über Nacht auftauchen und beim Kauf einer Liegenschaft meist schon bekannt sind – etwa dank eines Eintrags in den Gefahrenkarten. Diese zeigen, wo Naturereignisse wie Rutsche, Lawinen oder Hochwasser auftreten und welches Ausmass sie annehmen könnten. Keine Auskunft geben sie hingegen zu meteorologischen Gefahren wie Hagel oder Stürmen.
Ein Blick auf die Karten macht aber auch klar: Zwar drohen an vielen Orten – auch im Mittelland – diverse Gefahren. Richtig heikel wie in Brienz, wo sich Teile des Orts in der höchsten Gefahrenstufe befinden, ist es aber nur selten. Im Kanton Bern etwa gehört nur 1 Prozent der Siedlungsfläche zu den Zonen mit der höchsten Gefährdung. Trotzdem sollte man vor dem Kauf eines Gebäudes oder Baugrundstücks immer die Gefahrenkarten studieren oder sich beim örtlichen Bauamt informieren.
Stufen die Behörden ein Gebiet als unbewohnbar ein, kann das für die Besitzer der betroffenen Liegenschaften nicht nur den Zwangsumzug bedeuten, sondern auch diverse finanzielle Folgen nach sich ziehen. Die Hypothek liefe dann trotzdem weiter, das Grundstück hätte kaum Wert, und die Gebäudeversicherung würde nicht zahlen, da ja an der Immobilie noch kein Schaden entstanden ist. «In solchen Fällen findet sich aber meist ein gangbarer Weg», so Naturgefahrenexperte Loat vom Bafu.
Eine Lösung könnte wie folgt aussehen: Die Gebäudeversicherung kann in Einzelfällen den Wert eines Gebäudes auszahlen, auch wenn es noch nicht beschädigt wurde. Voraussetzung ist aber, dass ein Nutzungsverbot von den Behörden verfügt wurde und die Liegenschaft abgerissen wird. «Mit dem Geld aus der Versicherung kann man dann die Hypothek zurückzahlen oder andernorts ein neues Haus erstellen und den Kredit auf dieses übertragen», sagt Hypothekarexperte Pittner von der GKB. Das funktioniert aber nur, wenn die Hypothekarschuld den Gebäudeversicherungswert nicht übersteigt – ansonsten müsste man als Hausbesitzer drauflegen.
In abgelegenen Bergregionen, wo eine Umsiedlung wohl am ehesten zum Thema werden könnte, stimmt das Verhältnis von Land- und Gebäudewert gemäss Einschätzung von Fachleuten meist. Hier macht der Landanteil oft nicht mehr als 20 Prozent des gesamten Werts der Liegenschaft aus. Doch auch diese 20 Prozent stellen ein Problem dar.
Da die zwangsweise Umsiedlung einer Enteignung gleichkommt, springt der Kanton oder die Gemeinde ein. Entweder stellen sie kostenlos Ersatzgrundstücke zur Verfügung, oder sie entschädigen den Landwert. «Hier haben sich die Behörden bisher immer bemüht, eine tragbare Lösung zu finden, und würden das auch bei künftigen Fällen tun», sagt Roberto Loat vom Bafu. So könne sich etwa auch der Bund finanziell beteiligen.
Brienz hofft auf Drainagetunnel
Damit Umsiedlungen wirklich die letzte Lösung bleiben, investiert die Schweiz jährlich gegen 3 Milliarden Franken in Schutzbauten für Siedlungen und Verkehrswege.
Auf eine bauliche Lösung hofft man auch in Brienz. Aktuell laufen dort Arbeiten an einem Sondierstollen. Er soll zeigen, ob der Hang wie vermutet aufgrund einer wasserführenden Schicht rutscht und wie gross diese ist. Je nachdem könnte das Wasser abgeführt und so die Bewegung gestoppt werden.
Funktioniert hat das bereits einmal: Das Dorf Campo Vallemaggia im Tessin stand bis 1995 vor ähnlichen Problemen. Seit dort ein Drainagetunnel, durch den das Wasser abfliesst, 1,8 Kilometer in den Hang gebaut wurde, ist die Rutschung gestoppt und das Dorf gerettet.
Kommt es zu Schäden durch Naturereignisse oder Feuer, ist es wichtig, richtig abgesichert zu sein. Dazu gehören folgende Versicherungen:
Gebäudeversicherung
Deckt Schäden am Gebäude und an mit dem Gebäude fest verbundenen Anlagen (etwa Heizung, Solarpanels) durch Felssturz, Erdrutsch, Hochwasser oder Feuer. In allen Kantonen ausser GE, UR, SZ, TI, AI, VS und OW sind Liegenschaften obligatorisch bei der kantonalen Gebäudeversicherung versichert. In UR, SZ und OW ist die Versicherung Pflicht, wird aber bei einem privaten Anbieter abgeschlossen. In GE, TI, AI (Ausnahme Bezirk Oberegg) und VS ist sie freiwillig.
Umgebungs- oder Grundstückversicherung
Die Deckung der Gebäudeversicherung umfasst nur das Gebäude. Wer auch Schäden an Garten, Stützmauern, Bäumen und Zäunen oder am Gartenhaus absichern möchte, schliesst eine Umgebungs- oder Grundstücksversicherung ab. Diese wird von den meisten Privatversicherern angeboten.
Wasserversicherung
Auch Regen , von Unwettern rückgestautes Kanalisationswasser oder nach oben gedrücktes Grundwasser kann Schäden verursachen. Diese sind von der Gebäudeversicherung aber nicht gedeckt. Hier braucht es eine separate Wasserversicherung. Diese bezahlt auch Schäden durch eine geplatzte Leitung oder eine übergelaufene Badewanne.
Hausratversicherung
Diese Versicherung deckt Schäden durch Feuer, Wasser oder Naturereignisse an allen beweglichen Gegenständen im Haushalt – auch bei Einbruch und Diebstahl.
- Gefahrenkarten der Kantone und Gefährdungskarte Oberflächenabfluss auf der Website des Bundesamts für Umwelt
- planat.ch: Nationale Plattform Naturgefahren. Diverse Infos für Hauseigentümer rund um Naturgefahren und deren Prävention
- schutz-vor-naturgefahren.ch: Infoplattform mit standortgenauer Risikoanalyse und Tipps für Schutzmassnahmen
Hausrat, Privathaftpflicht, Einbruch: Wer in den eigenen vier Wänden wohnt oder gedenkt, das Haus ausbauen zu lassen, ist mit Versicherungen oftmals überfordert. Beobachter-Mitglieder erhalten mit der Checkliste «Die wichtigsten Versicherungen für Hauseigentümer» einen umfassenden Überblick, welche Schäden in den Versicherungen gedeckt sind.
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