Wikipedia schwimmt im Geld – und bettelt trotzdem
Eine der grössten Websites der Welt sammelt jedes Jahr Spenden. Obwohl die Betreiberin von Wikipedia auf einem millionenschweren Vermögen sitzt.
Veröffentlicht am 8. Januar 2024 - 17:01 Uhr
Da ist es wieder: Dieses Banner zuoberst auf der Website von Wikipedia. Eindringlich wird um Spenden gebeten:
«Wikipedia gehört Ihnen. Bitte ignorieren Sie diese kurze Nachricht nicht. Wir brauchen Ihre Unterstützung. Es ist wichtig.»
Nur zwei Prozent der User würden spenden, daher sei selbst ein kleiner Betrag von fünf Franken willkommen.
Der Aufruf klingt ernst. Ist das grösste virtuelle Lexikon der Welt in finanzielle Not geraten? Nicht wirklich, denn: Hinter der Plattform steht eine Non-Profit-Organisation, die mehrere Millionen US-Dollar schwer ist: die Wikimedia Foundation (WMF). Sie wurde 2003 von Jimmy Wales gegründet und ist im Bundesstaat Florida registriert.
Im Geschäftsjahr 2022/2023 erzielte die Wikimedia Foundation Einnahmen von über 180 Millionen Dollar. Davon waren 164 Millionen Dollar Spenden. Die Gesamtausgaben werden mit 170 Millionen beziffert. Das Vermögen der NGO wies per Ende Jahr 255 Millionen Dollar aus.
Die WMF rechtfertigt ihre jährliche Bettelei mit den anfallenden Kosten, um die Plattform am Laufen zu halten. Geschrieben werden die Inhalte auf Wikipedia zwar von unzähligen Freiwilligen ohne Entgelt.
Doch das Bereitstellen von Servern und die Gehälter von WMF-Angestellten sei kostspielig. Kritiker vermuten den Grund für das Anhäufen von Geld hingegen im Wunsch nach mehr Wachstum und der Finanzierung von anderen Projekten. Basierend auf dem Jahresbericht von WMF könnte die Wikipedia-Infrastruktur ohne eine einzige Spende weitere 75 Jahre betrieben werden. Das berechnete die amerikanische Denkfabrik «New Economic Thinking».
«Der Verein Wikimedia CH betreibt nicht die Wikipedia und übernimmt auch keine inhaltliche Verantwortung für die Wikipedia.»
Martin Steiger, Anwalt
Warum also braucht Wikipedia so viel Geld? Und wohin fliessen die Spenden? Der auf das Recht im digitalen Raum spezialisierte Anwalt Martin Steiger schreibt dazu auf seiner Website: «Wer als User in der Schweiz dem Spendenaufruf folgt, landet beim Verein Wikimedia CH.»
Dabei handle es sich um einen gemeinnützigen Verein, der aktuell 14 Personen beschäftige. In der aktuellen Strategie 2022 bis 2026 von Wikimedia CH komme Wikipedia nicht direkt vor. «Der Verein Wikimedia CH betreibt nicht die Wikipedia und übernimmt auch keine inhaltliche Verantwortung für die Wikipedia», schreibt Steiger.
Wikimedia CH widerspricht und sagt: «Im veröffentlichten Strategie-Dokument wird Wikipedia insgesamt mindestens 11-mal aufgeführt. In der Management Summary benutzen wir den gängigen Terminus ‹Wikimedia Movement›, der alle Wiki-Projekte und somit auch Wikipedia einschliesst.» Alle Aktivitäten des Vereins würden in direktem Zusammenhang mit Wikipedia und den Schwesterprojekten stehen.
Wie die Wikimedia Foundation erzielt auch Wikimedia CH fette Gewinne: In der Jahresrechnung von 2022 weist der Verein bei Einnahmen von knapp 4,2 Millionen Franken einen Gewinn von 1,4 Millionen Franken aus, die freien Reserven stiegen auf 6,8 Millionen, das Vermögen auf fast 8 Millionen Franken. Anwalt Steiger kritisiert: «Wie viele Spenden würde Wikimedia CH erhalten, wenn die User wüssten, dass ihr Geld für den weiteren Betrieb von Wikipedia nicht benötigt wird und Wikimedia CH gar keinen Einfluss auf den Betrieb von Wikipedia hat?»
Wikimedia entgegnet, als gemeinnütziger Verein sei es nicht die Absicht, Gewinne zu erzielen. Die Überschüsse würden vollumfänglich in die Arbeit für das Wiki-Movement investiert.
Auf der Website von Wikimedia CH heisst es, ein Teil der erhaltenen Spenden fliesse an die Wikimedia Foundation weiter. Wie gross dieser Teil ist, bleibt allerdings unklar. Wikimedia CH entgegnet, dass die genauen Beträge in den auf der Website zugänglichen Finanzberichten öffentlich ausgewiesen seien.
Analysiert man den Finanzbericht 2022, erkennt man, dass der Vertrag mit der Dachorganisation Wikimedia Foundation vorsieht, dass «alle zuordenbaren Spenden der Monate November und Dezember» zu überweisen sind – also jener Monate, in denen am meisten Spenden gesammelt werden. 2022 flossen so 966’000 Franken an die Wikimedia Foundation. 376’000 Franken in andere Projekte. Somit erhielt die Dachorganisation 71 Prozent der für Projekte eingesetzten Mittel. Wie viel davon bei Wikipedia landet, bleibt allerdings unklar.
Eine erste Version dieses Textes wurde nach Intervention von Wikimedia CH überarbeitet.
12 Kommentare
Mir scheint es wichtig auch die Stellungnahme von Wikimedia CH hier zu verlinken.
https://wikimedia.ch/de/n…
„Wir sind enttäuscht, dass eine solche Irreführung der Leserschaft stattfindet und somit wertvolles Vertrauen in unsere Arbeit zerstört wird.
Diese Geschichte hat auch etwas Positives. Sie zeigt genau auf, wofür wir uns als Wikimedia einsetzen: glaubwürdige und verifizierte Informationen. Sie ist ein wunderbares Beispiel, warum verlässliche Quellen und der saubere Umgang mit Informationen in der heutigen Zeit für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft so überaus wichtig sind.“
Gut zu wissen. Es stimmt nachdenklich, dass Spendenaufrufe mit scheinbar gesichertem und klaren Verwendungszweck immer mehr hinterfragt werden müssen. Gut dass es den Beobachter gibt.
Markus Steinmann
Wikimedia benutze ich oft, finde diese Gratisdienstleistung grossartig. Warum nicht etwas spenden. Die Recherche, respektive Geschichte, finde ich zu dürftig um dieser Institution nichts zu überweisen.
Aha deshalb... Ich hatte an Wikimedia CH geschrieben, dass ich keinen Rappen spende, solange Wikipedia die Homöopathie und damit meinen Beruf so schlecht mache. Das stehe einem so wichtigen Portal nicht an, das habe neutral zu sein in solchen Dingen.
Es kam keine Reaktion. Wikipedia selbst ist ja in keiner Weise erreichbar. Und jetzt lese ich hier, dass auch über Wikimedia kein Kontakt möglich ist. Nur schade, dass ich in dem Artikel nichts Konkretes darüber erfahre, warum sie denn Spenden betteln und was denn Wikimedia mit dem ganzen zu tun hat...