«Wir brauchen keine Extrawurst»
Behindertensportlerin Elena Kratter (24) hat die Paralympics 2021 in Tokio fest im Visier. Ihr Ehrgeiz gilt aber nicht nur der eigenen Leistung. Kratter will eine bessere Behandlung des Behindertensports.
Veröffentlicht am 20. Mai 2021 - 17:15 Uhr
Dieser Artikel ist Bestandteil unseres Themendossiers «Sportförderung in der Schweiz nach der Corona-Krise».
Der Sport, die Unterschenkelprothese – beides ist da, seit Elena Kratter denken kann. Nach einer Frühgeburt wurde ihr rechter Unterschenkel amputiert, da Herz und Kreislauf geschwächt waren. Aufhalten liess sich die Schwyzerin davon nicht.
Schon früh war Kratter sportlich aktiv, mit elf trat sie einem Skiklub bei. Sie trainierte so lange, bis sie ihre Geschwister einholen konnte, bis sie zweibeinig Europacups fuhr. Als sich ihr Körper gegen die hohe Belastung wehrte, nahm Elena Kratter die Prothese ab. Auf einem Bein bestritt sie 2019 die Para-Ski-WM – der Höhepunkt und das Ende der Pistenkarriere.
Nach Stürzen und Verletzungen machte das linke Knie nicht mehr mit. «Das war hart zu akzeptieren. Die Berge, der Schnee, die Rennen – das war mein Leben.» Zum Glück hatte sie eine zweite Leidenschaft: Beim Laufen spürt Kratter keinen Schmerz. Also wechselte sie vor zwei Jahren zur Leichtathletik und lief gleich beim ersten Rennen die WM-Limite. Neu im Fokus: Tokio 2021 – die Paralympics, die im Schatten der Olympischen Sommerspiele stehen.
Für dieses Ziel trainiert die 24-Jährige sechsmal pro Woche. Oft allein, manchmal im Team. «Ob Skifahren oder Laufen: Ich habe mich immer an nichtbehinderten Athletinnen orientiert. Das hat mich ehrgeizig gemacht.» In der Schweiz dürfen Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam Wettkämpfe bestreiten. Leider gebe es das viel zu selten, sagt Kratter. «Dabei wäre das extrem wichtig. Wir wollen zeigen, dass es uns gibt und dass wir keine Extrawurst brauchen. Zu oft scheuen sich Vereine, Kinder mit Behinderungen aufzunehmen.»
Noch immer wird der Behindertensport nachlässig behandelt. «Wir haben auch kaum Medienpräsenz. Das erschwert die Sponsorensuche», sagt Kratter. Der Behindertensportverband PluSport unterstützt sie zwar grosszügig, trotzdem bleiben im zweiten Coronajahr hohe Beträge offen. Auf die Seite legen kann sie wenig: Einen Tag pro Woche arbeitet sie als Orthopädietechnikerin, daneben macht sie die Erwachsenenmatur. Dann will Kratter Biomechanik studieren – und eines Tages noch bessere Prothesen entwickeln.
Dieser Artikel ist Bestandteil unseres Themendossiers «Sportförderung in der Schweiz nach der Corona-Krise».
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