Belästigungen im ÖV sollen ein Ende haben
Die Verkehrsbetriebe Zürich schützen ihre Passagiere künftig besser vor Sexismus und Feindseligkeiten. Für die Chauffeurinnen und Kontrolleure eine schwierige Aufgabe. So können Fahrgäste helfen.
Veröffentlicht am 10. Mai 2023 - 16:43 Uhr
Es war ein besonders krasser Fall: Ein Familienvater wird im Tram von Jugendlichen mit Bier übergossen, als «Judennase» beschimpft, aus dem Fahrzeug gezerrt und bewusstlos geschlagen. Wiederholt fleht er um Hilfe, doch der Tramchauffeur sowie ein Dutzend Passagiere schauen weg. So geschehen vor ein paar Jahren in Zürich.
Solche Attacken sind zum Glück selten. Belästigungen oder Beleidigungen aber kommen in Trams und Bussen häufig vor. Bei der Meldestelle der Stadt Zürich gingen in den vergangenen zwei Jahren über 1500 Meldungen ein.
Die Stadt Zürich will Passagiere nun besser schützen – und führt darum für das Personal der Verkehrsbetriebe spezielle Schulungen durch, wie die SRF-Sendung «Schweiz aktuell» berichtet. Buschauffeurinnen und Billettkontrolleure sollen nicht nur bei körperlicher Gewalt einschreiten, sondern auch bei verbalen Belästigungen oder sexuellen Anzüglichkeiten.
Hilferufe ernst nehmen
Die Stadt führt für rund dreissig Mitarbeitende der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) drei Abendveranstaltungen durch. Schon an der ersten zeigt sich, was mit «schwierigen Situationen» gemeint ist. «Ich wurde gerade von dem älteren Herrn da hinten belästigt», beschwert sich eine Frau beim Busfahrer in einer von zwei Schauspielern nachgespielten Szene. Der Fahrer reagiert genervt. «Wir sollten jetzt losfahren. Was ist denn passiert?»
Solche Hilferufe gelte es ernst zu nehmen, sagt Dayana Mordasini, Co-Leiterin des Projekts «Zürich schaut hin» an der Schulung. «Belästigung mit Worten oder Gesten ist auch nicht in Ordnung. Auch da müssen wir uns einmischen.»
Grosses Konfliktpotenzial
Für die Chauffeure und Kontrolleurinnen ist der Auftrag anspruchsvoll. Sie müssen den Fahrbetrieb sicherstellen und möchten, dass sich die Fahrgäste ruhig verhalten. Einen Konflikt möglichst schnell «abzumoderieren», sei aber nicht das Ziel, sagt Martin Rudolph, zuständig für das sogenannte Ereignismanagement bei den VBZ. «Die Fahrgäste sollen sich bei uns so sicher fühlen wie nur möglich.» Das schliesse den Schutz vor Belästigungen mit ein.
Für mehr Sicherheit in Tram und Bus kann das Personal nicht allein sorgen. «Zürich schaut hin» richtet sich auch an Fahrgäste. Zivilcourage zeigen und Bedrängten beistehen – das ist das Ziel, im ÖV und anderswo. Auch die Stadt Bern und der Kanton Wallis haben ähnliche Kampagnen gestartet. In Zürich etwa ist seit Februar ein Präventions-Linienbus unterwegs. Dort hängen Plakate, die Passagiere für das Thema sensibilisieren.
Zivilcourage lernen – und üben
Doch wie wird man mutig? «Zivilcourage kann man lernen», sagt Julia Dubois von Amnesty International Schweiz. Sie lehrt in Kursen, wie man hinsieht und handelt statt wegschaut und schweigt – in heiklen, vor allem aber in weniger heiklen Situationen.
«Um Zivilcourage zu zeigen, braucht es nicht die Ausnahmesituation. Sie ist vor allem im Alltag nötig», sagt Dubois. Wer zudem im Kleinen Haltung bewiesen habe, schaffe das eher auch in schwierigen Situationen.
Für den Beobachter hat die Zivilcourage-Trainerin in einem früheren Beitrag neun Situationen analysiert , die man im Alltag antreffen kann – und sagt, wie man sich dabei verhalten sollte. Zum Beispiel ...
... wenn betrunkene Männer im Zug rumpöbeln,
... wenn Kinder sich schlagen,
... wenn der Chef sexistische Sprüche reisst,
... wenn man in der Bar Rassismus antrifft,
... wenn man Zeuge häuslicher Gewalt bei Freunden wird
... und anderes.
1 Kommentar
Was ist, wenn der Helfer einschreitet, Zyvilcourage zeigt und selbst verletzt wird. Gab es doch auch schon. Ich möcte als Helfer nicht im Rollstuhl enden