Beobachter: 99 Tipps für ein besseres Leben in einem Buch – woher nehmen Sie Ihre Einsichten?
Thomas Meyer: Ich glaube, alle haben so etwas wie das richtige Empfinden. Meine Ratschläge sind letztlich aber auch an mich selbst gerichtet.


Und, befolgen Sie sie?
Natürlich nicht immer. Oft weiss ich genau, was das Richtige wäre. Doch dann kollidiere ich mit meiner Persönlichkeit und mache doch alles anders.

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Sie raten zum Beispiel, als Erwachsener die Mutter nicht mehr «Mami» zu nennen. Ich will das aber weiterhin – auch wenn Sie es doof finden.
Das steht Ihnen auch zu. Ich finde es persönlich einfach unerwachsen. Aber das zeigt ja eben, dass ein Ratschlag sehr subjektiv ist.

 

«Wer jeden Abend trinkt, ist jeden Abend nicht ganz bei sich und hat wohl auch Gründe dafür.»

Thomas Meyer

 

An anderer Stelle schreiben Sie, alle Frauen hassten Jüngere, Schlankere und Hübschere. Haben Sie zu viel «Germany’s Next Topmodel» geschaut?
Ich habe es nicht so pauschal gesagt. Und ich sehe auch nicht fern. Aber ich sehe meine weiblichen Mitmenschen und höre zu, wie sie über andere Frauen reden. Und finde, dass da viel spontane Feindseligkeit Neid und Selbsthass Wie wird man zufrieden? ist, die sich auf echte oder vermeintliche körperliche Makel stürzt.


Ich könnte Ihnen 50 Frauen nennen, die das Gegenteil belegen.
Dann gratuliere ich Ihnen zu Ihrem Umfeld. Ich habe dennoch unzählige Male diesen gnadenlosen Ganzkörper-Prüfblick unter Frauen beobachtet. Männer machen das nicht.


Aber Männer sind doch genauso fixiert auf das Äussere – Hipster-Bärte, aufgepumpte Muskeln und schicke Rennvelos.
Natürlich gibt es viele eitle Männer, ich nehme mich da nicht aus. Ich spreche aber von diesem Körper-Konkurrenzdenken, das sehe ich bei Männern einfach nicht. Wir sprechen einander nicht auf Gewichtsveränderungen an. Ich glaube, wir registrieren das nicht mal.
 

Lesen Sie weiter unten die Fortsetzung des Interviews

Andererseits ärgern Sie sich über nachlässig gekleidete Leute. Müssen wir denn immer alle geschniegelt sein?
Wenn Sie Fotos aus den fünfziger Jahren anschauen, da waren die Leute alle geschniegelt. Sie haben sich Mühe gegeben, auf der Strasse eine gute Figur zu machen. Heute ist das den meisten völlig egal. Sie gähnen mit offenem Mund, legen überall ihre Füsse rauf und laufen im Sommer herum, als wären sie am Strand. Kleidung ist eben auch eine Form von Anstand. Man könnte sich wirklich mehr Mühe geben – nicht nur bei der Kleidung , auch beim Verhalten, bei der Sprache. Aber viele scheinen Freiheit mit Nachlässigkeit zu verwechseln.


Sind Sie altmodisch?
In vielen Dingen, ja. Ich finde zum Beispiel, wir sollten unseren Kindern unbedingt wieder Anstand und Tischmanieren beibringen. Aber das kann halt nur, wer weiss, was damit gemeint ist. Wenn ich im Restaurant sehe, wie die Leute ihr Besteck halten, habe ich wenig Hoffnung.


Noch etwas irritiert mich: Sie schreiben, wer jeden Abend zwei Bier trinke, laufe seinen Problemen davon.
Meine Meinung ist: Wer jeden Abend trinkt, ist jeden Abend nicht ganz bei sich und hat wohl auch Gründe dafür.


Auch wenn es nur zwei kleine Biere sind?
Natürlich. Das sind selbst verschriebene Psychopharmaka. Ich finde, wir tun alles, was wir tun, weil es uns einen Gewinn verschafft. Aber Alkoholmissbrauch wird massiv verharmlost.


Fänden Sie es besser zu kiffen?
Ja, ich halte Cannabis für die harmlosere Droge als Alkohol Drogen legalisieren Wie schlimm sind Drogen wirklich? .

Video-Mitschnitt der Buchvernissage

Die Lesung und das Gespräch mit Thomas Meyer am Montag, 29. April 2019 im Kosmos in Zürich wurde live im Internet übertragen.

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Sich überlegen, warum man etwas tut – quasi der Grundton Ihrer Kolumnen. Sie raten sogar dem Unternehmer, der um sein Geld geprellt wurde, sich zu fragen, warum er es so weit kommen liess …
Meiner Meinung nach spiegelt uns die Welt, gerade in Beziehungsfragen, auch in geschäftlichen. Und wenn etwas schiefläuft, sollte man weniger den Schuldigen suchen als vielmehr bei sich selbst, was man dazu beigetragen hat. Sonst wiederholt es sich.


Wenn ich mich ständig fragen würde, warum ich etwas so weit kommen liess, müsste ich den ganzen Tag Bier trinken …
Wir sind nun einmal verantwortlich für unser Handeln. Auch für unsere Reaktionen auf das Verhalten von anderen. Natürlich muss man sich nicht obsessiv sezieren . Aber man soll ehrlich sein. Warum habe ich das getan? Wieso ist mir das so wichtig? Woher kommt meine Wut? Wie kann ich mit den Dingen Frieden schliessen, die mich verletzt haben?


Apropos Verantwortung für unser Handeln: Sie sind Veganer. Fleischesser nennen Sie ignorant und selbstsüchtig.
Ich halte den Fleischkonsum in der Tat für ignorant. Die Haltungs- und Tötungsmethoden Tierhaltung Wie gut geht es unseren Tieren wirklich? sind dermassen brutal, dass sie verboten gehören. Auch für das Klima ist es eine Katastrophe. Nichtveganer wollen sich einfach nicht damit auseinandersetzen.


Doch, ich. Ich bin ganz Ihrer Meinung, aber die Umsetzung bereitet mir grosse Mühe. Ich versuche wenigstens, nur Fleisch von glücklichen Tieren zu kaufen.
Damit sitzen Sie vor allem der Werbung auf Tierhaltung Den Himmel sehen die «Optigal»-Hühner der Migros nie . Auch auf dem Bio-Bauernhof werden Kälber von den Mutterkühen getrennt, damit die Milch verkauft werden kann, und auch das Bio-Kalb landet im Schlachthof. Dennoch: Bio ist ein Schritt in die richtige Richtung, nämlich hin zur Achtung vor dem Leben.

Ratgeber, auf die Sie sich verlassen können.
«Ratgeber, auf die Sie sich verlassen können.»
Sarah Berndt, Leiterin Beobachter-Edition
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