«Die Zahlen haben mich schockiert, aber nicht überrascht»
Über 1000 Fälle von sexuellem Missbrauch im Umkreis der katholischen Kirche der Schweiz hat eine neue Studie gesammelt. Hoffentlich würden Opfer nun ernst genommen, sagt Vreni Peterer, Betroffene und Präsidentin der Opferorganisation.
Veröffentlicht am 12. September 2023 - 09:30 Uhr
Begegnen Sie persönlich kirchlichen Würdenträgern heute anders als zu Beginn Ihres Engagements?
Durchaus, mit sehr viel mehr Selbstvertrauen. Einige Personen aus dem kirchlichen Umfeld, die mir bei der Aufarbeitung meiner persönlichen Missbrauchsgeschichte geholfen haben, waren für mich gute und wichtige Wegbegleiter und sind es heute noch. Ihnen vertraue ich. Bei anderen bin ich immer noch misstrauisch, ob es wirklich von Herzen kommt oder ob es bloss leere Worte sind. Bei diesen Personen weiss ich immer noch nicht, ob sie auch mit Überzeugung zu einer Aufarbeitung bereit sind.
Ist Ihre Arbeit mit der Publikation des Berichts nun abgeschlossen?
Jetzt geht es erst richtig los. Wir haben nun eine erste Auslegeordnung. Die Bischöfe und die anderen Auftraggeber wissen jetzt, was sie zu tun haben. Ich hoffe sehr, dass sie die im Bericht gemachten Empfehlungen umsetzen. In den drei Jahren, auf die das eigentliche Forschungsprojekt angelegt ist, wird noch viel zum Vorschein kommen. Wir von der IG-MikU in der Deutschschweiz und die Sapec in der Romandie wissen als Betroffenenorganisationen jetzt genau, wo wir genauer hinschauen und kontrollieren müssen.
Bis ein endgültiger Bericht vorliegt, dürften mindestens drei Jahre vergehen. Gibt es Massnahmen, die bereits jetzt ergriffen werden müssen?
Eine unabhängige Anlaufstelle für Opfer ist absolut vordringlich. Man kann sich nicht einfach hinter Präventionsmassnahmen verstecken, denn der Bericht zeigt klar und deutlich, dass es schon seit Jahrzehnten eine Vielzahl von Opfern gibt. Um diese muss man sich kümmern, und zwar mit sehr viel Achtsamkeit. Jetzt müssen die Opfer im Mittelpunkt stehen.
Zudem sollte das Oral-History-Projekt, das im Bericht angeregt wird, so schnell wie möglich starten. Viele der Opfer sind bereits älter, da gilt es, schnell zu handeln, damit diese Geschichten nicht vergessen gehen. Denn wenn sie von den Betroffenen selbst erzählt werden, geht das unglaublich unter die Haut – und das soll auch so sein.
Sie haben den Bericht zu Missbrauch in der katholischen Kirche bereits vor einigen Wochen erhalten. Was war das für ein Gefühl, das Papier in den Händen zu halten?
Normalerweise schaue ich meine Post sofort an. Aber weil ich nicht wusste, was die Lektüre mit mir machen würde, legte ich den Bericht erst zur Seite und las ihn am Abend. Ich fand den Einstieg sehr gut. Die Autorinnen gehen mitten in die Thematik rein und erzählen als Erstes eine anonymisierte Geschichte eines Opfers. Das fand ich unglaublich stark.
Schockiert, aber nicht wirklich überrascht, haben mich die genannten Zahlen. Wenn man von 1002 Fällen liest, ist es schon anders, als wenn man einzelne Missbrauchsgeschichten hört oder liest.
Bei unseren Recherchen zum Thema Missbrauch in der katholischen Kirche haben wir von Betroffenen immer wieder den Satz gehört: «Niemand hat mir geglaubt.» Ist diese Zeit mit dem Bericht nun vorbei?
Ich erlebe als Präsidentin der IG Missbrauchsbetroffene im kirchlichen Umfeld (IG-MikU) immer wieder, dass Opfer in gewissen Bistümern unendlich viele Beweise bringen müssen, um ernst genommen zu werden. Ich hoffe sehr, dass sich das nun ändert. Sonst würde etwas gründlich schieflaufen.
Diese Massnahmen empfehlen die Autorinnen der Missbrauchsstudie
Als Betroffene lesen Sie den Bericht vermutlich anders als Unbeteiligte. Gibt es einen Punkt, der bei Ihnen besonders hängen geblieben ist?
Der Fall des Priesters, der 67 Kinder missbraucht hat, hat mich unglaublich schockiert. Das ist eigentlich unvorstellbar, aber leider Realität.
Vermissen Sie an dem Bericht etwas? Gibt es Themen, die zu wenig ausgeleuchtet wurden oder werden konnten?
Ich war ja in den ganzen Prozess immer wieder sporadisch eingebunden und bin mit der jetzt präsentierten Auslegeordnung sehr zufrieden. Alle in der Kirche sollten jetzt wissen, woran sie arbeiten müssen.
«Erfreulicherweise rufen heute sogar Verantwortliche aus den Bistümern bei mir an und fragen um Rat.»
Die IG-MikU in der Deutschschweiz und Sapec in der Romandie haben jahrelang dafür gekämpft, dass sie von den kirchlichen Gremien und Würdenträgern als gleichwertige Gesprächspartner akzeptiert werden. Sind Sie das jetzt?
Ja. Und ich erschrecke manchmal – im positiven Sinn –, wie schnell wir das geworden sind. Das ist vor allem unserem Gründungspräsidenten Albin Reichmuth zu verdanken, der ja vor zwei Jahren auch für den Prix Courage nominiert war. Er hat unglaublich viele Felsbrocken aus dem Weg geräumt. Sehr viel gebracht hat aber auch das unermüdliche Engagement der Sapec, die schon über zehn Jahre aktiv ist. Heute werden wir als Gesprächspartner ernst genommen und eingebunden. Erfreulicherweise rufen heute sogar Verantwortliche aus den Bistümern bei mir an und fragen um einen Rat oder eine Beurteilung, etwa wenn es um den Umgang mit Betroffenen geht. Dass wir es geschafft haben, diese Sensibilität hinzukriegen, freut mich gewaltig.
Das ist ein neuer Umgang mit den Opfern.
Absolut. Und ich hoffe natürlich, dass das nicht einfach nur zum Zeitpunkt der Publikation der Studie so ist und dann wieder nachlässt. Falls das der Fall sein sollte, werden wir uns laut und deutlich zu Wort melden.
1 Kommentar
Es wird auch brandschwarz gelogen! Dem Medicum im Kloster Wesemlin wurde die PP genommen mit verschiedenen Begründungen:
Die PP wären nur während der Bauzeit des Hauses im Klostergarten bewilligt gewesen. Tatsache ist, dass die PP seit ca. 9 Jahren vorhanden waren und der Neubau 2020 begann. Es wird behauptet, die Baubewilligung hätten die Patres nur erhalten, wenn die Parkplätze verschwinden würden. Das Grundstück gehört den Patres und sie begründen die Aufhebung mit einem "amtlichen Geheiss", was so nicht stimmen kann. Pater J. Haselbach erzählt etwas völlig Anderes als der Verwalter Urs Steger, Küste AG, Luzern. Der Eine ist amtlich fixiert und der Andere will einfach seine Ruhe haben, denn der Garten ist nun plötzlich privat und der direkte Zugang zur Arztpraxis (Lift) nicht mehr möglich. Man könnte ja einen Rollstuhl anfordern ab der "blauen Zone". Es wird auf die Einstellhalle eine kleines Quartiercenters hingewiesen. Da könnte man ja auch parkieren und zudem würden die Läden davon profitieren. Wie sollen frisch operierte Menschen zur Nachkontrolle zu den Orthopäden kommen? Geschwächt und mit Krücken eine lange Klostermauer ablaufen bei Schnee, Regen Eis usw? Mit der Vermietung der grossen Praxis konnten Klosterkosten gedeckt werden. Nun haben sie das nicht mehr nötig, da ja der Neubau das notwendige Kleingeld einbringt.