Der Spätsommer ist eine schöne Zeit, ja, man kann ihn als das Lagerfeuer unter den Jahreszeiten bezeichnen. Da kommen wir mal wieder zusammen, braungebrannt – hallo und lange nicht gesehen! –, und gemeinsam singen wir das Lied von den langen, glühenden Sommerferien. Schön wars in der Algarve, jaja, und dieses Abendlicht auf Lanzarote – zauberhaft. Leider fällt dann früher oder später zuverlässig ein Wort, das alles kaputtmacht.

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Die Rede ist dann vom Authentischen. 

Liebe Reisende: Wir müssen über Authentizität reden. Oder präziser: Wir müssen über «authentische Erfahrungen» reden, denn als Substantiv ist uns dieses Wort viel zu sperrig. Es existiert gewissermassen nur als Wie-Wort.

Wie wars noch mal im Tessin? 

«In Giubiasco haben wir dann dieses authentische Grotto entdeckt, toll und günstig. Und der Wein: ein Gedicht.» 

Liebe Entdecker, Spürnasen und Ausgetretene-Trampelpfade-Verlasserinnen: Ihr müsst jetzt ganz stark sein, aber das Gerede vom Authentischen ist Schrott. «Authentisch» ist nicht mehr als die wacklige Hilfskrücke für das vage Gefühl, etwas Besonderes erlebt zu haben. Im Wort «authentisch» steckt die Christoph-Kolumbus-hafte Behauptung, vom Massentourismus unberührtes Terrain erobert zu haben, wo alles echter und damit besser ist. Wer a wie «authentisch» sagt, muss auch b wie «besserwisserisch» sagen – und das ist nur eins der Probleme dieser vergifteten Ferienfloskel.

Uff, vielleicht noch mal einen Gang runterschalten erst mal, denn woher dieses inbrünstige Verlangen nach authentischen Ferienerlebnissen rührt, ist ja wohl sonnenklar. Unseren Alltag nehmen wir als serielle Abfolge banaler Ereignisse wahr. Aufstehen, Müesli löffeln, bisschen rumwischen am Handy, arbeiten, heimkommen, schlafen. Freizeitsoziologinnen haben erforscht, wie diese kapitalistische Tretmühle unsere Sinne zermalmt. Kurzfazit: Gleichförmigkeit und Wiederholung stumpfen uns ab. Und Ferien, na klar, sollen die verstümmelten Nervenenden wieder zum Leben erwecken. 

Als Gegengift gegen die Gleichgültigkeit suchen wir folglich in den Ferien das Überraschende, Echte, vom Schleifstein kommerzieller Vermarktung unberührt Gebliebene, kurz: das Authentische. 

«Wir haben Capri dann aber links liegen gelassen und eine Stadtführung in Neapel gemacht, das war viel authentischer.» 

Der Duden definiert «authentisch» als «echt», als «den Tatsachen entsprechend und daher glaubwürdig». Das Gegenteil wäre folglich falsch, gelogen und daher unglaubwürdig. 

Ich behaupte: Mit dieser zwanghaften Suche nach dem Echten stellen wir uns selbst eine Falle. Denn woher wollen wir wissen, was «echt» oder «glaubwürdig» ist, wenn wir es zum ersten Mal sehen? In der Rede von einer «authentischen Erfahrung» steckt nicht weniger als die widersprüchliche Behauptung, Entdecker und gleichzeitig Einheimischer zu sein. 

«Heutzutage kann man ja in Lissabon gar keine Saudade mehr erleben. Früher war das noch anders, wie soll ich sagen: irgendwie authentischer.» 

Authentizität ist vor allem ein nostalgisches Gefühl. Und dahinter die Annahme, dass der Pilzrisotto im weinrebenumrankten Rustico irgendwie eher «echter» ist und damit den «Tatsachen» entsprechender als, sagen wir, eine Pizza Hawaii im Stargrill an der A2. Wer mal mit Kindern unterwegs war, weiss: Denen ist das egal. Sie leben im Jetzt und enttarnen die Sache mit dem Authentischen als das, was sie ist: eine versnobte Fantasie.

Nun wäre das weiter nicht schlimm. Ein bisschen Fantasie macht jede Geschichte besser, ja, man soll dringend lügen dürfen, um die Sommerferien vor versammeltem Publikum im Büro hinterher noch besser zu machen, als sie tatsächlich waren. Leider geht mit jedem Bericht von einer «authentischen Erfahrung» eine Überlegenheit einher, die alle anderen Ferienerfahrungen zu schnöden Lowlights im Mainstream des Massentourismus degradiert. 

Und damit sind wir, um auf einer positiven Note zu schliessen, beim Gegengift angekommen. Wider die Authentizität! Für den radikalen Mainstream! Ferien sind kein Wettbewerb auf der Tartanbahn der Wahrhaftigkeit. Und wer mal mit einem dieser Entdecker auf Authentizitätssafari war, der weiss: So was dauert Stunden! Zeitverschwendung! Authentisch ist zum Beispiel Mikroplastik am Strand. Authentisch zu reisen, heisst je nachdem, im Stau zu stehen bei 40 Grad im Schatten. Authentisch ist ein komplett verkochter Risotto mit Meerblick und lauwarmem Wein für 180 Euro, per favore. 

Nichts ist authentischer als das, was im Augenblick vor uns liegt. Geniessen wir es.