«Kann uns Gott unters Pyjama schauen?»
Wenn Kinder nach Gott fragen, tun sich Eltern oft schwer. Vier Experten geben Antworten zur Weihnachtsgeschichte, zum Samichlaus und zum Leben nach dem Tod.
Veröffentlicht am 19. Dezember 2019 - 10:52 Uhr,
aktualisiert am 10. Dezember 2019 - 11:43 Uhr
- Esther, 8: «Wenn Gott ins Herz sehen und man nichts vor ihm verbergen kann, kann er uns dann auch unters Pyjama schauen?»
- Livia, 4: «Können wir Gotti Gigi im Himmel anrufen, um mit ihr zu sprechen?»
- Luisa, 11: «Warum ist auf Bildern fast immer Jesus mit seiner Mutter zu sehen? War der Vater nicht wichtig?»
- Elena, 3: «Was ist der liebe Gott?»
- Gianmarco, 10: «Wann kommt Gott auf die Erde?»
- Milan, 5: «Ist der Grosspapi nun auch im Katzenhimmel? Oder ist er im Opahimmel? Und wenn ja, kann er dann das verstorbene Büsi besuchen?»
- Ben, 6: «Warum gibt es einen Samichlaus und einen Weihnachtsmann?»
- Lino, 5: «Warum ist der Esel vom Samichlaus immer krank?»
- Charlotte, 11: «Warum ist in Kirchen immer eine so düstere Stimmung?»
Diese Experten haben die Kinderfragen beantwortet.
Liebe Esther
Früher wurde oft gesagt: Der liebe Gott sieht alles! So wurde Kindern Angst gemacht, als wäre Gott ein Kontrolleur. Die Kinder und Gott wurden missbraucht, um die Menschen klein und brav zu halten. Das hat Gott sicher nicht gefallen. So ist es nicht gemeint. Gott sieht dich an und schaut auf dich. Richtig verstanden, kann das Gutes bedeuten: Du bist Gott nicht egal, bist gefragt und einzigartig, bist Gott wichtig. Tief in der Seele ist Gott uns näher, als wir es uns selbst sein können. Das hat nichts mit Kontrolle zu tun, nur mit Vertrauen und Liebe.
Rainer Oberthür, Religionspädagoge und Autor
Liebe Livia
Also mit unserem gewöhnlichen Telefon geht das leider nicht. Aber weisst du was? Wollen wir es mit dem Gedankentelefon versuchen? Mach einfach die Augen zu und stell dir vor, du hast ein Telefon in deiner Hand. Vielleicht hält dich Mama oder Papa im Arm, dann fühlst du dich besonders geborgen. Jetzt tippen wir Gotti Gigi ins Telefon. G-o-t-t-i. Hör nur, es läutet schon. Weisst du noch, wie sie sich jeweils über deinen Anruf gefreut hat? Du kannst ihr jetzt alles sagen, was du ihr sagen möchtest. Und vielleicht spürst du dann auch eine Antwort.
Eva Zoller Morf, Leiterin Schweizerische Dokumentationsstelle für Kinder- und Alltagsphilosophie
Liebe Luisa
Da hast du eine wichtige Beobachtung gemacht. Ich finde es nämlich auch schade, dass Josef auf den Weihnachtsbildern so oft fehlt (oder nur am Rande steht). Vielleicht ist Josef gar nicht der leibliche Vater von Jesus. Aber er hilft seiner schwangeren Verlobten Maria, er ist bei der Geburt von Jesus dabei und er flieht mit den beiden nach Ägypten, um das Kind zu retten. Ohne den Mut, die Liebe und die innere Grösse von Josef hätte das Jesuskind nicht überlebt. So steht es jedenfalls in der Bibel. Vielleicht kannst du Josef auf deinem Weihnachtsbild einen besonderen Platz geben?
Maja Zimmermann, Pfarrerin am Berner Münster
Liebe Elena
Wie jeder Mensch stellst auch du Fragen wie: Warum lebe ich? Woher kommt die Welt? Was kommt nach dem Tod? Beim Fragen merkst du: Es gibt immer noch mehr zu entdecken, hinter jeder Antwort stecken neue Fragen und Geheimnisse. Menschen nennen dieses Mehr und dieses Geheimnis das Unendliche, Unsichtbare – oder Gott. In den grossen Fragen steckt die Frage nach Gott. Ich glaube: Gott ist ein Geheimnis und die grösste Frage. Gott war und ist da und wird immer da sein. Du bist kein Zufall. Gott ist der Grund dafür, dass es dich gibt, dass überhaupt etwas da ist. Gott schenkt Leben und Freiheit. Von Gott kommt alles her, zu Gott geht alles zurück. Gott ist Liebe. Deshalb sprechen wir vom lieben Gott.
Rainer Oberthür, Religionspädagoge und Autor
Lieber Gianmarco
Wir können Gott nicht sehen wie Dinge oder Menschen. Gott ist anders da, braucht weder Zeit noch Raum. Gott ist um uns wie die Luft, die wir nicht sehen, ohne die wir aber nicht leben können. Gott spürst du mal herzensnah, mal himmelsfern. Gott ist nicht die Welt, aber Gott ist in der Welt, denn die Welt kommt von Gott. Deshalb können wir etwas von Gott erfahren: in der Natur, in der Musik, in jedem Menschen. Meine Antwort ist also: Gott ist immer da auf der Erde, aber anders, als wir es uns vorstellen! Gott kann uns begegnen in seiner wunderbaren Welt. Immer wenn ein Mensch etwas Gutes tut, kommt Gott auf die Erde.
Rainer Oberthür, Religionspädagoge und Autor
Lieber Milan
Vielleicht zielt deine Frage gar nicht so sehr auf die Art und Weise, wie man sich den Himmel vorstellen muss? Vielleicht bist du einfach traurig, weil Opa und das Kätzchen nicht mehr da sind? Ja, stimmt das? Möglicherweise beschäftigt dich die Frage, ob es beiden gut geht. Ob sie sich gegenseitig trösten können, wenn sie nicht mehr bei euch sind. Wenn das so ist, möchte ich dir antworten: Dem Opa und dem Kätzchen gefällt es sicher, sich gegenseitig zu besuchen! Oder was meinst du dazu? Wenn du aber doch eher wissen möchtest, wie es im «Himmel» aussieht, dann würde ich dir antworten: Wie es dort aussieht, wo die Verstorbenen jetzt vielleicht sind, das weiss niemand so genau. Könnte es sein, dass dieser Himmel gar kein Ort ist, sondern eher ein Gefühl oder ein «himmlischer» Zustand? In welcher Art von Himmel befinden sich der Opa und die Katze? Vielleicht in deinem Herzen drin?
Eva Zoller Morf, Leiterin Schweizerische Dokumentationsstelle für Kinder- und Alltagsphilosophie
Lieber Ben
Die Gestalten des Samichlaus und des Weihnachtsmanns gehen beide auf einen Bischof zurück, der im 4. Jahrhundert gelebt hat. Er heisst Nikolaus von Myra. Man erzählt sich, dass er als Sohn einer reichen Familie geboren wurde. Nach dem frühen Tod seiner Eltern hat er sein gesamtes Erbe an die armen Menschen verteilt. Weil diese Geschichte überall ein bisschen anders erzählt wird, haben sich im Lauf der Zeit verschiedene Bräuche entwickelt: In den USA ist die Figur des Weihnachtsmanns entstanden, in der Schweiz kennen wir den Samichlaus. Wichtiger als die Unterschiede sind aber die Gemeinsamkeiten: Beide wollen die Kinder darauf aufmerksam machen, dass es Kinder gibt, denen es nicht so gut geht. Und dass es schön ist, mit ihnen zu teilen.
Martin Kempf, Samichlaus, Initiator der Website www.chlaus.ch
Lieber Lino
Ich will dir die Wahrheit sagen: Wahrscheinlich war der Esel nicht krank. Es ist einfach so, dass Esel nicht so wahnsinnig gut geeignet sind für den Samichlausen-Job. Der Samichlaus muss sehr viel Geduld mit dem Esel haben und lange Spaziergänge mit ihm machen, bis er Vertrauen fasst und schön brav neben ihm hergeht. Aber dafür haben nicht alle Samichläuse Zeit. Es wäre viel einfacher, eine Kuh mitzunehmen! Aber das würde ja nicht passen, oder?
Martin Kempf, Samichlaus, Initiator der Website www.chlaus.ch
Liebe Charlotte
Leider gibt es tatsächlich Kirchen, die düster und unheimlich wirken. So sind sie aber nicht gedacht. Natürlich ist ein Kirchenraum kein Chilbiplatz. Es sollte uns, wenn wir von der lauten Strasse her durch die Kirchentür treten, ein Raum empfangen, der Ruhe ausstrahlt, feierlich ist, in dem ich still werden und nachdenken kann. Vielleicht zünde ich eine Kerze an, dann wird es heller. Vielleicht denke ich über das nach, was mich belastet oder was mich glücklich macht; vielleicht vertraue ich es in diesem stillen Raum Gott an. Und wenn ich die Kirche verlasse, brennt mein Licht im dämmrigen Raum weiter.
Maja Zimmermann, Pfarrerin am Berner Münster
Maja Zimmermann war 16 Jahre lang Pfarrerin am Berner Münster, wo sie derzeit ihre Nachfolgerin vertritt. Den Kirchenraum des Münsters empfindet sie sehr unterschiedlich: «Wunderschön und geheimnisvoll, wenn ich nachts allein in der Kirche bin. Er kann aber auch düster und streng und an manchen Tagen wie eine beliebige Touristenattraktion wirken.»
Martin Kempf besucht in Zug als Samichlaus Kindergärten, Familien, ältere und alleinstehende Menschen. Die Website www.chlaus.ch hat er gegründet, um Eltern die Suche nach einem Samichlaus zu erleichtern. Im Kindergarten wüssten heute die meisten Kinder, dass es den Samichlaus nicht «wirklich» gibt. «Wir wollen die Kinder nicht anlügen. Das passt nicht mehr in die heutige Zeit.»
Rainer Oberthür ist Dozent für Religionspädagogik und stellvertretender Leiter des Katechetischen Instituts des Bistums Aachen (D). Er hat unter anderem das Buch «Was glaubst du?» veröffentlicht. Darin schreibt er Antworten auf Briefe von Kindern, die die grossen Fragen der Menschheit berühren. Dabei ist ihm bewusst, «dass gerade in Fragen des Glaubens die Antwort gar nicht so gross wie die Frage sein kann».
Eva Zoller Morf beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit Kindern und ihren brennenden Fragen. Die Pionierin der Kinderphilosophie hat mehrere Bücher zum Thema verfasst und die Dokumentationsstelle «s’Käuzli» für Kinder- und Alltagsphilosophie in Altikon ZH initiiert. Sie möchte fragende Kinder nicht mit einer schnellen Antwort abspeisen, sondern «dem Kind helfen, seine eigene Antwort zu finden».