«Manche werden viel zu rasch aufs Abstellgleis geschoben»
Die Langzeitfolgen einer Krebstherapie sind bei jedem anders, sagt Onkologe Urs S. Huber. Denn nicht nur der Körper wird in Mitleidenschaft gezogen, sondern auch die Psyche.
Veröffentlicht am 26. April 2017 - 10:58 Uhr
Beobachter: Nach der Krebstherapie ist der Wiedereinstieg ins Berufsleben für viele wichtig. Warum kämpfen manche trotzdem noch lange mit Spätfolgen?
Urs S. Huber: Es hängt sehr stark von der Person und der Behandlungsart ab, welche Nebenwirkungen nach einer Therapie auftreten. Ich kenne Patienten, die zeigen auch nach intensiver Therapie keine Anzeichen von Müdigkeit oder Erschöpfung. Sie sind während der Behandlung motiviert und wollen danach gleich wieder zurück in den Beruf. Einige haben aber vielleicht schon vorher ein eher schwächeres Immunsystem und andere Krankheiten oder Operationen hinter sich. Wieder andere kämpfen nach einer Krebsdiagnose möglicherweise mit starken Selbstzweifeln. Solche Leute haben ganz andere Voraussetzungen. Sie spüren Nebenwirkungen meist stärker.
Beobachter: Bis zu einem gewissen Grad ist es also Einstellungssache, mit welchen Folgen Betroffene zu kämpfen haben?
Huber: Wichtiger als die Einstellung ist die Wahrnehmung, das Empfinden. Ein Arzt muss einem Patienten aber auch klarmachen, dass es für seine Krebserkrankung keinen Schuldigen gibt. Als Arzt ist es meine Aufgabe, den Patienten möglichst gut über die Zusammenhänge zu informieren, was eine Therapie Positives bewirkt – aber auch darüber, was sie ihm abverlangt.
Beobachter: Viele Krebsbetroffene erleben während oder nach der Therapie eine Fatigue, also chronische Erschöpfung und Ermüdung. Welche medizinischen Ursachen gibt es dafür?
Huber: Die Fatigue hat verschiedene Wurzeln. Eine Chemotherapie beansprucht den Körper stärker als normal. Damit der Körper nicht vergiftet wird, müssen bestimmte Schadstoffe wieder ausgeschwemmt werden. Das heisst, der Stoffwechsel muss mehr leisten. Wenn gewisse Organe wie Leber, Niere oder der Herzmuskel zu stark belastet werden, kommt es zu Müdigkeitserscheinungen. Und bestimmte Chemotherapien können einen Mangel an roten Blutkörperchen verursachen, die Sauerstoff zu den Organen transportieren. Wenn ihre Zahl sinkt, macht das müde, man spricht von Anämie.
Beobachter: Einige Krebsbetroffene leiden nach einer Therapie unter Konzentrationsschwächen. Woher kommt das?
Huber: Wenn etwa eine Ganzhirnbestrahlung nötig ist, sind Konzentrationsschwächen eine physiologische, also natürliche Folge. Oft spielt aber auch eine psychische Überlastung mit. Etliche Betroffene haben den Eindruck, ihr Leben finde nach ihrer Krankheit woanders statt. Man konzentriert sich darauf, was mit dem Körper geschieht, hat Angst, der Krebs kehre zurück. Das hemmt die Gedanken und kann zu Konzentrationsstörungen führen. Hier wirkt ein gutes soziales Netz motivierend. Eine der häufigsten Nebenwirkungen einer Tumortherapie sind Depressionen. Die Betroffenen leiden unter einem verlorenen Selbstwertgefühl und haben Angst, nicht mehr dieselbe Leistung erbringen zu können wie vorher.
Beobachter: Warum dauert es manchmal Monate, bis die Symptome wieder abgeklungen sind?
Huber: Ein Tumor wird als Verletzung des Körpers wahrgenommen. Im Umgang damit gibt es ganz verschiedene Strategien. Wenn die Verletzung stark an die Psyche geht und sich der Patient nicht von Schuldgefühlen und Selbstzweifeln lösen kann, dauert der Rückgang der Symptome möglicherweise länger als bei jemandem, der seine Erkrankung mechanistischer betrachtet, also als biologischen Vorgang. Einigen Betroffenen hilft der Austausch in einer Selbsthilfegruppe. Dabei besteht aber auch die Gefahr, dass Patienten in der Gruppe Probleme gegenseitig noch verstärken.
«Auch staatsnahe Betriebe sind nicht immer fair gegenüber Mitarbeitern.»
Urs S. Huber, Onkologe an der Hirslanden-Klinik in Zürich
Beobachter: Wie kehren Ihre Patienten in den Arbeitsmarkt zurück?
Huber: Wenn es am Arbeitsplatz keine Probleme gibt, kann es manchmal die beste Therapie sein, während der Chemotherapie reduziert weiterzuarbeiten. Mir begegnen aber auch wirklich traurige Situationen, wo die Betroffenen eigentlich physiologisch längst wieder gesund sind, aber trotzdem keinen Ausweg aus ihren negativen Gedankenspiralen finden. Das macht krank.
Beobachter: Was raten Sie einem Arbeitgeber, der in seinem Betrieb mit einer Krebserkrankung konfrontiert ist?
Huber: Ich begrüsse es sehr, wenn Arbeitgeber auch mit mir als Arzt das Gespräch suchen, um gemeinsam mit dem Betroffenen eine Lösung zu finden, damit dieser seinen Job behalten kann. In der Praxis kommt das aber viel zu selten vor. Einige Chefs können leider zu wenig gut umgehen mit gewissen, eventuell aber nur vorübergehenden Leistungseinbussen der Mitarbeiter. Schwächere Leute werden viel zu rasch aufs Abstellgleis geschoben. Im gemeinsamen Gespräch versuchen wir, Lösungen zu finden, um den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass der Patient weiterarbeiten kann.
Beobachter: Es gibt auch Krebsbetroffene, die den Arbeitsplatz verlieren.
Huber: Das ist ein schwieriges Thema. Ich bin sehr dafür, dass man Impulse gibt, damit die Leute nach einer Krebstherapie wieder entsprechend ihren Fähigkeiten arbeiten können. Leider verhalten sich auch staatsnahe Unternehmen nicht immer fair gegenüber Mitarbeitern. Es zählt nur noch Leistung, nicht mehr das Individuum. Wenn jemand ausfällt, folgt gleich die Anmeldung bei der IV. Das deprimiert viele Betroffene zusätzlich. Mit kleineren Betrieben machen wir oft bessere Erfahrungen.
Beobachter: Kürzlich hat der Chef des Lebensversicherers Swiss Life seine Krebserkrankung öffentlich gemacht. Wie bewerten Sie einen solchen Schritt?
Huber: Grundsätzlich finde ich sein Outing positiv. Es hat aber auch eine Kehrseite. Betroffene fühlen sich dadurch möglicherweise stärker unter Druck gesetzt. Der Eindruck entsteht, in seiner Position als Geschäftsleiter könne er sich das leisten – denn im Gegensatz zu anderen läuft er ja nicht Gefahr, seinen Job zu verlieren.
Krebs am Arbeitsplatz: Der lange Weg zurück
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