Er nannte es einen wichtigen Tag für Grossbritannien: «Uber-Fahrer erhalten eine Einkommensgarantie, Urlaubsgeld, eine Rente, und sie behalten die Flexibilität, die sie schätzen.»

Nicht ein Gewerkschafter verkündete die frohe Botschaft. Sondern Jamie Heywood, Uber-Chef für Nord- und Osteuropa. Nach einem Gerichtsentscheid erkannte er im März 70'000 Fahrer als Uber-Arbeitskräfte an. Zwar nicht mit einem Vertrag wie britische Angestellte, aber mit einem Anrecht auf Mindestlohn und Rentenbeiträge.

Damit nicht genug. «Wir hoffen, dass auch andere Anbieter uns dabei unterstützen, die Qualität der Arbeitsbedingungen für diese wichtigen Arbeitskräfte zu verbessern», überbot sich Heywood.

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Das irritiert. Denn in der Schweiz verhält sich das kalifornische Unternehmen ganz anders. Uber drohte schon mit einem Rückzug, sollte die Firma als Arbeitgeberin taxiert werden. Ein entsprechendes Urteil liegt sogar rechtskräftig vor; das Obergericht im Kanton Waadt beurteilte Uber 2020 klar als Arbeitgeberin. Uber legte dagegen keine Berufung ein und argumentiert seither, es handle sich nur um einen Einzelfall im Kanton Waadt.

Auch Sozialversicherungen und Behörden behandeln Uber zwar als Arbeitgeberin. Doch die Firma zahlt keine Sozialabgaben für ihre Fahrerinnen und Fahrer, betrachtet sie als Selbständigerwerbende und wehrt sich mit Klagen gegen die Einschätzungen in den Kantonen.

Lange Verfahren, wenig hilfreiche Urteile

«So kann das nicht weitergehen. Es liegt ja ein gut begründetes und rechtskräftiges Urteil vor», sagt SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer. «Der Bundesrat muss jetzt dafür sorgen, dass kantonale Ämter das geltende Arbeitsrecht auch für Unternehmen aus der Plattformökonomie durchsetzen und kontrollieren.» Über eine Motion will die Zürcher Nationalrätin die Regierung damit beauftragen.

Uber-Verfahren sind zum Teil seit Jahren hängig, andere endeten mit wenig hilfreichen Urteilen. So äusserte sich das Bundesgericht Ende März in einem Zürcher Verfahren gar nicht zur entscheidenden Frage, ob die Fahrer nun angestellt oder selbständig sind. Die avisierte Uber Switzerland GmbH sei nicht der richtige Adressat. Die Frage müsse für die Amsterdamer Rasier Operations B.V. geklärt werden, die europäische Zentrale von Uber. Dazu läuft ein separates Gerichtsverfahren, das seit 2019 vor dem Zürcher Sozialversicherungsgericht hängig ist. Ein Urteil könnte dann wiederum vor das Bundesgericht gezogen werden.

«Uber profitiert von jeder weiteren Verzögerung»

«Den Preis für solche Verzögerungen bezahlen letztlich die Uber-Fahrer», kritisiert Roman Künzler, Verantwortlicher Logistik und Transport bei der Gewerkschaft Unia. Denn allenfalls geschuldete Sozialabgaben, Löhne und Auslagen können nur fünf Jahre zurück eingefordert werden. «Uber ist aber schon seit 2013 in der Schweiz tätig und profitiert somit von jeder weiteren Verzögerung.»

Während der Corona-Pandemie fielen Fahrer wegen ihres ungeklärten Status zwischen Stuhl und Bank (Der Beobachter berichtete Keine Kurzarbeit, keine Corona-Unterstützung Uber-Fahrer werden ausgebremst ). Uber beantragte für sie keine Kurzarbeit, weil sie keine Angestellten sein sollen. Die Fahrer konnten aber auch keine Corona-Unterstützung beantragen, weil sie von den Ämtern nicht als Freiberufler akzeptiert werden.

Sozialabgaben auf Vorrat?

Unklar ist, was mit ausstehenden Sozialabgaben geschieht, falls sich Uber aus der Schweiz zurückziehen sollte. «Sie werden ja nicht auf ein Sperrkonto eingezahlt werden, auf das die Behörden nach einem Urteil zurückgreifen könnten», sagt Künzler. Forderungen müssten dann wohl mühsam im Ausland eingetrieben werden. Er plädiert darum für eine Art Umkehr der Beweislast.

«Wenn sich ein Unternehmen gegen die amtliche Einstufung als Arbeitgeberin wehrt, sollte es die Angestellten bis zu einem rechtskräftigen Entscheid als solche behandeln und die Sozialabgaben trotzdem abliefern müssen.»

«Wir müssen verhindern, dass eine Generation von Menschen heranwächst, die sich mit solchen Plattformjobs knapp über Wasser hält, bei denen die Arbeitgeber aber weder in die AHV noch in die Pensionskasse einzahlen.»

Mattea Meyer, Co-Präsidentin SP

Nach dem Einlenken von Uber in London erscheint ein Wegzug aus der Schweiz wohl eher als Drohkulisse. Andere Plattformunternehmen haben das allerdings getan.

So der aus Frankreich stammende Fahrtenanbieter Kapten, der 2019 in Genf mit einem Luxuslimousinen-Service auffuhr. Auch er verstand sich wie Uber nur als Vermittler, nicht als Arbeitgeber. Wegen der rechtlichen Unsicherheiten strich Kapten die Segel bereits nach sechs Monaten wieder. «Mitten in der Pandemie im Mai 2020 informierte das Unternehmen seine 400 Fahrer mit einer kleinen Nachricht via Whatsapp, dass es nun keine Arbeit mehr gebe», erinnert sich der Genfer Unia-Gewerkschafter Umberto Bandiera.

Auch in Genf sind mehrere Verfahren im Zusammenhang mit digitalen Plattformen hängig. Wo Behörden und Gerichte den Status von Fahrern beurteilt hätten, seien diese aber immer klar als Angestellte qualifiziert worden, so Bandiera. Für ihn ist es darum unverständlich, dass andere Kantone dies nicht konsequent umsetzen.

Uber selbst zeigt sich bereit, über einen «geeigneten Rahmen für die neuen Arbeitsformen» zu diskutieren (siehe Box am Artikelende «Uber ‹gesprächsbereit›»). Man sei weiterhin bereit für «konstruktive Gespräche».

Eine ganze Generation mit prekären Jobs?

Die Flexibilität der Einsätze kann zwar auch für Arbeitnehmende attraktiv sein. «Wir müssen aber verhindern, dass eine Generation von Menschen heranwächst, die sich mit solchen Plattformjobs knapp über Wasser hält, bei denen die Arbeitgeber aber weder in die AHV noch in die Pensionskasse einzahlen», warnt SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer. Früher oder später – zum Beispiel im Alter – müsse der Lebensunterhalt sonst von der Allgemeinheit finanziert werden.

Der Bundesrat hat bereits 2017 darauf hingewiesen, dass mit der Digitalisierung in der Arbeitswelt auch Anpassungen und flexiblere Lösungen im Sozialversicherungsrecht gesucht werden müssten. Er erteilte dem Innendepartement den Auftrag, bis Ende 2019 Optionen aufzuzeigen, bei denen «Prekarisierungsrisiken und Lastenverschiebungen auf die Allgemeinheit und den Bundeshaushalt vermieden werden können». Der Bericht ist bis heute nicht erschienen.

«Die umfangreichen Klärungen benötigten mehr Zeit als veranschlagt», teilt das Bundesamt für Sozialversicherungen auf Anfrage mit. Dazu gehörten neben Hearings mit Plattformfirmen und dem Einbezug diverser Bundesstellen auch ein externes Forschungsmandat zu innovativen Geschäftsmodellen und ein Austausch mit den Sozialpartnern. «Hinzu kamen erhebliche Verzögerungen durch die Covidkrise», heisst es beim Bundesamt. Der Bericht soll bis Ende 2021 vom Bundesrat verabschiedet werden.

Uber «gesprächsbereit»

Uber-Fahrer in der Schweiz sollten weiterhin als Selbständige betrachtet werden, daran hält Uber fest. Die Anerkennung der Fahrer in Grossbritannien als «Workers» ändere daran nichts. «Diesen Status gibt es nur in UK. Er lässt sich nicht einfach auf andere Länder übertragen», sagt Uber-Sprecher Tobias Fröhlich. Uber argumentiert, ohne Arbeitsverpflichtung bestehe auch kein Arbeitsverhältnis. Uber mache keine Vorgaben dazu, wann, wo, wie lange oder wie oft ein Fahrer die App benutzen soll.

An neuen Lösungen zeigt sich Uber aber interessiert. «Politische und gesellschaftliche Akteure in der Schweiz führen Diskussionen über einen geeigneten Rahmen für die neuen Arbeitsformen. Wir möchten dazu beitragen», so Fröhlich. Man wolle «Selbständigen» helfen, von den technischen Fortschritten wie von einer besseren Absicherung zu profitieren.

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Peter Johannes Meier, Ressortleiter
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