Ein Paket voller Fragen
Die Schweiz stimmt am 13. Februar über die Subvention ihrer Medien ab. Dabei stellen sich viele Fragen – denn es geht nicht nur um gedruckte Zeitungen und Online-Medien. Wir klären auf.
Veröffentlicht am 24. Januar 2022 - 17:09 Uhr
- Worüber stimmen wir ab?
- Warum stimmen wir darüber ab?
- Wer ist dafür und wer ist dagegen?
- Um wie viel Geld geht es?
- Wer soll das bezahlen?
- Wofür ist das Geld gedacht?
- Werden Zeitungen und Zeitschriften billiger?
- Gibt es Millionen für Milliardäre?
- Profitiert auch der Beobachter von einem Ja?
- Hilft das Medienpaket der Vereinspresse?
- Bekommen Zeitungsverträgerinnen und -verträger mehr Lohn?
- Bekommen auch Gratismedien Geld?
- Welche Online-Medien bekommen Geld?
- Was ist mit den Journalistenschulen und Nachrichtenagenturen?
- Was geschieht bei einem Nein?
- Umfrage: Wie werden Sie abstimmen?
Über vier Bereiche. Im Parlament unbestritten war die Erhöhung der Gelder für die Zustellung gedruckter Zeitungen und Zeitschriften. Da die Post die Zustellung in den nächsten vier Jahren um 5,5 Prozent im Jahr erhöht, wird dieser höhere Preis vom Staat übernommen. Das gilt nur für abonnierte Zeitungen, nicht aber für Gratiszeitungen.
Die Subvention der Zustellung gedruckter Zeitungen und Zeitschriften ist nichts Neues. Der Staat gibt bereits heute 70 Millionen Franken im Jahr für die Verteilung regionaler und lokaler Blätter sowie Zeitschriften von Vereinen oder Verbänden.
Ebenso wenig Kritik wurde im Parlament zur Erhöhung der Beiträge an die regionalen Radio- und Fernsehsender geäussert.
Was letztlich zum Referendum aus den Parteien FDP und SVP führte, war die direkte Subvention bezahlter Online-Medien. Sie sollen erstmals Geld vom Staat erhalten. Für SP, Grüne und Grünliberale ist die Förderung der Online-Medien das Herzstück der Vorlage.
Parlament und Bundesrat vertreten die Ansicht, den Schweizer Medien gehe es finanziell schlecht. Damit die direkte Demokratie der Schweiz funktioniert, ist eine solide Information des Volkes wichtig. Daher sollen ausgewählte Medien ab 2023 mit doppelt so viel Geld gestützt werden wie bisher.
Zudem sollen Journalistenschulen und Nachrichtenagenturen finanziell profitieren.
Weil Bürgerliche gegen das Medienpaket aus der Feder der sozialdemokratischen Bundesrätin Sommaruga das Referendum erhoben. Staatsgelder machten die Medien von der Politik abhängig, sagen Bürgerliche. Die Medien verlören wegen der Subvention ihre Glaubwürdigkeit und ihre Distanz. Und damit würde ihre Funktion als vierte Macht im Staat geschwächt. Sie würden wegen der Gelder staatlich gelenkt und staatshörig.
Die Erhöhung der Zuschüsse für Lokalradios und Regional-TV sowie der Zustellung von Wochen- und Sonntagszeitungen war im Parlament kaum bestritten. Der Konflikt entzündete sich wegen der direkten Unterstützung von Online-Medien wie bajour.ch oder republik.ch. Die Linke setzte sich im Rat durch. Worauf die Bürgerlichen das Referendum ergriffen.
Fürs Paket sind die Grünen, die Grünliberalen, die SP und die Mitte (die ehemalige CVP). Hinzu bekennen sich auch einzelne Mitglieder der FDP und der SVP. Dagegen sind grossmehrheitlich die FDP, die SVP und einzelne Mitglieder der Grünliberalen und der Mitte.
Verbände wie Economiesuisse oder der Schweizerische Gewerbeverband lehnen die Medien-Subventionen ab. «Es besteht ein erhebliches Risiko, dass die zusätzlichen Subventionen ihren Zweck verfehlen und neue Abhängigkeiten schaffen», schreibt Economiesuisse.
Gemäss aktuellen Erhebungen sind 48 Prozent der befragten Schweizerinnen und Schweizer für die Annahme der Medienförderung und ebenso viele dagegen. Vier Prozent sind sich unschlüssig.
Es geht um zusätzliche 151 Millionen Franken im Jahr. Das heisst, den Zustellfirmen wie der Post und den Medien sollen jedes Jahr 287 Millionen Franken zufliessen statt 136 Millionen Franken wie bisher.
Der Ständerat wollte zehn Jahre lang Geld fliessen lassen, der Nationalrat bloss fünf Jahre. Man einigte sich auf sieben Jahre. Sie würden den Bund zusätzliche 1,057 Milliarden Franken kosten oder insgesamt 2,0 Milliarden Franken. Ob es bei diesen sieben Jahren bleibt, ist eine andere Frage. Ernsthaft glaubt niemand daran, dass der Geldfluss nach sieben Jahren, also ab 2030, plötzlich versiegt.
Das Geld stammt aus der Bundeskasse oder auch aus den Abgaben für Radio und Fernsehen. Seit Januar 2021 muss jeder Schweizer Privathaushalt 335 Franken im Jahr zahlen. Der Hauptteil dieser Gelder fliesst zur SRG.
Für vier Bereiche. 120 (statt 70) Millionen Franken für die Zustellung von Printprodukten, 109 (statt 81) Millionen Franken für Lokalradios und Regionalfernsehen, 30 Millionen Franken für Online-Medien und 28 (statt 5) Millionen Franken für Weiterbildung, für Nachrichtenagenturen und für den Presserat.
Nein. Die 120 Millionen Franken für die Lieferung von Printmedien fliessen an Zustellfirmen, nicht an die Medien. Der grösste Zusteller ist Presto mit über 6500 Angestellten. Presto ist eine Tochterfirma der Schweizer Post. Die Post ist vollständig im Besitz des Bundes.
Die Post erhöhte den Tarif zur Zustellung von Printmedien per Anfang 2022 für die Zustellung um 5,5 Prozent und wird dies jedes weitere Jahr bis 2025 tun. Somit werde die Zustellung der gegenwärtig 7500 Exemplare über 20 Prozent teurer, rechnete die Verlegerin der «Engadiner Post» dem Beobachter vor. «Es wäre uns schon sehr geholfen», wenn die höheren Preise der Post durch die höhere Medienförderung ausgeglichen würden, sagte sie.
Die Anpassung habe keinen Zusammenhang mit der Abstimmung über das Mediengesetz, schrieb die Post. Man habe die Preise letztmals 2016 erhöht. Zudem sei die Zustellung der Zeitungen und Zeitschriften seit jeher ein Verlustgeschäft.
Der Schweizer Medienmarkt wird weitgehend von CH-Media, NZZ, Ringier und TX-Group (früher Tamedia) beherrscht. Die Branche verdient weiterhin gutes Geld, vor allem im Online-Bereich mit Websites wie Autoscout24.ch, Homegate.ch, Immoscout24.ch, Jobs.ch oder Ricardo.ch.
Auflage und Erträge aus Abos und Werbung im Bereich Print dagegen sinken seit Jahren. Eine stärkere staatliche Förderung der Zusteller würde die Lieferung von Printmedien zumindest nicht verteuern. Kleinere Zeitungen erhalten dabei anteilsmässig mehr Geld als grosse, wobei: Alle Verlage bekommen Geld nur indirekt, also über die Subvention der Verteilung ihrer Printprodukte.
Die NZZ schätzt, dass vom geplanten Ausbau der Subventionen der Posttaxen «etwa 30 bis 50 Prozent auf die genannten vier Grossen entfallen». Die Gegner rechnen mit 70 Prozent, zählen aber zehn weitere Verleger wie Somedia oder die Mengis-Gruppe zu den Grossen.
Ob klein oder gross, bei allen gilt: Bei einem Nein würden die höheren Preise für die Zustellung vermutlich auf die Leserschaft überwälzt. Bereits heute kostet ein Jahresabo 355 Franken beim «Boten der Urschweiz», 589 Franken beim «Tages-Anzeiger» und 949 Franken bei der «Neuen Zürcher Zeitung».
«Die Medienkonzentration wird zunehmen» bei einem Nein, sagte Peter Wanner von CH-Media im Schweizer Fernsehen. Seine Firma hält über 80 Marken von der «Aargauer Zeitung» über «Tele-Züri» bis zum «Ostschweizer Trauerportal».
Vielleicht. Wird das Medienpaket angenommen, kann der Beobachter erstmals ein Gesuch um indirekte Medienförderung stellen, also via Verbilligung der Posttaxen. Bisher waren nur Medien berechtigt, die mindestens ein Mal pro Woche erscheinen. Der Beobachter, der vom Verlag Ringier Axel Springer Schweiz publiziert wird, war mit seiner zweiwöchigen Erscheinungsweise nicht dabei.
Die Details zur neuen Gesetzgebung sind aber noch offen, es liegt keine Verordnung vor. Zudem könnte ein grosser Teil der möglicherweise gesprochenen Verbilligungen durch Preiserhöhungen der Post gleich wieder abgeschöpft werden.
Dem Verband der Schweizer Sportkegler jedenfalls nicht. Man erhalte nichts, antwortete der Verband dem Beobachter. Die Druckauflage des Verbandsblattes «Sportkegler» liegt bei 680 Stück. Zu wenig, um in die Kränze zu kommen. Die unterste Limite, um öffentliche Gelder zu erhalten, liegt bisher bei einer Auflage von 1000 bezahlten Mitglieder-Exemplaren.
Der Chefredaktor der Schweizerischen Briefmarkenzeitung mochte die Auflage nicht bekannt geben. Man verhalte sich politisch und konfessionell neutral, schrieb er. «Wir lassen die Zeitschrift beglaubigen, einerseits unseren Inserenten gegenüber und für die Reduktion der Postgebühren. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.»
Eine Beglaubigung für die Vereinspresse kostet bei der AG für Werbemedienforschung Wemf in Zürich für Medien bis 5000 Exemplaren Auflage rund 730 Franken. Jedes Jahr.
Es werden pro Jahr über 1100 Beglaubigungen durchgeführt. Davon gehören etwa 450 zur Mitgliedschafts- und Stiftungspresse, schrieb die Wemf. Ohne Beglaubigung gibt es keine Presseförderung.
Wobei auch ein Notariat die Beglaubigung vornehmen kann. Wesentlich günstiger. Im Fall der Vierteljahreszeitschrift «Seniorin» mit einer Auflage von 16'000 Exemplaren kostete die Beglaubigung beim Notariat Zürich Riesbach Fr. 225.40, sagte der Verleger dem Beobachter.
Nein. Eine Lohnerhöhung steht nicht bevor, die Tarife wurden im Herbst 2021 ausgehandelt. Angestellte der Post-Tochter Presto beladen ihren Handwagen oder ihr Fahrzeug von Montag bis Samstag ab 5 Uhr früh. Bis um 6.30 Uhr sollten sie alle Zeitungen und Zeitschriften verteilt haben. Ihr Stundenlohn beträgt Fr. 22.07. Nach fünf Jahren bei Presto bekommen Angestellte 100 Franken Treueprämie.
Nein. Unterstützt werden nur abonnierte Zeitungen und bezahlte Online-Medien – und neu auch der Vertrieb grosser Blätter wie NZZ oder «Tages-Anzeiger».
Gratisblätter wie «20 Minuten» von TX-Group (früher Tamedia), «Öise Lade» des Detailhändlers Volg, der «Berner Landbote» oder das «Tagblatt der Stadt Zürich» wurden und werden nicht subventioniert.
Auch das gratis verteilte unabhängige Zürcher Quartiersblatt «Höngger Zeitung» mit seinen 13’378 Exemplaren erhält vom Staat nichts. «Es heisst zwar, dass die Initiative kleine, regionale Medien stärkt und ihre Existenz sichert», schrieb die Geschäftsleiterin des «Hönggers» dem Beobachter. «Das betrifft aber nur solche, die via Abo vertrieben werden (Zustellkosten).»
Ihr Verlag stellt sich dennoch hinter die Vorlage: «Natürlich sind die Medien systemrelevant.»
Dass Gratismedien kein Staatsgeld erhalten sollen, halten Gegner für eine Diskriminierung. Gerade Junge und Leute mit wenig Geld könnten sich kein teures Zeitungs-Abo leisten und würden daher von fundierter Information ausgeschlossen.
Nur Medien, für die man zahlt. Entweder man löst ein Abo oder eine Mitgliedschaft. Das gilt zum Beispiel für republik.ch. Wenn das Gesetz vom Volk angenommen wird, will die Redaktion der «Republik» ihre Leserschaft befragen, ob sie die Subventionen annehmen soll oder nicht.
Wie hoch die Subvention sein wird, ist abhängig vom Verhältnis der Einnahmen aus dem Kreis des Publikums oder von der Werbung. Die «Republik» ist werbefrei. Die Plattform watson.ch hingegen nimmt wenig Geld aus dem Publikum ein, dafür mehr an Werbung. Damit sinkt der Anteil an Bundesgeldern.
Redaktionen von Online-Plattformen wie der Basler Prime News halten die Idee von Subventionen für unnötig. Medien müssten «nur schon der Anschein» von Nähe zur Macht meiden, sagte Anja Sciarra von Prime News im «Zischtigsclub».
Es gibt bloss noch eine einzige wichtige, die Foto- und Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Sie gehört zu 70 Prozent dem Verband Schweizer Medien, also den Verlagen. Und zu 30 Prozent der österreichischen Agentur APA. Die SDA informiert in Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch.
Auf Rätoromanisch informiert die Stiftung FMR. Das Jahresbudget der kleinen Nachrichtenagentur von 1,8 Millionen Franken wird schon heute vollständig von der öffentlichen Hand getragen.
Auch Journalistenschulen sind nicht breit gesät. Als wichtigste unabhängige Institution gilt das Medienausbildungszentrum MAZ in Luzern. Der Ringier-Verlag unterhält eine hauseigene Journalistenschule.
Unterstützt werden soll auch der Schweizer Presserat. Er wacht über die Einhaltung des gültigen Verhaltenskodex für alle Journalisten und dient dem Publikum wie auch den Medienschaffenden als Beschwerdeinstanz.
Wie das Geld letztlich verteilt wird, ist unklar. Die Verordnung liegt noch nicht vor.
Dann werden Schweizer Medien beziehungsweise Zusteller wie Presto mit weiterhin 136 Millionen Franken im Jahr gestützt und nicht mit 287 Millionen Franken. Damit steige das Risiko, dass weitere Zeitungen verschwinden und Lokalradios und das Regionalfernsehen geschwächt würden. Sagen die Abstimmungsunterlagen.
Dazu die Verlegerin der «Engadiner Post», Martina Gammeter: «Die Abo-Preise würden mittel- bis langfristig deutlich steigen. Und unsere digitale Wettbewerbskraft würde dadurch geschmälert.»
Bei einer Ablehnung ändere sich nichts, sagt der Verlagsleiter der «Schaffhauser AZ», Mattias Greuter: «Das Geschäftsmodell darf sich nicht an möglichen zusätzlichen Subventionen orientieren und tut das auch nicht. Dank stark wachsender Abozahlen und mit Hilfe eines Gönnervereins ist die Finanzlage der AZ mehr als stabil.»
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1 Kommentar
NEIN zu Mediensubventionen: Unabhängige Medien lassen sich nicht vom Staat subventionieren.
Mit der indirekten Presseförderung werden vor allem die intransparenten Preise des Staatsbetriebes Post bezahlt. Auch die elektronischen Medien sollen wieder vom Staat statt bloss von ihren Kunden Geld erhalten. Auch der von den Gewerkschaften unterwanderte Presserat soll wieder Steuergeld bekommen. Geld stinkt zwar nicht, aber macht abhängig. Mein Verdacht: SP und Grüne wollen die Medien unterstützen, damit diese sich nicht an ihren (nicht so linken) Leser:innen orientieren müssen.
Viele Menschen besitzen ein Zeitungsabo, bezahlen also dreifach: das Abo ihrer Wahl, die SRF-Gebühren und die indirekte Medienförderung, die es schon lange gibt. Die Zuschüsse weiter auszubauen, ist darum wirklich ein schlechter Witz.
Aus liberaler Sicht ist es einfach: Unabhängige Medien lassen sich nicht vom Staat subventionieren. Mehr Staatshilfe gewährleistet keine Qualität, aber sie verringert die Glaubwürdigkeit. Wer Lust hat, seinen Lieblingsgrossverleger zu unterstützen, aus Angst, sonst seine Zeitung zu verlieren, kann ihn ja aus eigener Tasche sponsern oder ein Abo abschliessen.