«Mit Gebühren könnte man auf den Ausbau verzichten»
Die Autobahnen auf sechs Spuren auszubauen, sei notwendig, sagt Verkehrsforscher Kay Axhausen – weil Alternativen politisch nicht durchsetzbar seien. Er wünscht sich deshalb den Mut, Strassengebühren zumindest zu testen.
Veröffentlicht am 14. Januar 2019 - 11:47 Uhr,
aktualisiert am 14. Januar 2019 - 17:37 Uhr
Beobachter: Der Bundesrat will längerfristig alle Autobahnen auf sechs Spuren ausbauen. Ist das sinnvoll?
Kay Axhausen: Es ist eine Anpassung an die Begebenheiten. Die Schweiz steuert auf zehn Millionen Einwohner zu, der Wirtschaft geht es gut – also wird der Verkehr zunehmen. Wenn wir nicht mehr Strassen bauen, bleiben wir im Stau stecken. Eine zusätzliche Spur gibt zudem eine Reserve bei Sanierungen und Unfällen.
Noch mehr Beton
, noch mehr Platz, der dem Auto geopfert wird. Gibt es keine Alternativen?
Man könnte versuchen, den Verkehr auf die Schiene zu verlagern. Dafür müsste man aber dort ausbauen. Auch das frisst Platz und wäre zudem dramatisch viel teurer, da man wahrscheinlich Tunnel bauen würde.
Was bietet die Automatisierung für Möglichkeiten? Roboterautos
können künftig viel näher auffahren, halten immer die optimale Geschwindigkeit – trotz mehr Autos gibt es dann weniger Stau.
Bis es so weit ist, wird es noch Jahrzehnte dauern. Es wird zwar erwartet, dass der Verkehr auf den Autobahnen wohl früher automatisiert wird als in der Stadt – weil hier keine Trams, Velofahrer oder Fussgänger unterwegs sind. Die ersten vollständig automatisierten Fahrzeuge wird es aber wohl erst in rund 20 Jahren geben. Bis diese den Markt durchdrungen haben, dauert es mindestens nochmals 30 Jahre. Und erst dann schafft die Automatisierung mehr Kapazität, wenn alle Autos automatisiert und aufeinander abgestimmt unterwegs sind. Solange auch noch nicht-automatisierte Autos herumfahren, wird die Kapazität der Strassen eher etwas sinken
. Weil man die automatisierten Autos sehr vorsichtig einstellen wird, um Unfälle zu vermeiden.
Cargo sous terrain, der unterirdische Warentransport per Bahn, könnte aber bereits früher die Strassen entlasten.
Ja, obwohl auch dieses Projekt erst am Anfang steht. Es ist zudem nur eine Entlastung für die Hautptachsen, für den Verkehr vom Grossraum Zürich zur Agglo Bern etwa. Von dort müssen die Waren immer noch verteilt werden.
«Immer nur mehr Strassen zu bauen, kostet auch Geld.»
Kay Axhausen, Professor für Verkehrsplanung an der ETH Zürich
Aber die Autobahnen sind doch Hauptachsen zwischen den Städten?
Nur bedingt. Autobahnen sind etwas überspitzt gesagt vor allem Umgehungsstrassen der Städte, gerade in der Schweiz. Denken Sie an den Nordring Zürich: Man fährt dort vielleicht weitere Strecken, der Verkehr stört aber weniger. Von daher kann es sinnvoll sein, diese Strassen auszubauen.
Kann man nicht verhindern, dass es immer mehr Verkehr gibt?
Man kann schon. Die Frage ist, ob man das will – und zu welchem Preis. Würde man Strassengebühren einführen, könnte man auf den Strassenausbau verzichten. Genug Autofahrten, die heute aus Bequemlichkeit gemacht werden, fielen dann weg. Der Bundesrat denkt inzwischen zumindest über ein sogenanntes Mobility-Pricing
nach, seitens der Städte und Kantone war das Echo aber sehr mau, so etwas nur schon mal zu testen.
Sie wären dafür, Strassengebühren zu testen?
Ja, unbedingt. Dann sieht man, was für einen Gegenwert man dafür bekommt. In Stockholm etwa hat die Regierung einen Versuch durchgeführt. Nur noch wer zahlte, durfte tagsüber mit dem Auto in die Stadt. Nach einer sechsmonatigen Testphase konnte die Bevölkerung abstimmen, ob sie zum alten Gratis-Regime zurückkehren oder das Verkehrssystem mit Benutzungsgebühren beibehalten will – und die Mehrheit der Stockholmer wollte die Gebühren beibehalten. Weil der Verkehr abnahm, die Stadt ruhiger wurde und die Leute, die aufs Auto nicht verzichten wollten oder konnten, wieder schneller vorankamen.
Was schlagen Sie für die Schweiz vor?
Dass auch hierzulande Bund, Kantone und Gemeinden genügend Geld für einen solchen grossangelegen Test zur Verfügung stellen. Wir reden hier von wahrscheinlich mehreren hundert Millionen Franken, die es braucht, um für ein grösseres Gebiet ein Mautsystem einzurichten und Strassen und eventuell Autos mit der nötigen Hard- und Software auszurüsten. Aber einfach immer nur mehr Strassen
zu bauen, kostet schliesslich auch Geld.
Zur Person
Seit 2007 muss zahlen, wer mit dem Auto in die Innenstadt der schwedischen Hauptstadt Stockholm fahren will. Vorausgegangen war ein sechsmonatiger Test: Vor dieser Testphase sprachen sich in Umfragen fast 70 Prozent der Stockholmer gegen eine Maut aus. Danach änderten sich die Meinungen: Nach den sechs Monaten stimmten in einem konsultativen Referendum 52 Prozent der Stadtbevölkerung dafür, die Maut beizubehalten. Die Bevölkerung aus dem Umland von Stockholm hingegen lehnte sie weiterhin mit 62 Prozent Nein-Anteil ab. In der Zwischenzeit zeigen Umfragen, dass die Maut breit akzeptiert ist.
4 Franken zu Stosszeiten
Allein für die Testphase gab die Stockholmer Regierung fast 400 Millionen Franken aus. Allerdings wäre es bei einem Nein der Bevölkerung rechtlich nicht zwingend gewesen, die Maut wieder abzuschaffen. Ziel der Stockholmer Maut ist es in erster Linie, Stau zu vermeiden. Und nicht wie in anderen Städten mit Maut-Systemen, Geld für den Strassenbau zu erhalten. Die Maut fällt deshalb nur tagsüber und an Werktagen an. Während den Stosszeiten ist die Gebühr am höchsten. Sie beträgt dann 35 Kronen, knapp 4 Franken.
Da die Stockholmer Innenstadt in weiten Teilen von Wasser umgeben ist, existieren nur 18 Zufahrten. Fahren die Autos in die mautpflichtige Zone hinein oder aus ihr hinaus, werden die Nummernschilder elektronisch erfasst. Denn sowohl die Fahrt in die Stadt hinein wie auch hinaus ist kostenpflichtig. Fahrten innerhalb der Stadt hingegen nicht. Da es keine Zahlstationen gibt, wird der Verkehrsfluss nicht gehemmt. Erfassungsgeräte in den Autos sind nicht nötig.
7 Kommentare
NEIN zum Autobahnausbau: SVP fällt die Zuwanderung auf die Füsse.
Es ist Zeit anzuerkennen, dass der Kampf für nationale Souveränität und das Eintreten für soziale und ökologische Anliegen kein Widerspruch sein muss.
NEIN zum Autobahnausbau: Mit Mobility Pricing Verkehrsaufkommen reduzieren.
Die Belastung der Infrastrukturkapazitäten der Schweiz stösst gleichzeitig vielerorts an ihre Grenzen. Ihr Ausbau ist teuer, oft nicht möglich oder unerwünscht. Mobility Pricing ist eine direkte Folge der Überlastung der Verkehrskapazitäten. Primäre Ursache: Die masslose Zuwanderung innert kurzer Frist.
Selbst wenn es tatsächlich wie Herr Axhausen sagt noch 20 Jahre geht, bis vollständig autonome Autos unterwegs sind:
Vom politischen Entscheid, über die Planung, den Bau bis zur Inbetriebnahme eines Autobahnausbaus werden auch locker 10 Jahre verstreichen. Lohnt sich dann der Ausbau noch, wenn er lediglich 10 Jahre später durch autonome Fahrzeuge unnötig wird? Ich denke nicht.
Gefragt sind daher günstige Lösungen für die verbleibende Zeit bis zum Durchbruch autonomer Fahrzeuge. Ich denke da an Fahrgemeinschaften, Temporeduktion und wie im Interview erwähnt auch Road-Pricing.