«Schöner saufen» – ein ungewöhnlicher Crashkurs
Viele haben Hemmungen, über Wein zu sprechen – denn der Snob nebenan weiss alles besser. Zwei junge Experten helfen gegen diese Angst.
Veröffentlicht am 7. Dezember 2017 - 14:09 Uhr,
aktualisiert am 7. Dezember 2017 - 14:05 Uhr
Was? Dieser geschmeidige Rotwein soll nach «nassem Hund» schmecken? Und der süffige Weisse riecht nach «Katzenpisse»? Wer so etwas sagt, hat doch keine Ahnung vom edelsten aller Getränke!
Benjamin Herzog und Dominik Vombach haben viel Ahnung von Wein. In der Runde, die sie an einem regnerischen Samstagabend einberufen haben, nehmen es die beiden Winterthurer trotzdem mit heiterer Gelassenheit, wenn ihre Tropfen unter Hunde- und Pisseverdacht geraten. «Nichts ist subjektiver als der eigene Geschmack. Und zugleich ist nichts weniger falsch – egal, was die andern erzählen», findet Herzog.
Der 32-Jährige im karierten Hemd, der sich als Journalist ganz dem Wein verschrieben hat und ausserdem herbes Bier und Wurstwaren aller Art mag, führt unter dem Motto «Schöner saufen» durch einen Sensorik-Lehrgang für Einsteiger. Mit Flasche und Glas an seiner Seite steht Dominik Vombach, 35, Hemd und Bart auch er, studierter Önologe und früher Redaktor eines Weinmagazins. Auch er mag bei Weissen und Roten keine vorgestanzten Normen. «Wein trinken ist wie Musik hören: Die Vorlieben sind individuell.»
Die Experten Benjamin Herzog und Dominik Vombach empfehlen Weine zu klassischen Weihnachtsschlemmereien der Schweizerinnen und Schweizer.
Das ist es, was «Schöner saufen» letztlich will: dem Wein das bemüht Elitäre nehmen, ihn ohne Allüren und Brimborium als das wahrzunehmen, was er ist – ein landwirtschaftliches Produkt. Geschmack statt Gerede. Doch ein paar flotte Sprüche von Herzog und Vombach dürfen schon sein in diesem ungewöhnlichen Crashkurs.
«Becher sind gut zum Saufen. Aber nicht zum schöneren Saufen.»
Wein soll nicht bierernst sein. Aber auch nicht stillos, bitteschön! Becher als Trinkgefässe fallen deshalb ausser Betracht. Die Frauen und Männer, die an der langen Tafel im Feinkostladen Bachsermärt im Zürcher Kreis 3 Platz genommen haben, erhalten stattdessen je ein Wasser- und ein Weinglas. Die Nase erschnuppert im Vergleichstest frappante Unterschiede – nur im bauchigen Weinglas bleiben die Duftstoffe des Muscadets hängen. Im offenen Wasserglas dagegen verflüchtigen sie sich bis zur Unkenntlichkeit.
Erster Lehrblätz: Wein braucht ein richtiges Weinglas. Immer.
«Zitrusfrüchte? Das habt ihr gut herausgefunden. Jeder Weisse riecht nach Zitrusfrüchten.»
Einen Schritt weiter. Die önologischen Novizen sollen frisch von der Leber weg beschreiben, woran sie die Aromen zweier Weissweine erinnern. «Zitrusfrüchte» ist ein sicherer Wert. Aber das verfängt bei Benjamin Herzog nicht. «Nicht so brav, seid mutiger», treibt er die Gruppe an. Und ungesagt: Verlasst das übliche Schema – nichts ist falsch, alles richtig, es soll euch nur schmecken. «Petrol», schlägt Herzog nun selber vor, «findet ihr nicht?» Alle nicken. Dann endlich hat eine junge Frau den Mut zur «Katzenpisse».
Der Wechsel von der Nase zum Gaumen bringt die Überraschung. Der trockene Riesling holt beim Schnüffeln noch Bestnoten, doch im Mund wirkt er eher flach. Und der Gewürztraminer aus dem Elsass, der die Nase aufs Katzenklo verleitet hat, punktet dafür im Gaumen mit Wucht und Frucht.
Merke: Beim Wein ist manches nicht so, wie es scheint.
«Das Auge schmeckt mit.»
Das gilt auch für die Farbe. Ein Teil der durstigen Truppe nippt an einem unbekannten Weissen und findet wenig schmeichelhafte Einschätzungen. Sperrig sei er, melden die Sensoren. Der andere Teil hat einen hellen Rosé vor sich – und findet ihn lieblich, «wie Himbeeren». Jetzt können sich die Moderatoren Herzog und Vombach ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Denn die Wahrheit ist: Beide Gruppen haben den exakt gleichen Wein getrunken, einen billigen Chardonnay aus Chile. Die Sinne ausgetrickst haben lediglich ein paar Tropfen Lebensmittelfarbe, ohne Einfluss auf den Geschmack.
«Wenn ihr Wein gern etwas wärmer trinkt: Macht das – aber ladet uns nicht dazu ein.»
Der Kurs «Schöner saufen» räumt auch mit manchem Mythos auf. Einer besagt, dass man Rotwein am besten bei Zimmertemperatur geniesst. «Doch das stammt aus einer Zeit, als die Häuser noch nicht auf 24 Grad geheizt wurden», erklärt Dominik Vombach. Wenn es nach ihm geht, darf man ruhig etwas runter mit der Trinktemperatur. Noch mehr Kühle empfiehlt er, wenn eine angefangene Flasche aufbewahrt werden soll. Auch beim Roten gilt: Zapfen drauf und ab in den Kühlschrank – vor dem Weitertrinken einfach beizeiten wieder herausnehmen.
Der Direktvergleich mit einem Nebbiolo d’Alba offenbart den Einfluss der Temperatur auf den Geschmack. Im Glas in der linken Hand ist er eiskalt – irgendwie pelzig auf der Zunge; je kühler, umso stärker sind die Tannine zu spüren, die Gerbstoffe in den Schalen und Kernen der Traube. Der Saft rechterhand ist fast badewannenwarm – gleichfalls irritierend. Beide Varianten, einzeln so serviert, scheinen kaum etwas miteinander zu tun zu haben und sind nicht zu empfehlen. Erst wenn der Inhalt beider Gläser zusammenschüttet wird, nimmt der Nebbiolo geschmacklich Fahrt auf.
«Luft ist eigentlich die Feindin des Weins. Doch in vernünftiger Dosis ist sie eine Helferin.»
In der letzten Sensorik-Lektion muss ein katalanischer Cuca de Llum herhalten. Ihm widerfährt, was Weinpuristen die Zornesröte ins Gesicht treiben würde: Der Rotwein wird nicht nur geschüttelt, sondern regelrecht aufgeschäumt – im Mixer. Als dunkelrosa Brühe kommt der brachial durchlüftete Tropfen ins Glas. Zuvor haben die Kursteilnehmer erfahren, dass Sauerstoff dem Wein grundsätzlich schadet, weil er die Oxidation fördert. Daher die Frage: Kann das gut gehen?
Es geht bestens. In der Gegenüberstellung bekommt der unbelüftete Rote sein Fett als «nasser Hund» ab; die Runde ist mit steigender Trinkleistung mutiger geworden. Die gemixte Version legt im Vergleich zu, ist dank der zusätzlichen Luft deutlich fruchtiger. Als Ergebnis nehmen die «schöneren Säufer» dieses Abends zweierlei mit: Rotwein in eine Karaffe zu dekantieren, durchaus mit etwas Schwung, macht Sinn – so «atmet» er. Bloss den Zapfen eine Stunde vor dem Genuss zu öffnen, bringt hingegen gar nichts, dafür ist die Flaschenöffnung zu klein.
Die Rebe gilt als eine der frühesten Kulturpflanzen überhaupt. Erste Hinweise auf Weinbau deuten aufs Jahr 6000 vor Christus. Wein ist uralt. Das Publikum an diesem «Schöner saufen»-Kurs ist ziemlich jung, in der Mehrheit weiblich, durchwegs urban. Passt hervorragend, finden Benjamin Herzog und Dominik Vombach. Sie beide repräsentieren den Trend auch selbst: Die Generation um die 30 will Wein neu entdecken – bevorzugt die naturnahen Formen, dem Zeitgeist gehorchend. Ein Beleg dafür sind auch sogenannte Naturweine, die es neuerdings in Szenebars auf die Getränkekarten schaffen.
Naturweine sind spontanvergoren, verzichten weitgehend auf moderne Vinifikationsverfahren. Sie werden ohne die üblichen Schönungsmittel produziert, etwa ohne Eiweiss, mit dem der Kellermeister sonst den rauen Tanningeschmack eindämmt. So entstehen Weine mit Ecken und Kanten, mit teils ungewohnten Aromen. Zum Reinschmecken servieren Herzog und Vombach einen roten «Überwein» aus dem Burgenland.
Ihnen gefällt die Rückbesinnung auf althergebrachte Methoden, weil dadurch das Herzblut und die Sorgfalt der Weinmacher wieder mehr Gewicht bekommen. Die Leute, die hinter den weissen und roten Säften stehen, seien ohnehin das Wichtigste, sagt Benjamin Herzog. Sein Schlusswort ist würzig wie ein Pinot noir: «Nichts Schlimmeres, als einen guten Wein zu trinken, wenn der Winzer ein Arschloch ist.»