Hassparolen in Hitparaden
Gangster-Rapper begeistern die Schweizer Jugendlichen und brechen Verkaufsrekorde – mit Texten, die Frauen niedermachen.
Veröffentlicht am 17. Juli 2020 - 14:42 Uhr
Hier müsste eigentlich eine Warnung stehen. Etwas in Richtung: «Achtung, expliziter Inhalt. Nicht geeignet für Leserinnen und Leser unter 18 Jahren.» Aber gerade Teenager stehen auf Gangster-Rapper wie Capital Bra, Kollegah oder Al-Gear, in deren Texten es richtig zur Sache geht.
Kostprobe gefällig? «Schlag dir die Zähne raus, man hört nur noch dein Fotzengeschrei, logge mich ein bei Instagram, es wird auf Story geteilt.»
Oder: «Es ist Kampfgeschrei, was nachts aus unserem Schlafzimmer dringt, weil dank mir in deinem Gleitgel ein paar Glassplitter sind.»
Unter dem Hashtag #unhatewomen macht die deutsche Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes auf frauenverachtenden Hate Speech aufmerksam. Ein Blick in die Schweizer Hitparade und die Spotify-Charts zeigt: Songs, die Frauenhass feiern, belegen auch hierzulande Spitzenplätze.
«Was das Frauenbild betrifft, leben gewisse deutsche Gangster-Rapper im Mittelalter», sagt Pablo Vögtli, Moderator bei SRF Virus und Mitbegründer des Schweizer Live-Rap-Events «Bounce Cypher». Es gehe um Aufmerksamkeit. «Hip-Hop ist zum totalen Mainstream geworden. Da ist viel Geld im Spiel. Millionen 14-, 15-Jährige kaufen den Sound.»
Wie aber kann es passieren, dass die gewaltverherrlichenden Texte so wenig Protest auslösen in einer Gesellschaft, die rassistische und homophobe Äusserungen von Gesetzes wegen bestraft? Vögtli spricht von einer Art Diskriminierungswettbewerb. «Antisemitische Lines und Rassismus finden alle schlimm, homophobe Texte stossen immer häufiger auf Widerstand.» Beim Sexismus sei das ein bisschen anders. «Die Lines dieser Rapper spiegeln bis zu einem gewissen Grad die gesellschaftliche Realität», so der SRF-Musikexperte.
Echt? Auch die Zürcher Rapperin Big Zis wehrt sich dagegen, einzig die Musiker verantwortlich zu machen. «Solche Textzeilen widerspiegeln die Machtverhältnisse in der Gesellschaft.» Selbst Mirjam Aggeler, Geschäftsleiterin von FemWiss (siehe Interview weiter unten), sagt: «Der Rap hat den Sexismus nicht erfunden.»
Beim grössten Hip-Hop-Festival Europas, dem Open Air Frauenfeld, wurde Anfang Jahr mit der Regenbogenflagge «für den Schutz und gegen Hass von Homosexuellen» geworben. Nicht aber mit dem Schutz der Frauen: Im Line-up waren Gangster-Rapper wie Capital Bra und Co.
Schlagzeilen machte der deutsche Musikpreis Echo. 2018 zeichnete er die Rapper Kollegah und Farid Bang aus. Ein Auszug aus dem prämierten Album: «Dein Chick ist ’ne Broke-Ass-Bitch, denn ich fick sie, bis ihr Steissbein bricht.» Widerstand gab es kaum. Hingegen brauchte es nur einmal das Wort «Auschwitz », damit sie den Echo zurückgeben mussten und der Musikpreis abgeschafft wurde.
Wie entscheidet man bei Radio SRF, welche Songs über den Äther gehen? Er verlasse sich auf sein Bauchgefühl, sagt Pablo Vögtli. «Grundsätzlich bin ich pro künstlerische Freiheit und gegen Zensur.» Rap sei eine Kunstform, Beleidigungen gehörten dazu. «‹Bitch›, ‹Fotze›, ‹Schwuchtel› sind heikle Ausdrücke – im richtigen Kontext habe ich aber kein Problem damit. Wenn eine Rapperin ‹Fotze› sagt, ist das etwas ganz anderes, als wenn es ein Mann tut.»
Und was sagt Michael Schuler, Leiter der SRF-Musikredaktion? Es gebe kein Regelwerk, in dem festgehalten sei, welche Wörter vorkommen dürften und welche nicht. Es gebe auch keinen Grund dafür. Songtexte hätten schon immer provoziert, auch im Punk oder im Metal . Gleichzeitig habe er natürlich kein Interesse daran, das Publikum zu verärgern.
«Dini Fründin isch e Slut, abgfuckt und verbrucht, kaputte huere Huufe…»
Benjamin Häberli aka 24 Dias, Schweizer Nachwuchs-Rapper
Heftige Reaktionen gab es nicht nur auf deutschen Gangster-Rap, sondern auch wegen «eusem Baschi». Die Liedzeile «Oh, wenn das Gott wüsst. Er wörd vom Hemel gheie, mer de Sack lang zieh ond de Schwanz omdreie» führte zu Protest von Menschen, die ihre religiösen Gefühle verletzt sahen.
Und der Deutsch-Rap? «Da haben wir den Vorteil, dass die meisten Songs nicht in unser Programm passen, unabhängig vom Text.» Was aber, wenn kontroverse Rapsongs in der Hitparade vordere Ränge belegen? «Wir versuchen, einen Mittelweg zu finden», sagt Michael Schuler. «Teilweise spielen wir sie nur an, oder wir liefern eine Einordnung mit.»
Big Zis findet: «Es muss endlich etwas passieren.» Die öffentlich-rechtlichen Stationen müssten mehr Verantwortung übernehmen, sich aktiv in die Diskussion um Sexismus einbringen und «solches Zeug nicht einfach über den Äther lassen». Genauso wie das Wort «Nigger» für weisse Rapper Tabu sei, müsse «Bitch» den weiblichen MCs vorbehalten bleiben. Die Ausrede von künstlerischer Freiheit lässt Big Zis nicht gelten. Wirklich intelligente, angriffige und kreative Lines zu schreiben, ohne auf Stereotype zurückzugreifen, sei anspruchsvoll. «Dafür sind diese Typen doch einfach zu faul.»
Die Sender bewegen sich durchaus im Graubereich, wenn sie gewisse Deutsch-Rapper spielen und am Cypher darüber hinwegsehen, dass Schweizer Nachwuchs-Rapper wie 24 Dias, bürgerlich Benjamin Häberli, rappen: «Dini Fründin isch e Slut, abgfuckt und verbrucht, kaputte huere Huufe, sie kackt der uf de Buch.»
Im Radio- und Fernsehgesetz steht unmissverständlich: «Die Sendungen haben insbesondere die Menschenwürde zu achten, dürfen weder diskriminierend sein noch zu Rassenhass beitragen noch die öffentliche Sittlichkeit gefährden noch Gewalt verherrlichen oder verharmlosen.»
Die Schweizer Rap-Szene habe ein Sexismusproblem, sagt Big Zis. Einen der Gründe sieht sie bei den abwesenden Vätern. «Die meisten Buben werden heute von Frauen betreut. Daheim, in der Kita, im Kindergarten. Männliche Vorbilder fehlen. Frauenverachtende Zeilen sind dann die perfekte Rebellion.»
Moderator Pablo Vögtli stellt immerhin Veränderungen fest, «zumindest in der Schweizer Szene. Es gilt hierzulande inzwischen als cool, als Rapper LGBTQ -freundlich zu sein.» Kleine Schritte der Veränderung, die Sexismusdebatte in den Texten habe erst begonnen. Das brauche Zeit, denn man müsse ehrlich sein: «Die Abwertung der Frauen ist die letzte Hürde.»
Beobachter: Was lösen die von der #unhatewomen-Kampagne gesammelten Hasszeilen bei Ihnen aus?
Mirjam Aggeler: Diese Rapzeilen legitimieren physische und psychische Gewalt gegen Frauen
– um nicht zu sagen: Sie feiern die Gewalt als Coolness und Männlichkeitskult. Allerdings hat Rap den Sexismus nicht erfunden. Die Allianz zwischen Sexismus und klingelnden Kassen ist allgegenwärtig.
Sexism sells.
Ja, die Unterhaltungsbranche ist voll mit diskriminierenden Inhalten. Auch im kommunen Pop werden wir schnell fündig. Im Lied «Blurred Lines» von Robin Thicke, das seit 2013 von allen Radiosendern hoch und runter gespielt wird, sind Zeilen wie «I'll give you something big enough to tear your ass in two» – «Ich werde dir etwas geben, das gross genug ist, deinen Arsch in zwei Teile zu reissen» –, die deutlich machen: Gewalt gegen Frauen ist absolut salonfähig.
Wo hört die Kunstfreiheit auf?
Wenn Freiheit als Deckmantel für Diskriminierung missbraucht wird, müssen wir uns dringend darüber verständigen, was Freiheit bedeutet. Es ist absurd, wenn mit dem Verweis auf künstlerische Freiheit Gewalt ausgeübt wird. Tatsächlich sind diese Texte viel gesellschaftskonformer, als sie es wohl sein wollen und es uns lieb ist. Eigentlich leisten sie nichts weiter, als die Blüten des Patriarchats zu befruchten. Da stellt sich die Frage: Können wir auf Kunst, die bestehende Verhältnisse nur reproduziert, nicht verzichten?
Sie fordern ein Verbot?
Verbote führen kaum zu einem Kulturwandel. Dennoch könnte ein Verbot in diesem Fall eine nachhaltige Wirkung entfalten, sofern es bei der Verbreitung und nicht bei der Produktion ansetzt. Dadurch würde erstens verhindert, dass aus diskriminierenden Inhalten Kapital geschlagen wird. Und zweitens wären wir nicht mehr der permanenten Berieselung durch solche Inhalte ausgesetzt. Das würde unser Bewusstsein vor der Normalisierung solcher Gewalt bewahren.
Mirjam Aggeler setzt sich als Geschäftsleiterin von FemWiss Schweiz für Bildungs- und Chancengleichheit ein.
7 Kommentare
Solch frauenverachtende, gewaltverherrlichende Texte haben keine Berechtigung in allen Medien. Damit darf auch kein Geld verdient werden, solche Texte gehören verboten. Das ist die eine Seite, die andere ist, dass man dann verwundert ist, wenn Jugendliche, teils noch fast Kinder, bereits übergriffig werden.
Verbieten!
Solche Frauenverachtenden Texte haben trotz Meinungsfreiheit keinen Platz in den Medien, Da sind die Medien gefordert.
Recht!
Klare Verbote für Auftritte von respektlosen Darstellern! Wer sich in der Öffentlichkeit nicht zu benehmen weiss, gehört schon gar nicht auf eine Bühne! Uneinsichtige gehören von Staates wegen "erzogen" mittels längerfristigen Arbeitseinsätzen in der Öffentlichkeit (Abfall sammeln in Wäldern, an Ufern von Gewässern,....)!
Und wann wird dieser Type von Staates wegen erzieherische Massnahmen aufgebrummt (Arbeitseinsätze und Aufklärung, wie "Menschen" mit andern Menschen (Frauen und Männern) generell höflich und respektvoll umgeht?? Andere Frage: weshalb haben dieser "Type" so viele "Menschen" überhaupt zugehört = "mitgegangen = mitgehangen"!?
Genau!!