Am Ende zahlen Unschuldige
Schlampige Ingenieure kommen davon – ahnungslose Hauseigentümer haften. Der Fall Gretzenbach zeigt: Bei Baumängeln brauchts längere Verjährungsfristen.
Veröffentlicht am 8. November 2011 - 08:49 Uhr
«Niemand ist schuld», sagte Ende Oktober der Solothurner Oberrichter Daniel Kiefer und begründete mündlich das Urteil im Fall Gretzenbach. Sieben Feuerwehrleute starben im November 2004, als sie in einer Tiefgarage ein Feuer löschen wollten und die Decke einstürzte. Niemand ist schuld, obwohl Ingenieure erwiesenermassen die Statik des Garagendachs falsch berechnet und Gartenbauer sowie Bauherren zu viel Erde aufs Dach geschüttet hatten.
Der Ingenieur ist nicht schuld, weil seine Rechenfehler bereits verjährt waren, als die Decke einstürzte. Bauherren und Gartenbauer sind nicht schuld, weil sie zwar von den Rissen im Dach und der zu hohen Überschüttung wussten, aber laut Obergericht auf einen Brief vertrauen durften, in dem der Ingenieur eine Einsturzgefahr trotzdem verneinte.
«Das Urteil überrascht mich nicht», sagt der Zürcher Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch. «Im geltenden Strafrecht kann eine Tat bereits verjährt sein, bevor der Schaden überhaupt entstanden ist.» Das sei eine absurde Regelung. «Sie sollte vom Parlament geändert werden», meint der SP-Nationalrat. In Deutschland oder Österreich kommen unsorgfältige Ingenieure nicht so einfach mit Verjährung davon. Das Schweizer Parlament hat aber 2009 eine entsprechende Revision wuchtig verworfen. Begründung: Die Beweiserhebung werde durch längere Fristen schwieriger, und der Täter sei Jahre nach der Tat oft bereits resozialisiert.
Tragisch ist diese Rechtslage nicht nur für Hinterbliebene, sondern auch für Hauseigentümer. Wird der Gretzenbach-Freispruch rechtskräftig, haften nämlich einzig und allein die 36 Stockwerkeigentümer der Überbauung, zu der die Tiefgarage gehört – weil sie für Werkmängel einstehen müssen und deren Verjährungsfrist erst mit dem Einsturz zu laufen begann. Die Haftpflichtversicherung der Eigentümergemeinschaft deckt Schäden bis zu zwei Millionen Franken. Was das übersteigt, müssen sie selbst berappen. Entscheidend ist nun die Haltung der Suva, die den Hinterbliebenen Renten zahlt. Fordert sie diese von den Stockwerkeigentümern zurück, wird es zumindest für jenen unter ihnen existentiell, der keine private Haftpflichtversicherung hat.
Das Resultat aber ist so oder so unbefriedigend: Unsorgfältige Ingenieure kommen ungeschoren davon. Unschuldige Stockwerkeigentümer oder Suva-Prämienzahler werden hingegen zur Kasse gebeten.
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