Drittes Geschlecht – so halten es andere Länder damit
Die Schweiz kennt als Geschlecht nur Mann oder Frau. Deutschland und Österreich sind offener. Der Ball liegt beim Bundesrat.
Veröffentlicht am 13. Mai 2024 - 17:36 Uhr
Nemo hat nach dem Sieg am Eurovision Song Contest 2024 nicht nur den Pokal zer- und den Daumen gebrochen, sondern auch das politische Schweigen. Noch an der Sieges-Pressekonferenz in Malmö antwortete Nemo auf die Frage, an wen jetzt der erste Anruf gehen wird: Beat Jans.
Denn die Schweiz kennt keinen dritten Geschlechtseintrag – also einen Eintrag im Personenstandsregister für Menschen wie Nemo, die sich weder eindeutig als Mann noch als Frau identifizieren. Das sei inakzeptabel und müsse sich ändern, so Nemo. Das sehen auch über 12’000 Unterstützende so, die einen offenen Brief an Bundesrat und Parlament im Internet unterschrieben haben.
Der Beobachter erklärt die Lage in der Schweiz und fragt: Sind andere Länder weiter?
Bundesrat gegen das dritte Geschlecht
Wie von Nemo kritisiert, gibt es in der Schweiz bis heute keine Möglichkeit, sich offiziell als nonbinär zu bestimmen – weder im Personenstandsregister noch auf amtlichen Dokumenten wie Reisepass oder ID. Die Betroffenen müssen sich für einen Eintrag als Mann oder Frau entscheiden. Das gilt auch für Personen, die aus dem Ausland kommen und ihren Eintrag dort geändert oder schlicht entfernt haben – so hat es das Bundesgericht 2023 festgehalten.
Auch der Bundesrat hat sich 2022 in einem Bericht gegen einen dritten Geschlechtseintrag ausgesprochen: Die Gesellschaft sei dafür noch nicht bereit, und der Aufwand wäre sehr gross, lautete die Begründung. Beim Militärdienst bräuchte es ausserdem gar eine Verfassungsänderung.
Innerhalb der «binären» Geschlechterordnung ist die Schweiz seit 2021 relativ unkompliziert. Alle Personen über 16 Jahren können ihr Geschlecht im Personenstandsregister ändern lassen, wenn sie «innerlich überzeugt sind», nicht dem eingetragenen Geschlecht anzugehören.
Nonbinäre Einträge in anderen Ländern
Am weitesten in Europa geht Island. Dort hat seit 2019 jede Person ab 15 Jahren das Recht, ihr Geschlecht zu ändern – und kann dabei auch ein neutrales Geschlecht wählen.
In unseren Nachbarländern ist die Lage unterschiedlich: In Deutschland gibt es nach zwei entsprechenden Gerichtsurteilen die Möglichkeit für einen Eintrag als «divers» oder die Streichung des Eintrags. Ab dem 1. November 2024 führt man mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz das gleiche Prinzip wie in Island ein.
In Österreich kann ein Eintrag für «divers» oder «inter» gemacht oder der Eintrag ganz gestrichen werden – allerdings nur für Menschen, bei denen bei Geburt das Geschlecht nicht medizinisch eindeutig ist. Dagegen ist momentan eine Klage hängig. Frankreich hingegen erlaubt aktuell – wie die Schweiz – strikt nur männliche oder weibliche Geschlechtseinträge.
Wie weiter in der Schweiz?
In der Schweiz liegt der Ball momentan bei Beat Jans – allerdings nicht wegen Nemo. Das Parlament hat Jans' Departement beauftragt, Massnahmen zu prüfen, mit denen die Situation von nonbinären Personen verbessert werden kann – jedoch ohne die binäre Geschlechterordnung rechtlich in Frage zu stellen. Jans hat zwar gegenüber verschiedenen Medien angekündigt, er möchte gern mit Nemo reden. Es ist aber fraglich, ob er viel ändern kann und will, nachdem der Bundesrat erst 2022 seine Haltung gegen ein drittes Geschlecht klargestellt hat.
Denkbar wäre, dass das Parlament einen neuen Anlauf für ein «selbstbestimmtes» Modell wie in Island oder demnächst Deutschland unternimmt. Eins ist klar: Nemos Sieg hat der Welt und ganz besonders der Schweiz die Existenz von nonbinären Personen vor Augen geführt.
1 Kommentar
Nur weil Deutschland und Österreich "weiter" sind, bedeutet das nicht, dass die Schweiz auch "weiter" muss! Und nur weil "Nemo und 12'000 Unterzeichner" das wollen, bedeutet das auch nicht, dass die Mehrheit hierzulande das auch gutheisst!