Wenn sich zuhause der Amtsschimmel einnistet
Über 40 Jahre lebte eine Zürcher Familie in einer ruhigen Siedlung. Dann rückte ihr Haus ins Visier des Denkmalschutzes. Und der Ärger nahm seinen Lauf.
Veröffentlicht am 15. September 2017 - 13:44 Uhr,
aktualisiert am 16. September 2017 - 13:42 Uhr
Briefe, die ein Leben verändern, kommen weiterhin per Post und nicht per Mail. Bei den Schumachers war es ein Schreiben der Zürcher Stadträte André Odermatt und Ruth Genner vom 23. August 2013, einem Freitag.
Darin stand, der Stadtrat habe beschlossen, 81 Gebäude und 76 Gärten und Anlagen ins Inventar schützenswerter Bauten und Gärten aufzunehmen. Etwa die Geschäftshäuser von Globus, Modissa, Bally und Omega an der Bahnhofstrasse. Denn sie würden nach Meinung des Amtes das städtebauliche Leitbild jener Zeit am besten abbilden: «Urbanität durch Dichte».
Ins Inventar rutschte auch die sechsteilige Siedlung Asphof an der Rümlangstrasse in Zürich-Seebach mit ihren neun Eigentümern. Dazu zählen auch die Schumachers und ihr Sohn mit Frau und Kindern.
Es bleibe «alles wie bisher», beruhigte der Stadtrat die Eigentümer. Bloss müssten «kleinere bauliche Veränderungen mit der Denkmalpflege realisiert werden». Oder, was den Garten angehe, mit der Gartendenkmalpflege. Beide seien telefonisch erreichbar. Ein Rekurs gegen den Beschluss sei nicht möglich, es gälten die Paragrafen soundso und soundso. Am Montag, 26. August 2013, informiere man die Öffentlichkeit über die neue Liste, und am Tag darauf sei sie im Internet abrufbar. Freundliche Grüsse.
Bislang waren die Schumachers und ihre Nachbarn davon ausgegangen, ihre Wohnstätte sei zwar recht originell, aber ziemlich marod. Die Siedlung besteht aus neun ineinander verkeilten Wohnungen, teilweise dreistöckig. Manche sind zum Garten hin offen, manche haben eine Dachterrasse.
Der Asphof war in den Jahren 1967/68 hochgezogen worden. Entworfen hat ihn der ETH-Architekt Otto Glaus. Er arbeitete ein Jahr lang in Paris bei Le Corbusier, dem Architekten von Weltruf und Mann auf unserer aktuellen Zehnernote.
Glaus entwarf den Kursaal Heiden AR, die katholische Kirche in Meilen ZH und auch das kleine Flughafenhotel in Lugano-Agno. In Zürich stehen mehrere Glaus-Häuser unter Schutz, etwa der Riesbacherhof, der als «Haus für Alleinstehende» gebaut wurde. Betrüblicherweise ohne ein einziges Balkönchen, auf dem sie allein stehen oder sitzen könnten.
Die meisten Glaus-Bauten sind aus Beton, denn sein Lehrer Le Corbusier mochte das Material. Und zwar gerne roh, also brut. Daher nennt man diesen Stil Brutalismus – und nicht wegen der meist mürrischen und mächtigen Fassaden, die viele an ein Hochsicherheitsgefängnis erinnern.
Auch für den Asphof wählte Glaus blanken Sichtbeton. Sein Bau «umfasst drei Maisonnettewohnungen mit Zugang im Erdgeschoss, darüber drei weitere, über Laubengänge erschlossene Maisonnetten», schreibt die Denkmalpflege. Der Landschaftsarchitekt sei «unbekannt». 1968 zogen die ersten Familien im Asphof ein, und die Jahre gingen ins Land.
Der Beton wurde mürb, die Wurzeln der Bäume drückten die Gartenplatten schief und hoch. Man klopfte alte Küchen heraus und Wände nieder und mit ihnen den «groben Kellenwurf» oder Rauputz, der aussieht wie der warzige Rücken einer Kröte. Manche entrosteten das himmelblaue Geländer und strichen es silbergrau. Die Briefkästen wurden aus ihrem kuscheligen Betonhäuschen gerissen und andernorts durch Aluboxen ersetzt, weil die Post das so wollte.
Büsche wurden gestutzt, Rasen geschoren. Einer legte ein Goldfischteichlein an, neben dem sich heute die zwei Kater der Siedlung regelmässig die Kralle geben. Otto Glaus starb 1996, sein Nachlass ging an die ETH: Hunderte von Schachteln und Ordner voller Pläne, Korrespondenz, Dias, Entwürfe für Möbel, Glaswaren und Neujahrskarten ebenso.
Im August 2013 dann wurde Glaus¹ Asphof «inventarisiert». Das heisst, die Denkmalpflege prüft, ob ein Gebäude schützenswerte Teile aufweist und es in einem weiteren Schritt unter Schutz gestellt wird. Hängt ein Haus am staatlichen Haken, ist eine Befreiung kaum mehr möglich. Ausser der Staat hat andere Pläne. Etwa wenn die Stadt Zürich ein Velohaus bauen will und dafür das «inventarisierte» Haus des Café Mandarin beim Bahnhof Stadelhofen abreisst. Oder wenn der Kanton Zürich das Unispital vergrössern muss und es keine Rolle mehr spielt, dass Bauten «herausragender» Schweizer Architekten auf dem Areal stehen oder die Gartenanlage als schützenswert eingestuft wurde.
Es war etwa im Wohnjahr 40 der Schumachers, als die Ölheizung ihren Abschied bekannt gab. Jahrzehntelang waren sie Mieter gewesen, 1997 hatten sie zwei Wohnungen gekauft. Klugerweise liessen sie einen Architekten abklären, welche Sanierungen anstanden: Küchen, Bäder, Heizungen, Gartenplatten, Treppenstufen, Storen und vor allem die Fassade.
Die «sehr komplizierte» Sichtbetonarchitektur verunmögliche praktisch die Wärmedämmung oder diese komme «sehr teuer» zu stehen, urteilte der Fachmann. Küchen und Bäder wurden vor der Inventarisierung erneuert, nun war die alte Heizung dran.
Der gemeine Zürcher Bürger muss sich der Vision der 2000-Watt-Gesellschaft unterwerfen. Sie ist in der Zürcher Gemeindeverordnung festbetoniert. Und gilt konsequenterweise als Leitidee auch für die Asphof-Bewohner. Aber offenbar nicht für die Denkmalpflege. Die zuständige Denkmalschützerin fand Fernwärme unpassend. Die hätte den Charakter des Hauses beeinträchtigt. Auch wenn der Heizraum für keinen sichtbar ist ausser für den Heizungsmonteur. Also musste es wieder Erdöl sein. Die Schumachers fügten sich. Der Denkmalschutz bestreitet die Darstellung. Die Fernwärme sei gar nie ein Thema gewesen.
Dann drückte Wasser durch Dach und Wände, Schimmel zeigte sich in den Ecken, Vater Schumacher wurde ob der ständigen Feuchtigkeit krank. Der Arzt schrieb ein Attest. Drei der sechs Dächer waren erneuert worden, bevor der Asphof dem Denkmalschutz aufgefallen war.
Seit Anfang 2014 wurde der Asphof elf Mal von der Denkmalpflege «begangen», zeigen die Aufzeichnungen der Schumachers. Manchmal waren es fünf, manchmal acht, manchmal 17 Personen. Zusätzlich hielt eine Handvoll Infoveranstaltungen der Stadt die Eigentümer des Asphofs in Atem. An der ersten, 2013, erklärten die Beamten, welche Bauten unter Schutz gestellt werden. Worauf eine Frau aus Verzweiflung in Tränen ausbrach.
Für Denkmalpfleger ist es Routine, die Amtsinteressen durchzusetzen und über eine Bodenplatte oder eine Lampe draussen zu befinden. Sie haben ihren Lohn, treten auf, entscheiden und gehen wieder. Der Besitzer zahlt die Rechnung, nicht der Staat.
Bei öffentlichen Gebäuden oder Geschäftshäusern mag das weniger ein Problem sein. Bei Privaten wie den Schumachers ist es eins. Sie leben dort. Seit Jahrzehnten. Sie kennen ihr Haus besser als die Beamten des Denkmalschutzes. Die zuständige Projektleiterin «Team Nord» mag besser Bescheid wissen über Leitfäden und Ölheizungen aus den Sechzigern. Und die Gartenpflegerin kann in ein paar Bollersteinen beim schmalen Streifen zur lauten Strasse hin gern einen lauschigen japanischen Garten vermuten und das in den Bericht der Denkmalpflege einfliessen lassen.
Grob wird es, wenn die Denkmalpflege mit Bussen droht oder mit einem Baustopp, weil die Besitzer in ihrer Hilflosigkeit den Beobachter oder das Lokalfernsehen informieren. Der Denkmalschutz bestreitet das. Ein Baustopp wurde schon verhängt wegen ein paar Bollersteinen, die im Weg waren, oder wegen Rundhölzern um den Container, die morsch sind und ersetzt werden müssten. Als ob sich Otto Glaus 1967 um den Standort eines Containers oder ein paar Bollersteine gekümmert hätte. Seine Pläne für den Garten mag es zwar gegeben haben, umgesetzt wurden sie aber nie, beteuern mehrere langjährige Besitzer. Man pflanzte Bäume, pflegte sie und fällte sie, wenn sie zur Gefahr wurden.
Rentner wie die Schumachers, die ihr Leben lang gearbeitet und viel Zeit, Geld und Zuneigung für ihre Wohnung im Asphof aufgewendet haben, fühlen sich, als stünde ein fremder Vogt in ihren privaten Räumen. Als habe ständig ein Fremder den Fuss in der Tür und sage ihnen, was sie tun dürfen und was nicht. Ein Vogt, der für die nötige Sanierung der Dachisolation eine Bewilligung verlangt, die 2700 Franken kostet.
Im Januar 2017 schlugen Einbrecher das Fenster von Schumachers Nachbarn in Stücke und versuchten, die Tür mit einem Brecheisen aufzuwuchten. Der Mann, der Tixi fährt für Behinderte, liess beides durch jene Firma flicken, die vor Jahrzehnten die Fenster und Türen geliefert hatte. Die Projektleiterin «Team Nord» drohte ihm sofort mit einer Busse.
Dabei sah es nach der Reparatur aus wie immer, versichert der Nachbar, aber Fenster und Tür seien nun dreifach verglast statt zweifach wie davor. Weil die Firma keine zweifach verglasten Fenster mehr herstellt. Die Beamtin sah von der Busse ab.
Was original ist am Haus, zeigt der Nachbar an einem Stück Mauer bei der Aussentreppe zu einem der «Laubengänge». Kaum berührt sein Fingernagel den Beton, fällt ein Stück von der Grösse einer Jasskarte zu Boden. Der Beton deckt kaum die Armierungseisen. Eine Verglasung des Laubengangs aber kommt für die Denkmalpfleger nicht in Frage, obschon im Asphof vor allem ältere Herrschaften leben, die fürchten, sich im Januar auf dem blanken Eis die Knochen zu brechen.
Sollen Besitzer und Bewohner eines «schutzwürdigen» Hauses auf dicken Eisenplatten kochen und im WC an einer Kette ziehen müssen? Anders gefragt: Wo hört das öffentliche Interesse an einem Gebäude auf und wo beginnt die Schutzwürdigkeit der Menschen, die darin leben?
Der Beobachter wandte sich an die Stadtzürcher Denkmalpflege. Den Departementssekretär des Hochbauamts störte vor allem, dass die Abklärungen beim Asphof so zäh vorangingen. Drei Jahre seien zu lang. In zwei Jahren müsse der Prozess abgeschlossen sein, ob ein Haus schutzwürdig sei. Bei den Schumachers sind es inzwischen vier Jahre. "Positiv ist, dass dies nicht der Normalfall ist, denn meist ist die Zusammenarbeit der Eigentümer mit der Denkmalpflege konstruktiv und speditiv³, schrieb der Departementssekretär dem Beobachter.
Im Zürcher Kantonsrat sind zurzeit gleich drei Motionen hängig, die den Denkmalschutz zurückstutzen wollen. Die eine fordert «mehr Mass in der Denkmalpflege». Die andere will die Abläufe beschleunigen. Die Denkmalpflege müsste innert Jahresfrist entscheiden, ob ein Objekt schutzwürdig ist. Unklar ist, wie es für die Schumachers weitergeht. Die Eltern sind 70 und 73 und denken über einen Verkauf nach. Das dürfte nicht einfach sein. Eine Glaus-Villa in Heerbrugg SG fand erst nach fünf Jahren einen Liebhaber. Die Unterschutzstellung habe den Handel «deutlich erschwert», sagt der Architekt, der das Denkmal im Grünen letztlich veräussern konnte.