«Das Urteil ist nicht falsch, nur weil es einschüchternd ist»
Ein Gericht verpflichtet das Medienhaus Ringier, 300’000 Franken an Jolanda Spiess-Hegglin zu zahlen. Schränkt dieses Urteil die Medienfreiheit ein? Der Beobachter hat einen Experten gefragt.
Veröffentlicht am 28. Januar 2025 - 17:43 Uhr
Das Zuger Kantonsgericht setzt neue Massstäbe für Medien: Bei Persönlichkeitsverletzung können hohe Summen eingefordert werden. Es geht um den Fall Jolanda Spiess-Hegglin. Im Dezember 2014 war es zwischen der ehemaligen Zuger Kantonsrätin und einem SVP-Kantonsrat an der Landammannfeier in Zug zu einem sexuellen Kontakt gekommen. Danach publizierte der «Blick» mehrere persönlichkeitsverletzende Artikel. Spiess-Hegglin ging daraufhin gerichtlich gegen die Ringier AG vor, zu der auch der Beobachter gehört.
Gewinnherausgabe gefordert
Das Zuger Kantonsgericht stufte vier Artikel des «Blicks» als persönlichkeitsverletzend ein; dieses Urteil ist rechtskräftig. Darauf basierend verlangte Spiess-Hegglin von Ringier die Herausgabe der durch die Artikel erwirtschafteten Gewinne. Ringier hatte beantragt, dass die Klage abgewiesen würde, und unterlag damit.
Das Zuger Kantonsgericht hat der Klägerin grösstenteils recht gegeben. Das Gericht urteilte, dass Ringier 309’581 Franken an Spiess-Hegglin auszahlen muss.
Diese Summe ergibt sich aus einer Berechnung, die die Klägerin mit Fachleuten ausgearbeitet hatte und die sich auf einen Bundesgerichtsentscheid von 2006 stützt. Damals hatte der Vater von Tennis-Ass Patty Schnyder wegen einer persönlichkeitsverletzenden Berichterstattung ebenfalls eine Gewinnherausgabe gefordert.
Unterschiedliche Berechnungen
«Ich hätte nicht mit einem so hohen Betrag gerechnet», sagt Simon Canonica, Zürcher Anwalt und Experte für Medienrecht, auf Anfrage des Beobachters. Die Begründung der Berechnung sei zwar plausibel, aber es handle sich dabei um eine Schätzung. Diese beruhe teilweise auf Faktoren, die nicht in Stein gemeisselt seien. Insbesondere anerkenne die Berechnung nur sehr wenige abzugsfähige Kosten.
«Es könnte sein, dass eine höhere Instanz den Betrag noch nach unten korrigiert.»
Simon Canonica, Anwalt und Experte für Medienrecht
Vom ermittelten Umsatz wurden so nicht einmal 10 Prozent als Ausgaben abgezogen. Es habe somit eine Gewinnmarge von über 90 Prozent resultiert, was in der Medienbranche auch für viel beachtete Berichte eher unrealistisch sei. «Es könnte sein, dass eine höhere Instanz den Betrag noch nach unten korrigiert», sagt Canonica.
Ringier hatte dem Gericht eine eigene Berechnung des Gewinns vorgelegt, die mit der Beratungsfirma PWC erarbeitet wurde. Er lag bei dieser Methode bei rund 5000 Franken.
«Ein gewisser Einschüchterungseffekt»
Ladina Heimgartner, CEO von Ringier Medien Schweiz, ist besorgt über die Auswirkungen des Urteils. «Dieses erstinstanzliche Urteil gefährdet die Medienfreiheit in unserem Land», schreibt sie in einer Medienmitteilung. Journalisten würden unter diesen Umständen künftig das Risiko einer personenbezogenen Berichterstattung kaum mehr eingehen wollen.
Welche Auswirkungen das Urteil konkret auf die Medienlandschaft in der Schweiz haben wird, ist gemäss Rechtsanwalt Simon Canonica noch nicht abzuschätzen, da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Es habe aber wohl schon jetzt einen gewissen Einschüchterungseffekt.
Position wird geschwächt
«Das heisst aber nicht, dass das Urteil falsch ist – nur weil es einschüchternd ist. Die Berechnung geht aber stark von der Vorstellung der Klägerin aus, auf deren eingereichtes Privatgutachten es sich auch in vielen Punkten stützt», sagt Canonica.
Falls die Berechnung des Gewinns von höheren Instanzen bestätigt wird, könnte das insbesondere kleinere Medienunternehmen schwächen. Aus Angst vor möglichen Verurteilungen zu hohen Summen bei heiklen Berichten könnten sie schon auf blosse Klagedrohungen hin klein beigeben.
«Medien sollen Verantwortung übernehmen»
Anders sieht es Jolanda Spiess-Hegglin. «Es ist nicht so, dass man plötzlich die Möglichkeit hat, kleine Redaktionen an den Rand des Ruins zu treiben», sagt sie gegenüber dem Beobachter. Wenn man nicht persönlichkeitsverletzend berichte, könne auch kein Gewinn herausgefordert werden. «Mir geht es nicht ums Geld, sondern darum, dass die Medien Verantwortung übernehmen», sagt Spiess-Hegglin.
Ringier hat bereits angekündigt, den Fall weiterzuziehen. Als nächste Instanz wird sich das Zuger Obergericht damit befassen.
- Kantonsgericht Zug: Medienmitteilung
- Ringier: Medienmitteilung
- Expertengespräch: Simon Canonica, Rechtsanwalt und Experte für Medienrecht
- Stellungnahme: Jolanda Spiess-Hegglin