Kommentar zu Demoverboten
Sicherheitsdirektoren auf Abwegen
Einige Sicherheitsdirektoren sind offenbar durch Corona auf den Geschmack gekommen. Sie verbieten weiterhin generell Demonstrationen, obwohl das Bundesgericht ausdrücklich verlangt, dass sie im Einzelfall abwägen müssen.
Veröffentlicht am 20. Oktober 2023 - 16:14 Uhr
Demonstration zur Solidarität mit Palästina, Lausanne, 19. Oktober 2023
Quelle: Jean-Christophe Bott/KeystoneDas höchste Schweizer Gericht hat es den Polizei- und Sicherheitsdirektoren ausdrücklich ins Pflichtenheft diktiert: Ein generelles Demonstrationsverbot ist in der Regel verfassungswidrig. Die Behörden müssen Kundgebungen im Einzelfall prüfen und bewilligen, wenn sich Sicherheitsrisiken dank Auflagen in den Griff bekommen lassen. Auch wenn das für die Polizei mehr Arbeit bedeutet.
Das höchste Schweizer Gericht rügte deshalb im September 2021 den Kanton Bern, weil er alle Demonstrationen von mehr als 15 Personen im Winter 2020/21 wegen Corona verboten hatte. Gleich hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Corona-Demo-Fall aus dem Kanton Genf im März 2022 entschieden.
Und was machte die Sicherheitsdirektorin des Kantons Basel-Stadt, Stephanie Eymann (LDP), etwas mehr als zwei respektive eineinhalb Jahre später? Sie verhängte am Wochenende vom 21./22. Oktober 2023 trotzdem ein generelles Demonstrationsverbot: «Der Nahostkonflikt ist sehr dynamisch, und die Weltlage ist angespannt. Wir sind zum Schluss gekommen, dass die Sicherheitslage zu gefährlich ist, um jetzt zu demonstrieren», sagte sie gegenüber SRF. Eine differenzierte Prüfung im Einzelfall, wie das Bundesgericht sie fordert, sieht anders aus. Und zur Bedrohungslage ist rein nichts bekannt, das eine solch aussergewöhnliche Massnahme rechtfertigen würde.
Auch in «politisch unruhigen Zeiten»
So dürfen Sicherheitsdirektoren gemäss Bundesgericht mit der Demonstrationsfreiheit nicht umgehen. O-Ton Bundesgericht: «Die Versammlungsfreiheit bildet eine zentrale Voraussetzung für die freie demokratische Willensbildung und die Ausübung der politischen Rechte und ist ein unentbehrlicher Bestandteil jeder demokratischen Verfassungsordnung.»
Das höchste Schweizer Gericht betont, dass dies «besonders auch in politisch unruhigen Zeiten» gelte. Generelle Demonstrationsverbote sind deshalb verfassungswidrig, wenn die Behörden mit Bewilligungen im Einzelfall «differenzierte Lösungen» und «risikolimitierende Auflagen» finden können.
Wieso foutieren sich die beiden Sicherheitsdirektoren so nonchalant um Vorgaben des höchsten Schweizer Gerichts?
Die Basler Sicherheitsdirektorin ist nicht die Einzige, die sich nicht an die Vorgaben des höchsten Schweizer Gerichts hält. Auch der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause (Die Mitte) verhängte für das Wochenende vom 21./22. Oktober 2023 ein generelles Demonstrationsverbot in der Bundesstadt. Begründung: Es sei an diesem Wochenende bereits viel los – ein Fussballspiel, das Lichtspiel auf dem Bundesplatz und der Wahlsonntag. Auch das ist weit weg von einer differenzierten Begründung im Einzelfall, wie sie das Bundesgericht verlangt.
Die Hemmung vor dem radikalen Mittel verloren
Wieso foutieren sich die beiden Sicherheitsdirektoren so nonchalant um Vorgaben des höchsten Schweizer Gerichts? Selbst auf dem bisherigen Höhepunkt des islamistischen Terrors in Europa – im Jahr 2016 – wurden keine Demonstrationsverbote verhängt. So fanden damals etwa Demonstrationen gegen Terror und Islamophobie des Islamischen Zentralrats, von Kurdinnen und Kurden gegen Erdogan oder eine Pegida-Demo problemlos statt.
Erst mit Corona sind generelle Demoverbote im Instrumentarium der Sicherheitsbehörden aufgetaucht. Getrieben und scheinbar legitimiert von der Angst vor Ansteckungen, haben einzelne Behörden die Hemmung vor diesem radikalen Mittel verloren. Auch nach Corona. Bern und Basel scheinen an grundrechtlichem Long Covid zu leiden. Offenbar braucht es eine weitere höchstrichterliche Dosis Grundrechtsverständnis.
4 Kommentare
Strebel als Jurist sollte wissen, dass der Begriff "politisch unruhige Zeiten" Auslegungssache ist. Ob das Bundesgericht in seinem Urteil daran gedacht hat, dass es Menschen geben würde, die nicht gegen den aktuellen Terror der Hamas demonstrieren sondern dafür? Aber im Kern geht es bei solchen Diskussionen doch immer wieder darum, dass diejenigen, die z.B. ihr Versammlungsrecht einfordern, die sind, die sich sonst nur an ihre eigenen Regeln halten. Man höre mal hin, was an propalästinensischen Demonstrationen (auch in Frankreich oder Deutschland) skandiert wird. Man schaue nur, welchen politischen Kreisen die Teilnehmer angehören. Ich sehe da kaum jemanden, der diesen unseren Staat als Instanz anerkennt, geschweige denn schätzt. Vielleicht ja zum Demonstrieren. Aber nicht für mehr. Ich finde jedenfalls, die von Strebel angeklagten Sicherheitsdirektoren machen ihre Arbeit gut. Ausserdem: Wer nicht auf die Strasse darf, kann ja seine Ignoranz wie Greta Thunberg via Social Media verbreiten.
Regierungen sind seit der Pandemie weltweit auf einem „China-Trip“: Menschen werden als Masse behandelt, nicht als selbständig denkende Individuen. Ist es mangelnde Dialogfähigkeit? Oder schlicht Bequemlichkeit? Es sei ihnen gesagt: Feinde der Demokratie sind nicht Schreihälse auf Demonstrationszügen, sondern ängstliche Machthaber, welche jedem Widerspruch aus dem Weg gehen.Man wird von solchen Politikern in Distanz versetzt und wendet sich ab ins Private. Darüber zu lamentieren ist eine beliebte Heuchelei geworden.
Alle diese Freunde der Demokratie haben geschrien: die Nazis, die italien. Faschisten, die Kommunisten, die Neonazis, die Rechtsradikalen, die Linksradikalen, der schwarze Block, Islamisten und jetzt die Teilnehmer an den propalästinenschien Demos. Wer glaubt, die suchen den Dialog, soll weiter träumen. Nein, die nutzen alle die Demokratie mit dem Ziel sie abzuschaffen.
Das passt doch denen in den Kram, die sowieso Denken Demokratie gelte nur dann, wenn es ihren eigenen Interessen nutzt. In einer Umfrage wollen 6,6% zurück zur Diktatur oder Autokratie gemäss russischem Vorbild. Was das bedeutet in Sachen Meinungsfreiheit ist vielen wohl nicht klar.
Demos sind nicht immer ein Spass und vertreten nicht immer die eigene Meinung aber gerade deshalb sind sie wichtig! Auch wenn ich zugeben muss eher weniger auf Diesen zu finden zu sein.
Vielleicht aber ist es mal an der Zeit wenn die Politik macht was sie will.