Das Staatssekretariat für Migration (SEM) teilt minderjährige Asylsuchende willkürlich in zwei Gruppen ein. Das machte der Beobachter publik. Die älteren, «nicht besonders vulnerablen» Jugendlichen von 16 bis 18 Jahren werden als «selbständig» angesehen und verlieren dabei Rechte, die ihnen die Schweiz eigentlich garantieren müsste. Darunter fallen tägliche Gespräche mit einer Sozialarbeiterin, genügend Privatsphäre in der Unterbringung und weiterführende Bildung. 

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Nun hat die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) bestätigt, dass diese Praxis die Uno-Kinderrechtskonvention verletzt. Die Betreuungsteams seien «derzeit nicht mehr in der Lage, eine persönliche und kontinuierliche Begleitung der unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden zu gewährleisten». Sozialpädagogische Fachkräfte und Mitarbeitende müssten sich zeitweise um bis zu hundert Jugendliche kümmern. Besonders die Bedürfnisse junger Mädchen, die deutlich in der Unterzahl seien, würden untergehen. 

Das geht aus einem kürzlich veröffentlichten Bericht der unabhängigen Kommission hervor. Sie überprüft alle Einrichtungen, in denen Personen die Freiheit entzogen wird, und formuliert Empfehlungen. Diese sind jedoch nicht bindend. 

Die Kommission besuchte während mehr als eineinhalb Jahren, vom Februar 2021 bis Oktober 2022, 17 Bundesasylzentren (BAZ) und prüfte die Lebensqualität von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden (UMA). Laut der Kommission gebe es vor und nach jedem Besuch ein Treffen mit der Leitung des jeweiligen BAZ. Dort würden bereits erste Erkenntnisse und Empfehlungen abgegeben. Das SEM wusste also schon länger, dass die Kommission die Zustände als nicht haltbar einstuft. 

SEM spricht von «temporärer Lösung» 

Das SEM bestätigte gegenüber dem Beobachter die Trennung der Minderjährigen in zwei Gruppen, betonte aber, dass es sich um eine «temporäre Lösung» handle, um ein «Notfallkonzept» aufgrund der gestiegenen Asylgesuche. So würde die Betreuung der älteren UMA «mangels ausreichender Personalressourcen etwas reduziert werden». 

Weiter schreibt das SEM: «Anders als in den Jahren zuvor kamen vergangenes Jahr zusätzlich rund 75 000 Schutzsuchende aus der Ukraine dazu.» Davon sind 1003 als UMA registriert. Der Angriff von Russland auf die Ukraine und die dadurch ausgelöste Fluchtbewegung Richtung Westeuropa seien nicht vorhersehbar gewesen. Das SEM könne keine Betreuungsressourcen «auf Vorrat» aufbauen, heisst es weiter. Bis Ende Jahr erwartet das SEM rund 27 000 Asylgesuche. Das sind rund 10 Prozent mehr als im Vorjahr 2022 (24 511). 

Trotzdem seien bereits 250 neue Stellen besetzt worden. Nach wie vor würden Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen rekrutiert, bis die Sollzahl von 280 Stellen erreicht sei. 

Nun hat der Bundesrat auf die steigenden Asylzahlen reagiert. Gemäss einer Medienmitteilung hat er das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) beauftragt, eine Gesamtstrategie und ein Konzept für die Schaffung von temporären Unterkünften zu erstellen. Für die dazu nötigen Mittel werde dem Parlament ein vorsorglicher Kredit von 132,9 Millionen Franken beantragt. 

Bezüglich Betreuung fordert die NKVF, «die Kinderrechtskonvention vollumfänglich umzusetzen und das bestehende Betreuungssystem für UMA zu überprüfen und anzupassen, um auch bei hohen Zahlen eine professionelle und kontinuierliche Betreuung aller Jugendlichen zu gewährleisten». 

Auch Lionel Walter von der Schweizerische Flüchtlingshilfe betont im Interview, die neue Kategorie der selbständigen unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden (SUMA) sei «problematisch und besorgniserregend» und sollte «so schnell wie möglich wieder abgeschafft werden». Die Jugendlichen würden nur selten von Betreuungspersonal besucht und hätten einen erschwerten Zugang zu ihren Rechtsvertretern, den sogenannten Vertrauenspersonen. «Viele Kinder sind dadurch auf sich selbst gestellt», so Walter. Dabei habe jeder Mensch unter 18 besondere Rechte und Bedürfnisse, die gewährleistet und geschützt werden müssten.