Sie wissen, was wir morgen denken
Mit immer raffinierteren Methoden dringen Internetfirmen in höchst private Bereiche ein. Sie erfassen, wen wir treffen, woran wir leiden, was wir denken.
Veröffentlicht am 4. Januar 2019 - 14:23 Uhr,
aktualisiert am 3. Januar 2019 - 15:33 Uhr
Ich möchte dem Winter wenigstens gedanklich entfliehen – und suche bei Google nach Hotels auf Hawaii. Kurz darauf poppt auf Facebook eine Anzeige auf: «Ihre Freundin Christa Rigozzi hat sich ebenfalls Hotels in Hawaii angesehen.»
Anscheinend bin ich nicht die Einzige, die sich nach Sonne und Wärme sehnt. Aber woher weiss Facebook von meiner Hawaii-Sehnsucht? Und wenn Facebook ausplaudert, wo die Prominenz Ferien machen will, was verrät es dann über mich? Tauschen die Internet-Konkurrenten Daten aus? Wenn es nur um Ferien geht, ist das eher harmlos. Was aber, wenn ich Websites besuche, die mit Krankheit, Arbeitslosigkeit, Verschuldung, Scheidung oder Pornografie zu tun haben?
Ich wende mich an Thomas Hutter, der einen Blog über Facebook-Marketing führt und international als Koryphäe in dem Bereich gilt. Ich treffe ihn in seiner Consulting-Firma im Thurgau. Die Räumlichkeiten erinnern an Google-Büros, es gibt einen Pingpongtisch, der Kühlschrank ist grosszügig gefüllt mit Energydrinks. Das Geschäft läuft gut.
Hutter ist sicher, dass hinter meinem Erlebnis ein sogenanntes Facebook-Pixel steht. Es ist unsichtbar in den Code der Booking-Site eingebaut und meldet dem Social-Media-Giganten die Aktivitäten darauf. Wenn nun jemand im Facebook-Freundeskreis nach der gleichen Destination sucht, verwendet Facebook meinen Namen, um die Wirkung der Werbung zu erhöhen. Gemäss Facebook rapportieren acht bis elf Millionen Websites der Plattform, wer sich wann was von wo aus angesehen hat.
«Eigentlich lässt sich auf Facebook gut einschränken, welche Informationen man teilen will und welche nicht», sagt Hutter. «Allerdings setzen sich die meisten kaum mit der Datensicherheit auseinander und überprüfen ihre Einstellungen nicht.» Ob aus Bequemlichkeit oder Überforderung: So lässt man zu, dass private Interessen und Neigungen im Netz schnell die Runde machen.
Zurück zu Hause, stosse ich bei einer Internetsuche auf zahlreiche Beispiele, wie unangenehm das enden kann. So hat Facebook der Patientin eines Psychiaters eine ihr unbekannte Frau als mögliche Freundin vorgeschlagen, die den gleichen Psychiater aufsucht. Datenschutztechnisch eine Katastrophe – wer will schon von Social Media als psychisch krank geoutet werden?
Bei der Aufarbeitung des Falls zeigte sich: Die beiden Frauen waren auf Facebook nicht mit dem Psychiater befreundet. Sie kamen aber in regelmässigen Abständen in dieselbe Praxis. Da Facebook nicht aufgrund von Standortdaten Freundschaftsvorschläge macht, ist wahrscheinlicher, dass beide Patientinnen die Kontaktdaten des Arztes in ihrem Adressbuch gespeichert hatten und die Facebook-App darauf zurückgriff.
Facebook verrät nicht, welche Informationen zur Ermittlung von Freundschaftsvorschlägen verwendet werden. Es sollen aber rund 100 Faktoren sein, die die App nutzt, um abzuschätzen, wer in Frage kommt.
In einem Café treffe ich mich später mit einer befreundeten Psychologin. Sie ist überzeugt, dass die Firmen viel weiter gehen wollen. Es gibt bereits Studien, die anhand von Sprachproben psychische Krankheiten diagnostizieren sollen. Interessant, denke ich. Dass Facebook anhand unserer Posts relativ rasch unsere Stimmung ableiten kann und dies auch fürs Marketing nutzt, habe ich schon gehört. Aber anhand von Stimmproben psychische Krankheiten erkennen, bevor sie eintreten ? Ich bin skeptisch.
Tatsächlich haben sich Wissenschaftler mit einem Team von Computerspezialisten von IBM zusammengetan, um mit Hilfe von künstlicher Intelligenz die psychische Gesundheit von Probanden zu bestimmen. Dazu legten sie Testpersonen eine Kurzgeschichte vor. Später befragte man sie zu deren Inhalt. Aufgrund der Aussagen konnten die Forscher mit 83-prozentiger Sicherheit vorhersagen, bei welchen Kandidaten in den nächsten zwei Jahren eine Psychose ausbrechen wird. Anzeichen dafür lieferten unter anderem eine verarmte Sprache und die Tendenz zur Ideenflucht, bei der Gedankengänge immer wieder durch Assoziationen unterbrochen werden. Analysiert wurden auch die semantische Einheitlichkeit und die Komplexität des Satzbaus.
Auch bei Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson und Depressionen wird aktiv geforscht, wie man Sprachmuster für die Diagnose verwenden kann. Guillermo Cecchi vom Research-Team von IBM glaubt, dass «in fünf Jahren alles, was wir in den sozialen Medien und anderen Kommunikationskanälen sagen und schreiben, als Indikator für unsere psychische Gesundheit ausgewertet wird». Gerade bei Fragen der Gesundheit müsste es doch schwierig sein, an sensible Daten zu gelangen – würde man meinen.
Wie aber saugen die Firmen Gesundheitsdaten aus dem Netz ab? Ich vereinbare ein Skype-Interview mit dem amerikanischen Datenschutz-Spezialisten Casey Oppenheim. Er gründete mit ehemaligen Google- und NSA-Mitarbeitern die Firma Disconnect, die die Privatsphäre von Nutzern im Internet schützt.
In Oppenheims Büro reihen sich unzählige Rechtsbücher aneinander, Stapel von Akten liegen auf dem Schreibtisch. Für Consumer Reports, die grösste Konsumentenschutzgesellschaft der USA, führt seine Firma regelmässig Sicherheitstests durch.
«Die wenigsten können richtig abschätzen, was für drastische Folgen das Sammeln von Internetdaten haben kann.»
Datenschutz-Spezialist Casey Oppenheim
Oppenheim untersuchte zum Beispiel die Autohersteller. Seit 2015 müssen sie in jedes in den USA neu verkaufte Auto einen Tracker einbauen, der das Fahrzeug konstant ortet und Daten wie Standort, Verschleiss und Nutzung an den Hersteller sendet. Oppenheims Team untersuchte dazu den neuen Wagen des Firmen-Mitgründers. Zur grossen Überraschung fand man nicht nur einen, sondern gleich drei Tracker.
«Die wenigsten können richtig abschätzen, was für drastische Folgen das Sammeln von Internetdaten haben kann», sagt Oppenheim. Besonders eindrücklich lasse sich das bei Gentests aufzeigen, die in den USA gerade einen Boom erleben . Wer vor fünf Jahren einen Test machen liess und den allgemeinen Geschäftsbedingungen zugestimmt hat, konnte sich vielleicht auf der sicheren Seite fühlen.
Damals hatten die Gentechfirmen noch keine Vereinbarungen über die Weitergabe von Daten getroffen. «Das ist heute anders», sagt Oppenheim. Dank der damaligen Einwilligung dürfen sie heute die DNA ihrer Kunden ganz legal an Pharmakonzerne weiterverkaufen. «Solche Überlegungen machen sich leider nur wenige, wenn sie im Internet einen Service nutzen und rasch den seitenlangen Nutzungsbedingungen zustimmen.»
In den USA gibt es ein Gesetz namens HIPAA, das verbietet, Daten von Patientinnen und Patienten zu teilen. Wenn man aber im Internet nach bestimmten Krankheiten, Behandlungen oder medizinischen Fachbegriffen sucht, darf Google diese Information mit Datenbrokern teilen. Und die können sie dann legal weiterverkaufen, zum Beispiel an eine Krankenkasse.
Das Ziel dieser grossflächigen Überwachung ist laut Oppenheim die Steigerung des Profits; deshalb spricht er konsequent von Überwachungskapitalismus. Heute könnten riesige Datenmengen von Millionen von Personen verglichen und Zusammenhänge und Muster identifiziert werden. Daraus lassen sich Prognosen ableiten, wie Menschen sich künftig verhalten – und wofür sie Geld ausgeben. Und sie lassen sich über personifizierte Werbung, wie jene für die schönen Hotels auf Hawaii, gezielt beeinflussen.
Internetfirmen, die scheinbar selbstlos Gratis-E-Mail-Dienste anbieten, scannen dafür die Kommunikation der Nutzer nach verwertbaren Daten ab. Google hat zwar diese Praxis eingestellt, aber Anbieter wie Yahoo durchsuchen private Mails weiterhin. Der Wert solcher persönlichen Daten lässt sich anhand des Wachstums ableiten: Facebook hat seinen Umsatz in den letzten sieben Jahren verzwanzigfacht – vor allem dank den Daten der Nutzer.
Recherchen der «New York Times» ergaben nun, dass Facebook mit mehr als 150 Firmen Daten-Deals abgeschlossen hat. Spotify, Netflix, Sony, Microsoft, Apple und Amazon sollen über Jahre hinweg Daten von Hunderten von Millionen Menschen erhalten haben, darunter E-Mail-Adressen und Telefonnummern – ohne Wissen und Zustimmung der Nutzer.
Trotzdem heisst es im Silicon Valley ständig, der technologische Fortschritt gewähre den Menschen grössere Freiheiten. Die Entwicklung könnte aber auch in eine ganz andere Richtung gehen. Das zeigt sich in China, wo die Regierung vor drei Jahren das Citizen-Score-Programm gestartet hat. Einfluss auf die «Bürgerpunkte» haben Aussagen in sozialen Medien, das Kaufverhalten, die Kreditwürdigkeit und die sozialen Kontakte.
Wer in der Verwandtschaft einen Alkoholiker hat, dem werden Punkte abgezogen, ebenso wenn der Ehepartner bei Rot über die Strasse geht und man ihn nicht daran hindert. Je tiefer der Score, umso stärker die Einschränkungen. Mit zu wenig Punkten darf man nicht mehr in allen Restaurants essen und kann nur aus einer begrenzten Zahl von Mietwohnungen wählen. Flug- oder Bahntickets werden schlecht gewerteten Bürgern gar nicht mehr verkauft.
Was den Chinesinnen und Chinesen aber wohl am meisten zusetzen dürfte, ist: Auch die Internetgeschwindigkeit wird gedrosselt.
Smartphone
- Löschen Sie ungenutzte Apps.
- Gewähren Sie Apps nur unbedingt nötigen Zugriff auf Kontakte, Mikrofon, Kamera. Passen Sie unter «Einstellungen» den «Datenschutz» an.
- Stellen Sie immer sicher, dass Sie Messenger mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nutzen.
Desktop
- Wechseln Sie von Chrome zu Firefox im Private-Browsing-Modus.
- Verwenden Sie statt Google die Suchmaschine Duckduckgo.com. Sie speichert Ihre Suche nicht.
- Nutzen Sie einen E-Mail-Dienst wie Protonmail.ch mit Servern in der Schweiz und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung statt Diensten wie Google, GMX oder Yahoo.
- Blockieren Sie Javascript mit dem Add-on «NoScript». Erlauben Sie Java nur bei Websites, denen Sie vertrauen.
- Ändern Sie bei Facebook unter «Einstellungen für Werbeanzeigen» die Einstellung «Werbeanzeigen auf Basis deiner Klicks auf Facebook» auf «Niemand». So darf Facebook Werbung nicht mit Ihrem Namen in Verbindung bringen.
- So können Sie die Daten herunterladen, die Facebook über Sie gesammelt hat:
1. Klicken Sie in Ihrem Facebook-Konto rechts oben auf das nach unten gerichtete Dreieck und wählen Sie «Einstellungen».
2. Im Abschnitt «Deine Facebook-Informationen» auf «Deine Informationen herunterladen» klicken.
3. Alle Daten auswählen und auf «Datei erstellen» klicken. Achtung: Es kann mehrere Tage dauern, bis die Datei zum Herunterladen bereitsteht.
4. Sobald die Datei bereit ist, erhalten Sie von Facebook eine Nachricht.
- So ändern Sie die Einstellungen in ihrem Facebook-Profil, damit die Plattform Ihren Namen nicht für Werbezwecke verwenden darf:
1. Öffnen Sie diesen Link
2. Öffnen Sie «Einstellungen für Werbeanzeigen».
3. Schalten Sie «Werbeanzeigen auf Basis deiner Klicks» auf Facebook auf «niemand».
Google
- Google weiss, wo Sie gewesen sind: https://www.google.com/maps/timeline. Unter «Standortverlauf verwalten» können Sie das Tracking deaktivieren.
- Google merkt sich alles, was Sie einmal gesucht oder auch gelöscht haben: https://myactivity.google.com/myactivity
- Google hat ein Werbeprofil von Ihnen angelegt: https://adssettings.google.com/authenticated
E-Mail
- Hier können Sie überprüfen, ob bei einer Datenpanne Ihre E-Mail-Adresse entwendet wurde: https://haveibeenpwned.com/
Browser
- Hier können Sie testen, wie gut Ihr Browser Sie vor Tracking schützt: https://panopticlick.eff.org
Obskure Apps und listige Hacker wollen an unsere Daten. Viele User geben sie gedankenlos her. Mit unseren Checklisten übernehmen Sie die Kontrolle.
Facebook-Pixel
Ein Stück Code, das in eine Website eingebaut wird und Facebook automatisch über Besuche und bestimmte Handlungen wie Einkäufe informiert.
Metadaten
Informationen über Daten, die das Finden und Archivieren vereinfachen. Bei einem Foto zählen zum Beispiel Zeitpunkt und Ort der Aufnahme zu den Metadaten.
Datenbroker
Agenturen, die mit Daten handeln und sie an Firmen und Behörden weiterverkaufen.