Er war jung, emotional und radikal, als er 1968 von der «Bündner Zeitung» zum Beobachter wechselte. Mit spitzer Feder, aber auch einem Herz für die Menschen, denen er stundenlang zuhörte, verkörperte Hans Caprez wie kaum ein anderer das Beobachter-Credo «Stark für die Schwachen».

Es waren Recherchen über schaurige Verhältnisse in Heimen, psychiatrischen Kliniken und Gefängnissen, wo Menschen mit einem schweren Schicksal die letzte Würde genommen wurde.

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Caprez griff Behörden und Politiker an, zog für seine Geschichten bis vor Bundesgericht. Da war zum Beispiel der Fall von Peter Meisser, den man mit 21 Jahren kastrierte, obwohl er nie ein Sexualdelikt oder eine andere Straftat begangen hatte.

Einfach um ihn zu «beruhigen», weil er Mühe hatte, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden.

Kinder geraubt

Und es waren die schrecklichen Fälle von Müttern, denen die Kinder geraubt wurden, weil ihre jenische Lebensweise nicht dem Ideal guter Schweizer und Schweizerinnen entsprach, die über das Land hinaus für Schlagzeilen sorgten.

Seine Recherchen über das Pro-Juventute-Projekt «Kinder der Landstrasse» deckten Machenschaften des Kinderhilfswerks und der damaligen Vormundschaftsbehörden auf, die sich zum grössten Skandal der Nachkriegszeit in «sozialen» Institutionen entwickelten.

Ein «rassistisches Programm» nannte es Caprez. «Jemand muss das jetzt schreiben!», sagte er oft an Redaktionssitzungen. Caprez setzte Themen, die den Beobachter bis heute beschäftigen.

Das Aufarbeiten von Verbrechen an Zwangssterilisierten, Verdingkindern und Opfern einer selbstherrlichen, unkontrollierten Psychiatrie.

«Es war ein rassistisches Programm»

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1972 deckte Beobachter-Redaktor Hans Caprez den Skandal um die «Kinder der Landstrasse» auf. Der heute 80-Jährige schildert, wie die Geschichte an ihn herangetragen wurde – und wie die Öffentlichkeit reagierte.
Quelle: Beobachter Bewegtbild

Der Beobachter verlor nach den ersten Pro-Juventute-Artikeln Tausende Abonnenten, die nicht glauben wollten, dass das angesehene Kinderhilfswerk für solche Taten verantwortlich sein soll.

Aber Verlag und Redaktion knickten nicht ein. Weder vor Strafanzeigen, dem Behördendruck noch dem schmerzhaften Aboverlust. Es lohnte sich.

Der Beobachter stärkte seinen Ruf als unabhängiges Medium. Und Hans Caprez lieferte bis 1998 Recherchen, die das Credo «Stark für die Schwachen» immer wieder mit Inhalt füllten.

Kritik am Journalismus

Drei Jahrzehnte war Caprez als Journalist unterwegs, bis es ihm zu viel wurde – vielleicht auch zu wenig. «Man kann die Leute nach solchen Geschichte nicht auf halber Strecke zurücklassen und sich einfach auf etwas Neues stürzen», sagte er 2001 in einem Interview.

Ihm fehle etwas im heutigen Journalismus, der unpersönlicher und kälter geworden sei.

Hans Caprez zog sich für einige Zeit ins Piemont zurück, führte ein meditatives Leben und hörte der Natur zu.

Die Menschen aus seinen Geschichten liess er aber nie zurück, half manchen sogar mit dem eigenen Portemonnaie aus. Mit den Jenischen fühlte er sich besonders verbunden.

Er besuchte deren Anlässe, trat als Redner auf und setzte sich für die gesellschaftliche Aufarbeitung ihrer Verfolgung ein.

Am vergangenen Donnerstag ist Hans Caprez 83-jährig in seiner Heimat gestorben, dem Kanton Graubünden.