Alter schützt vor Allergien nicht
Ein Leben lang gesund – und plötzlich reagiert man im Rentenalter allergisch: Keine Seltenheit. Doch die Symptome sind oft schwer zu deuten.
aktualisiert am 24. März 2020 - 15:07 Uhr
Der 70-Jährige, der plötzlich Heuschnupfen hat, die Rentnerin, die kein Penizillin mehr verträgt, der Mann, der mit 85 zum ersten Mal allergisch auf einen Wespenstich reagiert – Peter Schmid-Grendelmeier, Leiter der Allergiestation und Professor am Universitätsspital Zürich, hat diese Patienten und viele mehr, die älter als 65 waren, in seiner Sprechstunde erlebt. «Allergien können im Alter einerseits verschwinden, anderseits ist es möglich, dass ältere Menschen neue Allergien entwickeln», sagt er.
Das Problem dabei: zu erkennen, dass überhaupt eine Allergie vorliegt. Denn darauf kommen Ärzte zunächst nicht immer, wenn ältere Patienten ein Husten quält, ihnen die Nase läuft, die Augen jucken oder die Haut einen Ausschlag zeigt. «Viele denken zuerst an eine Infektion.»
Zehn Prozent aller über 65-Jährigen sind Allergiker. Der Anteil ist geringer als in der Gesamtbevölkerung, doch Studien zeigen, dass ältere Menschen stärker unter Allergien leiden als jüngere. «Ihr Allgemeinbefinden ist ohnehin oft beeinträchtigt – eine zusätzliche Allergie kann deshalb zur Qual werden», sagt der Mediziner.
Es gibt mehrere Gründe, warum Allergien im Alter neu auftreten. «Zink, Vitamin D und Eisen, deren Konzentration im Alter häufig vermindert ist, spielen eine relevante Rolle in der Immunantwort», schreibt Julia Katharina Genser von der Allergiestation des Unispitals Zürich im Fachmagazin «Allergo Journal». «Wenn ältere Menschen sich abwechslungsreich ernähren, nehmen sie meistens genügend Zink und Eisen auf», sagt Schmid-Grendelmeier. «Vitamin D zusätzlich einzunehmen ist aber oft sinnvoll.» Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen rät Menschen ab 60, nach Absprache mit dem Hausarzt Vitamin-D-Supplemente einzunehmen .
Das Entstehen von Allergien ist des Weiteren anatomisch bedingt. «Im Alter kann es durch Knochenschwund oder Veränderungen des Knorpels dazu kommen, dass die Nase einfällt und dadurch die Luftwege enger werden», sagt Schmid-Grendelmeier. «Zudem versteift sich der Brustkorb, was asthmatische Beschwerden bei Allergien verschlimmern kann.» Auch werden die Atemwege im Alter generell empfindlicher, weil die Schleimhäute durchlässiger werden.
Medikamentenunverträglichkeiten treten bei älteren Menschen im Vergleich zu unter 30-Jährigen zwei- bis dreimal so häufig auf – vor allem weil mit zunehmendem Alter mehr Arzneien eingenommen werden. Viele Patienten schlucken mehrere Medikamente, was es oft schwierig macht, die verursachende Arznei zu identifizieren. Zudem bekommen betagte Patienten gegen Sodbrennen, Magengeschwüre oder als Magenschutz häufig Protonenpumpenhemmer verschrieben. «Diese verringern die Konzentration der Magensäure», sagt Schmid-Grendelmeier. «Dadurch werden Proteine nur unvollständig verdaut, gelangen über den Darm ins Blut und mobilisieren das Immunsystem gegen an sich harmlose Nahrungsbestandteile.» In dem Fall hilft es, die Protonenpumpenhemmer abzusetzen.
Wenn sich das Allergen nicht völlig meiden lässt – etwa bei Pollen –, können Medikamente helfen. Antihistaminika und Kortisonspray – zum Inhalieren bei Asthma oder als Nasenspray bei Heuschnupfen – lindern die Symptome merklich.
Auch die spezifische Immuntherapie, bei der die Patienten Allergene als Tabletten oder Injektion verabreicht bekommen, um den Körper gegenüber diesen Substanzen wieder tolerant zu machen, kann im Alter noch sinnvoll sein. «Die gute Nachricht ist: Wenn wir eine Allergie identifiziert haben, können wir diese auch bei älteren Menschen meist so gut behandeln, dass sich die Lebensqualität stark verbessert», sagt der Allergologe Peter Schmid-Grendelmeier.