Das gesunde Kind vegan oder glutenfrei ernähren?
Wenn Eltern ihre Kinder laktose- und glutenfrei oder sogar vegan ernähren, ist das vor allem eines: gut gemeint. Doch solche Konzepte schaden mehr, als sie nützen.
Veröffentlicht am 25. April 2017 - 09:39 Uhr
Immer wieder hört man erschreckende Geschichten: Kleine Kinder kommen mit Krankheiten, Infekten oder massiven Mangelerscheinungen zum Arzt, weil sie von ihren Eltern falsch ernährt worden sind – in bester Absicht. Magazine und Onlineforen propagieren alle möglichen Ernährungsformen, die angeblich gesund sind. Laktosefrei, glutenfrei – allein die Idee, dass diese Lebensmittel «frei von» etwas sind, schürt offenbar den Glauben, dass das, was eben nicht drinsteckt, etwas Ungesundes ist. Eltern füttern ihr Baby präventiv mit Produkten, die frei sind von Milchzucker und Klebereiweiss. Auch wenn es weder eine Laktoseintoleranz hat noch an Zöliakie leidet.
«Solche Trends sind nichts Neues», sagt Nathalie Metzger, Leiterin der Ernährungsberatung am Kinderspital Zürich. «Eltern haben Gewohnheiten oder Vorstellungen davon, wie Ernährung sein soll, und übertragen diese auf die Kinder.» Im Internet kann sich jeder vermeintliches Wissen aneignen. «Man findet fast alles, leider auch viel Falsches», so Metzger. «Wir sehen bei ambulanten Überweisungen hie und da, dass Eltern mit ihren Kindern eine Diät machen, die ihnen kein Arzt verordnet hat.»
Das kann gefährlich sein – nicht nur für das betroffene Kind, sondern auch für all diejenigen, die eine nachgewiesene Lebensmittelintoleranz oder -allergie haben (siehe «Allergie oder Intoleranz», Seite 10). «Wenn ein Kind eine nachweisbare Allergie hat und die Gefahr einer schweren allergischen Reaktion besteht, bieten wir den Eltern an, zusammen mit dem Allergiezentrum Schweiz eine Schulung für die Lehrpersonen und die anderen Kinder der Spielgruppe oder Klasse durchzuführen», sagt Miriam Hoernes, Allergologin am Kinderspital. «In diesem Zusammenhang ist es auffällig, wie oft die Lehrpersonen berichten, dass auch andere Kinder auf dies oder jenes allergisch seien und gewisse Sachen nicht essen dürften.»
Nathalie Metzger, Ernährungsberaterin
Mit fachlicher Hilfe sind auch die Empfehlungen zum Znüni entstanden, die zum Beispiel in Zürich an alle Kindergärtler und Erstklässlerinnen verteilt werden. Marianne Honegger, Ernährungsberaterin des Schulärztlichen Dienstes, wünscht sich eine «Znünikultur»: «Es soll einfach dazugehören, dass die Kinder in der Pause Wasser trinken und etwas Gesundes essen, eine Frucht, Gemüse, ein Brötli – je nachdem, ob und wie viel das Kind gefrühstückt hat.» Die Lehrer sind froh um diese Empfehlungen, weil sie so einheitlich agieren können.
Eltern reagieren unterschiedlich. «Es gibt immer wieder solche, die den Flyer als Bevormundung empfinden. Aber ich höre häufiger, dass die Tipps helfen und die Eltern in ihrem Anliegen, den Kindern einen guten Znüni mitzugeben, unterstützen.» Gerade in Familien mit Migrationshintergrund spiele Werbung eine grosse Rolle. Sie suggeriere erfolgreich, in einem süssen Fertigprodukt stecke alles, was ein Kind braucht. «Zudem ist es halt bequem, dem Kind einfach eine Milchschnitte einzupacken: Es gibt sie fertig verpackt, sie ist lange haltbar, und es setzt keine Diskussionen ab, weil sie dem Kind schmeckt.»
Dass Kindergärtnerinnen Dreikäsehochs heimschicken, weil diese eine Banane mitbringen, ist allerdings ein Mythos. Dass Bananen auf dem Zürcher Flyer nicht als tägliche Empfehlung geführt werden, sondern bloss in der Kategorie «ab und zu», hat denn auch nichts mit deren Kaloriengehalt zu tun. Honegger erklärt: «Zum einen sind Bananen süss und klebrig. Wenn die Kinder nicht regelmässig ihre Zähne putzen, kann das ein Problem werden. Zum anderen aber haben wir bei unseren Empfehlungen auch auf ökologische Aspekte geachtet und saisonalen, regionalen Produkten den Vorzug gegeben.» Nicht schlecht, wenn auch dieses Wissen schon im Kindergarten Einzug hält.
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