Nein zur blauen Pille
Swissmedic unterbindet den privaten Import grösserer Mengen eines wirksamen Medikaments.
Veröffentlicht am 12. April 2019 - 13:48 Uhr,
aktualisiert am 9. April 2019 - 10:29 Uhr
Ärzte können das Medikament zwar «off label» verschreiben, tragen dann aber ein höheres Risiko, bei allenfalls auftretenden Nebenwirkungen haftbar gemacht zu werden. Zudem ist Truvada teuer, die Monatspackung kostet 900 Franken. Viel Geld für einen HIV-negativen Anwender, der sich nicht allein auf Kondome verlassen will.
Patente-Inhaber Gilead verhindert bislang erfolgreich die Zulassung eines Truvada-Generikums in der Schweiz. Obwohl eines bereitstehen würde. Letzte Woche trafen sich die Anwälte des Generikaherstellers Mepha und des US-Pharmakonzerns Gilead vor dem Bundespatentgericht in St. Gallen. Der Ausgang der Verhandlungen ist noch offen.
Männer und Frauen, die sich schützen wollen , beziehen den Wirkstoff heute im Ausland. Sie fahren über die Grenze oder bestellen die Pille in Online-Apotheken. In Deutschland kostet das Generikum um die 70 Euro, in Thailand oder Singapur sogar nur rund 30 Franken. Zwei Jahre lang drückte die Zulassungsbehörde Swissmedic ein Auge zu. Man tolerierte den Eigenimport von drei Monatspackungen, wenn den Sendungen ein Arztrezept beigelegt war.
Seit dem 1. April gilt das nicht mehr, neu dürfen Privatpersonen nur noch Medikamente für einen Monat im Internet kaufen. Weiterhin gibt es die Möglichkeit, das Generikum gegen Rezept in gewissen Apotheken zu beziehen, die das Produkt ihrerseits aus Deutschland importieren. Kosten: rund 100 Franken im Monat.
30 Mal mehr kostet eine Monatspackung in der Schweiz als in Singapur. Nämlich 900 statt 30 Franken.
«Die Gesundheit der Empfänger sowie von Personen, mit denen diese sexuelle Kontakte haben, wurde zunehmend gefährdet», begründet Swissmedic-Sprecher Lukas Jaggi den Entscheid. Manchen Sendungen sei kein Arztrezept beigelegt gewesen oder sie stammten aus dubiosen Quellen. «Qualitative Mängel sind bei eigenmächtig übers Internet bezogenen Arzneimitteln an der Tagesordnung.» Im letzten Jahr sind 23 illegale Importe mit HIV-Medikamenten vom Zoll an Swissmedic weitergeleitet worden, in diesem Jahr bislang 9.
Für Arzt Benjamin Hampel, Leiter der PrEP-Sprechstunde am Unispital Zürich, ist die Praxisänderung ein Rückschlag: «Man setzt die Leute einem unnötigen Risiko aus.» Viele Anwender seien auf günstige Packungen angewiesen. Die PrEP-Beratungsstellen würden die Anwender über sichere Bezugskanäle informieren. «Für Studenten oder Arbeitslose spielt es eine Rolle, ob das Medikament 30 oder 100 oder gar 900 Franken im Monat kostet.»
Die Begründung von Swissmedic ist für ihn nicht nachvollziehbar: «Wenn die Medikamente schlecht sein sollen, macht es doch keinen Unterschied, ob eine oder drei Packungen importiert werden.» Zwei Studien, die zur Qualität von PrEP-Medikamenten gemacht worden seien, bestätigten im Übrigen die Einwände von Swissmedic nicht, so Benjamin Hampel.
Schlimmer noch: Für den Eigenimport von mehr als einer Monatspackung benötigte ein Anwender bislang ein ärztliches Rezept. Darunter gab und gibt es die Pille rezeptfrei. Die Abkehr von der bisherigen Praxis führt also im Extremfall zu weniger Sicherheit, wenn die Leute ohne Beratung online auf Einkaufstour gehen. Hampel: «Dabei wäre eine medizinische Begleitung und Kontrolle enorm wichtig.»