Roger von Moos, 51, ist Professor für medizinische Onkologie, Chefarzt Onkologie/Hämatologie am Kantonsspital Graubünden und Präsident der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK).

Beobachter: Sie gehörten zu den Skeptikern der Immuntherapie. Wann änderten Sie Ihre Meinung?
Roger von Moos: Jahrelang wurde mit konventionellen Impftherapien kaum ein Fortschritt erzielt. Erst als wir lernten, wie Tumor- und Immunzellen kommunizieren, gelang ein Durchbruch. Restlos überzeugt war ich, als wir sahen, dass dieser Ansatz bei den Patienten anschlug und sie viel länger lebten als erwartet. Zum Teil über Jahre, und dies, obwohl die Tumoren nicht immer schrumpften.

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Beobachter: Ist die Immuntherapie eine Revolution für die Krebsmedizin?
von Moos: Ich sehe sie als Evolution, die jetzt den Durchbruch geschafft hat. Viele Jahre lang setzte man in der medikamentösen Krebsbehandlung darauf, Tumorzellen mit Chemotherapeutika oder später mit gezielten Therapien zu bekämpfen. Jetzt hat man Medikamente, die das körpereigene Immunsystem stimulieren und so die Tumorzellen aus dem Verkehr ziehen. Das ist ein völlig neuer Ansatz, weil die Selbstheilungskräfte aktiviert werden.

Beobachter: Wie wichtig sind klinische Studien mit Immuntherapien?
von Moos: Zurzeit laufen bei uns gut 40 Studien zu verschiedensten Krebsindikationen, neun davon im Bereich Immuntherapien. Also knapp ein Viertel.

Beobachter: Verabreichen Sie in Ihrem Spital die neuen Wirkstoffe bei gewissen Krebsarten standardmässig?
von Moos: Ja, wir setzen sie dort ein, wo sie registriert und kassenpflichtig sind, also beim metastasierten Haut-‚ Lungen- oder Nierenzellkrebs. Zudem wenden wir sie verschiedentlich im Off-Label-Use an – in Situationen also, wo die Medikamente in der Schweiz noch nicht zugelassen oder kassenpflichtig sind. Vor 20 Jahren gehörte die Schweiz bei Zulassungen zu den schnellsten, heute hinken wir anderen Ländern hinterher.

Beobachter: Was sind die wichtigsten Vorteile der neuen Therapieform?
von Moos: Erstens wird eine Immuntherapie bezüglich Nebenwirkungen meist besser vertragen als eine Chemotherapie. Zweitens steigen mit ihr die Chancen, eine Krebserkrankung zu überleben, die früher fast sicher zum Tod führte. Wir haben etwa Patienten mit Lungen- und schwarzem Hautkrebs, die seit Jahren in einer Komplettremission leben. Und es ist letztlich eine sprachliche Spitzfindigkeit, ob man bei diesen Patienten von Remission, also Linderung, oder von Heilung spricht, denn dazu fehlen einfach die Langzeitdaten. So etwas haben wir mit der Chemotherapie bisher kaum gesehen, von kleinen Wundern abgesehen.

Beobachter: Und die Nachteile der Immuntherapie?
von Moos: Wir haben es mit einem völlig neuen Spektrum von Nebenwirkungen zu tun, die wir ganz anders behandeln müssen als bei einer Chemotherapie, wo sie sich rasch dramatisch verschlechtern und lebensbedrohlich werden können. Das Problem ist, dass wir nicht voraussagen können, ob und wann ein Patient von schweren Nebenwirkungen betroffen sein wird.

Beobachter: Was für Nebenwirkungen?
von Moos: Wir sehen manchmal Hautausschläge, Durchfall, Schilddrüsen- und Lungenprobleme. Im Prinzip kann aber jedes Organ betroffen sein.

Beobachter: Eine Immuntherapie kostet 100'000 bis 150'000 Franken. Ist sie das wert?
von Moos: Wenn Sie dafür jemanden heilen, ist das immer noch angemessen. Wenn ein Krebspatient dauernd behandelt, aber nicht geheilt wird, dann laufen die Kosten aus dem Ruder.

«Bei Zulassungen hinkt die Schweiz hinterher.»

 

Roger von Moos

Beobachter: Sie sagten mal, Ihnen werde angesichts der Kostenentwicklung in der Onkologie schwindlig.
von Moos: Im Moment habe ich kein Problem mit den Kosten für Krebsmedikamente. Es sind jährlich 600 Millionen Franken, bei Gesamtgesundheitskosten von rund 70 Milliarden im Jahr. Das ist ein Betrag, den die reiche Schweiz durchaus tragen kann. Wenn man aber die Kostenentwicklung der letzten fünf Jahre auf die nächsten fünf Jahre extrapoliert, wird einem tatsächlich schwindlig. Es gibt ja noch andere Bereiche der Medizin, die rasch massiv teurer werden. Ich fürchte mich vor dem Moment, in dem diese Therapien nicht mehr für alle verfügbar sind.

Beobachter: Das Gespenst der Zweiklassenmedizin.
von Moos: Genau. Das wünsche ich unserem Gesundheitswesen nicht.

Beobachter: Wie lässt sich das verhindern?
von Moos: Wir müssen an einen Punkt kommen, wo der Patient respektive seine Versicherung für den Erfolg einer Behandlung bezahlt. Ohne Erfolg keine Vergütung.

Beobachter: Drei Viertel der Immuntherapien versagen.
von Moos: Genau. Die Medikamentenkosten hierfür nicht zu tragen wäre allenfalls ein Ausweg aus dem Problem.

Beobachter: Weitere Ideen, um Kosten einzudämmen?
von Moos: Man muss die Kostenentwicklung insgesamt bremsen. Es kann nicht sein, dass jede neue Generation von Medikamenten 10 bis 50 Prozent mehr kostet als die vorhergehende.

Beobachter: Woher kommt das denn?
von Moos: Ein grosser Kostentreiber ist etwa die Regulationsdichte für klinische Studien. Der Aufwand, einen einzigen Teilnehmer zu dokumentieren, ist heute das 20-Fache gegenüber Anfang der nuller Jahre. Das grenzt ans Absurde. So entstehen Kosten, die unabhängige akademische Organisationen wie die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung kaum mehr stemmen können. Eine Phase-I-Studie kostet zwei Millionen, Zulassungsstudien der Industrie schnell einmal 40 bis 60 Millionen Franken. Das können sich nur noch grosse Firmen leisten – und das ist keine gute Entwicklung.

Beobachter: Was braucht es denn?
von Moos: Der Stellenwert der unabhängigen klinischen Forschung muss gestärkt werden. Dazu braucht es mehr Ressourcen, sei es vom Staat oder über eine Abgabe auf Krebsmedikamente für unabhängige Forschung. Und wir bräuchten mehr Studien, die den Nutzen von Therapien prüfen, die zum Beispiel fragen: «Ist weniger nicht gleich gut?» Weniger intensive, aber gleich wirksame Regimes würden Patienten entlasten und Kosten senken. Das gilt auch für Immuntherapien. Dass es billiger wird, glaube ich nicht. Aber dass die Kosten weniger stark ansteigen, das müssen wir hinbekommen.

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Jasmine Helbling, Redaktorin
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