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Impfzentren sind die Pilgerstätten der Pandemie. Hier holt man sich, was den Ausweg aus der Krise verheisst – die Maske straff, das Impfbüechli gezückt, die Schulter entblösst. Nervös oder freudig, besorgt oder euphorisch. Aus Angst oder Zuversicht, Solidarität oder Gruppendruck. Um wieder daten oder tanzen zu können, in die Ferien fliegen, die Familie besuchen. Viele pilgern zweimal ins Zentrum, einige nur einmal – sie alle hoffen, dass es reicht. 

Und dann gibt es jene, die täglich zurückkehren und die Impfmaschine am Laufen halten. Indem sie Besucher einweisen, Dokumente kontrollieren, Fragen beantworten und Spritzen verpassen. Wer sind diese Menschen, die sich temporär in den Dienst der Gemeinschaft stellen?

Es sind Pfleger und Ärztinnen, Studierende und Stellensuchende, Pilotinnen und Pensionäre. Vor allem Frauen – 88 Prozent beim Impfpersonal, 74 Prozent im administrativen Bereich. Lediglich bei den Ärztinnen und Ärzten sieht es ausgeglichener aus, zeigt eine Auswertung von Careanesth, einem Stellenvermittler im Gesundheitswesen. Die Daten stammen aus zwei Personalpools mit 2300 Mitarbeitenden, die angeben, wann sie verfügbar sind.

«Viele Helferinnen arbeiten im Alltag in einem Teilzeitpensum, neben dem Zeit für einen Einsatz im Impfzentrum bleibt. Vollzeitarbeitende – und das sind traditionell mehr Männer – schrauben ihr Pensum für eine befristete Arbeit kaum zurück», erklärt sich Conny Bacher von Careanesth den hohen Frauenanteil. Hinzu komme: «Diese Jobs eignen sich gut für einen Wiedereinstieg oder nach einer Pause: für Seniorinnen oder Frauen, die länger weg vom Arbeitsmarkt waren. Für Mütter ist die zeitliche Flexibilität ein Pluspunkt.» 

Wer also sind diese Frauen? Was motiviert sie? Sind es die Arbeitszeiten, der Wunsch, zu helfen, Geldsorgen oder Langeweile? Was erleben sie in den so sterilen wie verheissungsvollen Orten?

Vier Porträts berichten vom Alltag im Impfzentrum, von Hoffnungen und Hektik. Von den flüchtigen Begegnungen, die derzeit Hunderttausende in diesem Land machen. 

«Spezielle Arbeitsorte gefallen mir»

Jsabelle Zamboni-Wyss verabreicht die Impfdosen im mobilen Impftruck

Jsabella Zamboni-Wyss, 57, ist im 80-Prozent-Pensum Pflegefachfrau im Berner Lindenhofspital und arbeitet einen Tag pro Woche als Impferin im DOCS-Team des mobilen Impftrucks Bern.

Quelle: Christian Schnur

«Als Pflegefachfrau habe ich schon in Nepal und auf Musikfestivals gearbeitet – spezielle Arbeitsorte gefallen mir. Jetzt bin ich einmal pro Woche im Impftruck unterwegs. Der umgebaute LKW fährt in abgelegene Berner Gemeinden, wo wir bis zu 500 Personen täglich in fünf Kojen impfen. Im Schnitt dauert die Impfung drei bis vier Minuten, das geht zack, zack. Je schneller wir mit dem Impfen sind, desto eher kommen wir als Gesellschaft gemeinsam aus diesem Corona-Elend.

Viel Zeit zum Schwatzen bleibt nicht, manchmal mache ich aber gern eine Ausnahme. Etwa für ein einsames Grösi über 80, das nach dem Tod des Mannes ein letztes Mal nach Deutschland in die Heimat fahren wollte. Auch für solche Momente lohnen sich die langen Tage. Und für das Arbeiten im Team, das fägt!»

«Die gute Laune ist ansteckend»

Barabara Tribelhorn arbeitet in der Personaldispo des Impfzentrums in Winterthur.

Barbara Tribelhorn, 36, ist Kulturmanagerin im Zürcher Restaurant Kaufleuten und arbeitet zurzeit in der Personaldispo im Impfzentrum Rieter-Areal in Winterthur-Töss.

Quelle: Christian Schnur

«Ob Erstling oder Zweitling, das erkenne ich sofort. Wer noch nie im Impfzentrum war, schaut sich um, ist unsicher, vielleicht nervös. Ein Zweitling schreitet selbstbewusst in den Wartebereich, grinst unter der Maske, klopft Sprüche. «Nachher chum i aber nöme, geled Si» – so was höre ich oft und lache trotzdem. Die gute Laune ist ansteckend.

Ich staune noch immer, was wir innert kürzester Zeit aus dem Boden gestampft haben. Als Kulturmanagerin bin ich seit über einem Jahr in Kurzarbeit. Zuerst war das nicht schlimm, im Sommer kam mein Baby zur Welt. Anfang Jahr nervte es mich aber, untätig herumzusitzen. Als ich das Inserat sah, überlegte ich nicht lange. «Die suchen, du kannst», dachte ich. Seit April arbeite ich viermal pro Woche in der Personaldispo. Wir teilen rund 70 Mitarbeitende in zwei Schichten und suchen Ersatz, wenn jemand ausfällt. 

Die meisten Angestellten sind weiblich, das überrascht mich nicht. Ich kenne viele Frauen, vor allem Mütter, die niederschwellige Jobs suchen. Leider sind die oft körperlich anstrengend, und flexible Arbeitszeiten fehlen. Bei uns trägt man sich in ein Tool ein und wird aufgeboten – ganz unkompliziert. So kommen Profisportlerinnen, Piloten und Rentnerinnen zusammen. Studentinnen und Schüler, die gerade das Gymi abgeschlossen haben. Alle sind motiviert, die Stimmung ist freundschaftlich.

Ein Spaziergang ist die Arbeit aber nicht. Wir müssen sorgfältig sein und ruhig bleiben, wenn es hektisch wird. Geblieben ist mir die Begegnung mit einem älteren Italiener, der mit seiner Tochter erschien. Er hatte noch nie eine Spritze erhalten und zitterte so stark, dass wir ihn festhalten mussten. Ich beruhigte ihn mit ein paar Brocken Italienisch. Später war er erleichtert, ich sehe sein strahlendes Gesicht noch vor mir. Oder das einer Seniorin, die sich wahnsinnig auf den ersten Migros-Besuch freute. Ich liebe diesen Job, merkt man das?»

«Am Morgen RAV-Kurs, am Abend Spätschicht» 

Karin Anastasiou-Schläpfer arbeitet am Empfang des Impfzentrums in der Messe in Oerlikon.

Karin Anastasiou-Schläpfer, 59, ist auf Stellensuche und arbeitet zurzeit im Impfzentrum Messe Zürich.

Quelle: Christian Schnur

«Wo ist das Impfzertifikat? – Diese Frage höre ich jetzt oft. Alle wollen in die Ferien und sehen darin ihr goldenes Ticket. Die Stimmung auf der Abmeldung ist gut, besonders nach der zweiten Impfung. Viele bedanken sich begeistert und loben die gute Organisation.

Es stimmt: Das Impfzentrum ist ein gut funktionierender Betrieb, den man unsicher betritt und zufrieden verlässt – der Freiheit näher. Die Stunden vergehen schnell. Wir arbeiten im Akkord, in einem Betonklotz, fast ohne Fenster. Manchmal bin ich überrascht, wenn mir jemand einen schönen Abend wünscht. Oder wenn ich an einem Schirm erkenne, dass es draussen regnet. Die Schichten sind anstrengend, auch wenn die Arbeit nicht sehr anspruchsvoll ist. «It’s not brain surgery», aber ich muss mich konzentrieren.

Auf der Anmeldung mussten wir im April besonders genau hinschauen: Ist die Person so alt, wie sie behauptet? Gehört sie zur Risikogruppe? Einige wollten sich einen Impftermin erschleichen. Die grösste Challenge ist, speditiv zu arbeiten, aber niemanden abzufertigen. Ich sehe, wenn Menschen sich unwohl fühlen oder kaum Deutsch verstehen. Muttersprachlern geht das Herz auf, sobald ich sie auf Englisch oder Griechisch anspreche. Freundlichkeit, ein Lächeln – es braucht so wenig.

Nun ist ein Ende in Sicht. Das ist toll, macht mir aber auch Angst. Letztes Jahr erhielt ich wegen einer Umstrukturierung die Kündigung – mit 58, kurz vor Corona. Ich habe über 30 Jahre im Tourismus und im Bereich Corporate Services gearbeitet, in London und auf Zypern gelebt. Und jetzt? Morgens besuche ich einen RAV-Kurs, abends schiebe ich Spätschichten. Fünf Wochen am Stück, sechs Tage die Woche. Der Job im Impfzentrum war ein Glücksfall, ist aber befristet. Ich stehe zwischen Zuversicht und Zukunftsangst, wie viele andere.»

«Viele bedanken sich schampar herzlich»

Karin Biedermann

Karin Biedermann, 35, steht kurz vor dem Masterabschluss in Pflege. Daneben arbeitet sie 60 Prozent als Pflegefachfrau und 20 Prozent bei der Zubereitung und beim Impfdienst im Impfzentrum des Berner Inselspitals.

Quelle: Christian Schnur

«Die Zubereitung von Spritzen braucht viel Konzentration, da wir sehr exakt mit kleinsten Mengen arbeiten. Dafür nehme ich eine Ampulle, steche mit der Nadel rein und ziehe den Impfstoff heraus – mal Pfizer, mal Moderna, acht Stunden am Tag.

Auf dem Impfdienst schätze ich den Kontakt mit Menschen. Viele sehen die Impfung als ihr Exit-Ticket aus der schwierigen Situation und bedanken sich schampar herzlich. Ich war von Anfang an dabei, weil mein Praktikum in Irland abgesagt wurde. Wahnsinn, wie schnell so was Grosses entstehen konnte! Im Impfteam sind wir fast nur Frauen, aber so sieht es ja auch in der Pflege aus.»

Impfzentren in Zahlen
  • 88 % des medizinischen Personals in Impfzentren ist weiblich. Die Mitarbeitenden bereiten die Impfungen vor und verabreichen diese. Zum Teil führen sie das medizinische Vorgespräch.
     
  • 42 % Ärztinnen und 58 % Ärzte tragen die Verantwortung, reagieren bei Notfällen und helfen beim Impfen.
     
  • 65 % der Personen, die unterstützende Funktionen ausüben, etwa das Material auffüllen, sind weiblich.
     
  • 74 % der administrativen Aufgaben übernehmen Frauen. Sie erfassen und kontrollieren etwa Unterlagen im System und registrieren die Impfung. In einigen Zentren führen sie das Vorgespräch.


Die Daten stammen von der Firma Careanesth, die das Personal für 15 grössere Impfzentren und diverse kleinere Equipen in mehreren Kantonen rekrutiert. Betrachtet wurden zwei Personalpools mit rund 2300 Personen.

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Jasmine Helbling, Redaktorin
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