«Atemnot ist wie ein kleines Sterben»
Carlo Tamburini leidet an der chronischen Lungenerkrankung COPD. Trotz Omikron-Höchstwerten wird die Aufhebung aller Massnahmen gefordert. Das macht ihm Angst.
Aufgezeichnet von Birthe Homann:
Wenn ich mich mit Covid anstecke, dann wars das wohl. Ich hatte ein geiles Leben voller Musik, Blues und Rock, mit guten Beziehungen und schönen Reisen. Aber ich möchte trotzdem noch ein bisschen leben.
Ich hoffe, dass ich eine neue Lunge kriege. In meinem Alter, mit 66 Jahren, liegen die Chancen, die Transplantation zu überstehen, bei etwa 50:50. Optimistisch betrachtet.
Ohne Sauerstoff kann ich kaum mehr aus dem Haus. Ich transportiere ihn in einem kleinen Rucksack und trage eine Nasenbrille mit Schlauch, die mir den Sauerstoff zuführt. Mein Bruder wohnt im dritten Stock ohne Lift – ich habe ihn schon lange nicht mehr besucht, ich schaffe die Treppen nicht mehr. Einkaufen oder den ÖV benutzen tu ich auch schon lange nicht mehr: zu anstrengend und zu gefährlich in Pandemiezeiten.
An schlechten Tagen schaffe ich nicht einmal die zehn Meter aufs WC. Ich muss dann warten, bis sich meine Lunge erholt hat und ich weitergehen kann. Atemnot ist furchtbar, es ist jedes Mal wie ein kleines Sterben.
Ich muss vorsichtig sein, meine Frau und ich treffen nur noch wenige Leute. Dabei bin ich ein sehr sozialer Mensch, die Einschränkungen schlagen mir manchmal aufs Gemüt.
«Wenn ich mich mit Covid anstecke, dann wars das wohl.»
Carlo Tamburini, COPD-Patient
Ich bin gelernter Maler und Lackierer, hatte über 14 Jahre ein eigenes Geschäft. Die Lösungsmitteldämpfe und der Staub haben meine Lunge stark geschädigt. Wenn ich eine Wand grün gespritzt habe, habe ich danach tagelang grünes Zeug ausgehustet. Damals trug noch niemand eine Maske, man wusste nicht, wie schädlich diese Dämpfe sind. Ich bereue nur, dass ich auch noch geraucht habe. Zwei Päckchen täglich. Wie schlimm das ist, merkt man erst, wenn man keine Luft mehr bekommt.
Heute bin ich COPD-Patient, leide an einer chronischen obstruktiven Lungenerkrankung. Ich habe noch eine Lungenkapazität von 30 Prozent. Heilen kann man das nicht, im Gegenteil – es wird immer schlimmer. Vor fünf Jahren konnte ich noch einen Kilometer spazieren, heute höchstens noch 50 Meter. Auf dem Hometrainer schaffe ich maximal eine Minute Velofahren am Stück.
Weniger Infekte
Mit 42 habe ich mich umgeschult zum Sozialpädagogen und dann im Jugendstrafvollzug und in Heimen gearbeitet. Vor gut 15 Jahren ging es aber wegen der Lunge nicht mehr. Mit dem Rauchen habe ich ein Jahr später aufgehört. Sonst würde ich wohl nicht mehr leben.
Ich fühle mich beim Lungenzentrum in St. Gallen gut aufgehoben. Jeden Tag fülle ich auf dem Handy einen Fragebogen zu meinem Gesundheitszustand aus. Haben Sie heute mehr Schleimauswurf als sonst? Haben Sie mehr Husten als normalerweise? Solche Sachen. Wenn ich eine der Fragen mit Ja beantworte, ruft mich eine Ärztin an. Alle drei Monate muss ich zum Lungencheck. Das einzig Gute an Corona ist, dass ich seither viel weniger Infekte habe. Wegen der Maskenpflicht und der Einschränkung der Kontakte.
«Auf dem Hometrainer schaffe ich maximal eine Minute Velofahren am Stück.»
Carlo Tamburini, COPD-Patient
Wenn nun einige meinen, sie müssten einen «Freedom Day» ausrufen und alle Massnahmen sofort stoppen, wird mir schlecht. Wir Schwachen gehen vergessen. Es ist noch zu früh. Natürlich wünsche auch ich mir, dass das blöde Virus endlich weggeht und ich wieder in die Beiz und an Konzerte kann. Ich habe früher viel Musik gemacht, ich war ein bekannter Bluesharper hier in der Region.
Diese Pandemie hat die schlimmsten Seiten der Menschen zum Vorschein gebracht. So viele Aggressionen und Pöbeleien habe ich früher nicht erlebt. Ich respektiere jeden, der sich nicht impfen lässt. Aber ich verstehe nicht, wenn man sich nicht an die Abstandsregeln oder die Maskenpflicht hält. Eben, um Verletzliche zu schützen.
Ich streite gern, haue auch mal mit der Faust auf den Tisch. Momentan aber ist mir die Lust dazu vergangen. Ich bin ein Alt-68er und habe immer an das Gute im Menschen geglaubt. Heute muss ich aber sagen: Ausser der Musik ist nicht viel Gutes geblieben. Ich wünsche mir, dass ich wieder einmal richtig Luft habe und mit Kraft den Blues spielen kann.