Das Durchschnittsalter von Ärztinnen und Ärzten steigt weiter an: Inzwischen ist in der Schweiz jeder zweite berufstätige Arzt älter als 50, jeder vierte über 60. Das zeigt die neueste Statistik von 2022 der Ärzteverbindung FMH. Vor 20 Jahren lag das Durchschnittsalter aller Ärztinnen und Ärzte noch bei 45 Jahren.

In absoluten Zahlen heisst das: 4900 Ärztinnen und Ärzte sind nach wie vor berufstätig, obwohl sie sich im Rentenalter befinden (Vorjahr: 4800). Und: 1310 Ärzte sind zwischen 70 und 74 Jahre alt, 657 sind zwischen 75- und 79-jährig. 318 sind noch mit über 80 Jahren berufstätig. 

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20 Ärzte sind über 90 Jahre alt

Was die FMH gerne verschleiert hätte: Letztes Jahr arbeiteten sogar 20 Ärzte, die über 90 Jahre alt sind (Vorjahr: 13). Diese Zahl gab die FMH dem Beobachter erst auf Nachfrage bekannt. In der Statistik wurde diese Alterskategorie ursprünglich nicht ausgewiesen. 

Das wirft die Frage auf: Wann ist ein Arzt zu alt, um in einer Praxis oder einem Spital tätig zu sein? «Nicht das absolute Alter, sondern die Qualität ist das entscheidende Kriterium», sagt Yvonne Gilli, heutige FMH-Präsidentin und frühere Nationalrätin. Zudem treffe der Fachkräftemangel auch die Ärzteschaft. Deshalb seien auch Ärztinnen und Ärzte, die das Pensionsalter erreicht haben, für die Versorgungssicherheit wichtig. Gilli erachtet darum eine strikte Alterslimite als nicht sinnvoll.

Die in der Statistik ersichtlichen Verschiebungen zu immer mehr betagten und sogar hochbetagten Ärzten relativiert die FMH-Präsidentin: Die Daten der Statistik würden nichts über die Art und das Ausmass der Tätigkeit aussagen. Erfasst seien nur Facharzttitel und Berufsausübungsbewilligung. «Ein chirurgisch tätiger pensionierter Arzt kann bei Operationen assistieren und somit seine Erfahrung einbringen, ohne auf seine handwerklichen Fähigkeiten in besonderem Masse angewiesen zu sein», sagt Gilli.

Nur noch als Gutachter tätig?

Die FMH-Präsidentin ist ohnehin überzeugt, dass hochbetagte über 90-jährige Ärzte «mit grösster Wahrscheinlichkeit keine Praxistätigkeit mehr ausüben» würden. Einige dieser Ärzte dürften ihre Berufsausübungsbewilligung wohl noch behalten haben, um «für ihre eigene Gesundheit noch eine Verantwortung übernehmen zu können», so Gilli. Eine andere Vermutung der FMH-Präsidentin ist, dass die hochbetagten Ärztinnen und Ärzte, welche intellektuell noch leistungsfähig sind, eine «spezifische berufliche Tätigkeit» ausüben – etwa beratend tätig sind oder Gutachten schreiben. Überprüfen lassen sich diese Aussagen allerdings nicht.

Pikant: Noch vor wenigen Jahren hatte sich Yvonne Gilli als Nationalrätin etwas anders positioniert. 2015 unterzeichnete sie einen Vorstoss der damaligen Patientenschützerin Margrit Kessler. Kessler forderte vom Bundesrat Auskunft darüber, ob für Ärzte mit «besonders sensiblem» Fachgebiet eine Alterslimite eingeführt werden müsste. Die Patientenschützerin hatte damals besonders die Mikrochirurgie im Auge. Der Grund für ihren Vorstoss waren schwere Fehlleistungen eines 78-jährigen Chirurgen.

Der Bundesrat befand damals eine fixe Alterslimite für Ärzte als «wenig sinnvoll» und verwies auf die kantonalen Aufsichtsbehörden. Diese seien dafür zuständig, zu prüfen, ob Mediziner «physisch und psychisch Gewähr für eine einwandfreie Berufsausübung» bieten. Den Kantonen stehe es auch frei, regelmässig nach Erreichen einer bestimmten Altersgrenze ein Arztzeugnis einzufordern – etwa bei Ärztinnen und Ärzten, die in der Chirurgie tätig seien, so der Bundesrat. Ob und wie die Kantone ihrer Aufsichtspflicht nachkommen, ist nicht klar.

Vom öffentlichen Spital in die Privatpraxis

In öffentlichen Spitälern gilt eine indirekte Alterslimite. Ärzte werden zwischen 65 und 67 Jahren pensioniert. Allerdings: Viele Kaderärzte umgehen diese Altersobergrenze und verabschieden sich vorzeitig von den öffentlichen Spitälern und wechseln in eine Privatpraxis. Damit sind sie keiner gesetzlichen Alterslimite unterstellt und können weiter in ihrem Fachgebiet arbeiten.

FMH-Präsidentin Gilli betont, alle Mitglieder der FMH müssten sich unabhängig ihres Alters an die Standesordnung halten. Darin heisst es: Die Qualität der ärztlichen Ausbildung und Tätigkeit muss sichergestellt sein. Daraus ergibt sich: Ärztinnen und Ärzte sind zur ständigen Fortbildung verpflichtet.