Dieser Pilz tötet
Pilzbefall ist meist harmlos. Nicht aber Candida auris: Der Erreger ist lebensbedrohlich – und gegen Medikamente resistent.
aktualisiert am 21. Juni 2018 - 14:57 Uhr
Es passierte in den Ferien in Spanien. Die 74-jährige Genferin erkrankte an einer schweren Lungenentzündung, wurde ins lokale Spital eingeliefert und musste künstlich beatmet werden. Schon bald war klar: Die Seniorin hatte sich mit Candida auris infiziert, einem gefährlichen Hefepilz, der weltweit Sorgen bereitet.
Nach zweieinhalb Wochen wurde die Schweizerin aus dem Nordosten Spaniens nach Genf verlegt. Dort stellte das Spitalpersonal fest, dass sich der Pilz im Körper ausgebreitet hatte – in den Atemwegen, der Leiste, im Ohrkanal und im Urin. Dank Antibiotika und Antipilzmittel schien sich ihr Zustand zu bessern. Doch dann erlitt die 74-Jährige einen septischen Schock und verstarb. Ob Candida auris die Ursache dafür war, ist unklar.
Das war im Oktober 2017. Für die Schweiz ist es der bislang einzige bekannte Fall von Candida auris. Im übrigen Europa und in anderen Weltregionen treibt der Hefepilz seit Jahren sein Unwesen. Er sucht Spitäler heim, tötet Menschen. Vor allem in Spanien und England gab es Hunderte von Fällen. Sie zeigen, wie schwierig es ist, Candida auris in den Griff zu bekommen (siehe Infografik unten).
Die Fachleute sind nervös. «Auch in der Schweiz kann Candida auris jederzeit ausbrechen», sagt Matthias Schlegel, Infektiologe am Kantonsspital St. Gallen und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Spitalhygiene.
Zwischen 2013 und 2017 wurden in sechs europäischen Ländern 620 Fälle von Candida auris dokumentiert. Die meisten Meldungen gab es in Spanien (388 Fälle) und Grossbritannien (221 Fälle). Der Pilz befiel drei Viertel der Patienten nur oberflächlich.
Pilzerkrankungen gelten meist als harmlos. Der lästige Fusspilz lässt sich mit einer Salbe bekämpfen, gegen den Windelsoor, der gern an Babypos für einen roten Ausschlag mit Schuppen sorgt, hilft regelmässiges Pudern. Candida albicans als Erreger von Windelsoor gehört, wie Candida auris, zu den Hefepilzen. Candida albicans kommt bei drei Vierteln der gesunden Menschen auf der Haut vor, ist aber meist ungefährlich.
Candida auris ist ein ganz anderes Kaliber: Er verursacht im Blut und in Wunden ernsthafte Infektionen. Vor allem wenn das Immunsystem geschwächt ist – etwa durch eine chronische Erkrankung –, kann der Keim lebensbedrohlich werden. «Im Spital können schwerkranke Patienten andere mit diesem Pilz anstecken, was zu weiteren Ausbrüchen führen kann», sagt Matthias Schlegel. Ausserdem neigt der Pilz dazu, sich als Biofilm auf den Oberflächen von Möbeln und medizinischen Geräten festzusetzen.
2015 legte der Keim während Wochen die Intensivstation eines Londoner Spitals lahm, 72 Patienten hatten sich angesteckt. Das Tückische dabei: Mit Medikamenten lässt sich gegen Candida auris wenig ausrichten. Die Erregerstämme sind gegen die meisten Antipilzmittel resistent.
Dass sich gewisse Bakterien wie Tuberkulose immer erfolgreicher gegen Antibiotika wehren , ist den meisten bewusst. An Pilze denken bei Resistenzen jedoch die wenigsten. Die Spitäler haben die Erreger schon lange auf dem Radar. Für sie sind Pilzinfektionen ein ernstes Problem, vor allem auf den Intensivstationen. Gefährdet sind auch Patienten, deren Immunsystem unterdrückt ist, etwa bei Leukämie oder nach Organtransplantationen.
«Wir führen breit abgestützte Studien durch, damit Pilzinfektionen besser behandelt werden können.»
Katia Boggian, Infektiologin am Kantonsspital St. Gallen
Schweizer Infektiologinnen und Infektiologen haben deshalb die Forschungsplattform Funginos (Fungal Infection Network of Switzerland) gegründet. «Wir führen breit abgestützte epidemiologische Studien durch, damit Pilzinfektionen besser diagnostiziert und behandelt werden können», sagt Katia Boggian, Infektiologin am Kantonsspital St. Gallen. Bei Candida auris sei das Netzwerk gewappnet, um auf mögliche Ausbrüche richtig zu reagieren.
«Wir sind auf der Hut», sagt auch der Zürcher Spitalhygieniker Stefan Kuster von der Vereinigung Swissnoso, die sich gegen Spitalinfektionen einsetzt und schweizweit Richtlinien herausgibt. «Wenn zum Beispiel Patienten aus einem ausländischen Spital in die Schweiz repatriiert werden, isoliert man sie zunächst – bis man sicher ist, dass sie keine multiresistenten Keime mehr haben.» Dabei hätten die Labore nicht nur Bakterien, sondern auch Pilze und insbesondere Candida auris im Visier.
Vielleicht ist die Schweiz wegen solcher Vorsichtsmassnahmen bislang vom gefährlichen Pilz verschont geblieben. Vielleicht ist das auch nur Zufall.