Stephan Windecker ist Chefarzt der Kardiologie am Inselspital Bern und ausserordentlicher Professor für Invasive Kardiologie an der Universität Bern.

Quelle: Thinkstock Kollektion

Beobachter: Herr Windecker, vor 50 Jahren betrug die Todesrate bei akuten Herzinfarkten 30 Prozent, heute sind es noch etwa drei Prozent. Wie kommt das?
Stephan Windecker: Der akute Herzinfarkt wird heute systematisch behandelt, indem durch Blutgerinnsel verstopfte Herzarterien mit einem Ballonkatheter geöffnet und mit einer Gefässstütze offen gehalten werden. Früher verabreichte man Herzinfarktpatienten blutverdünnende Medikamente, die das Blutgerinnsel auflösen sollten. Doch das war nur bei etwa der Hälfte der Betroffenen erfolgreich. Verengte Herzarterien erfordern häufig auch bei Patienten ohne akuten Herzinfarkt eine Behandlung und können neben dem Balloneingriff durch Bypässe chirurgisch behandelt werden.

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Beobachter: Hat die Herzmedizin bald für jede Krankheit die richtige Methode?
Windecker: Eine wichtige Errungenschaft für Patienten mit Herzrhythmusstörungen sind die implantierbaren Defibrillatoren – kleine Geräte, die den Herzrhythmus konstant überwachen, monitorisieren und einem plötzlichen Herztod vorbeugen können. Diese Geräte lassen sich auch mit einer sogenannten Resynchronisationstherapie kombinieren, die vor allem bei Patienten angewendet wird, die zusätzlich eine schwere Herzschwäche haben. Die Patienten fühlen sich in der Folge gesünder, der Herzmuskel funktioniert wieder besser. Ein wichtiger Fortschritt ist auch die Möglichkeit, Herzklappenerkrankungen minimalinvasiv zu behandeln: Verengte Aortenklappen lassen sich aufdehnen, defekte Klappen durch Prothesen ersetzen. Lecks in der Mitralklappe kann man durch einen Clip, der mittels Katheter platziert wird, wirkungsvoll reduzieren.

Beobachter: Minimalinvasive Eingriffe mit Herzkathetern werden immer raffinierter. Wird Ihr Fach die traditionelle, «blutige» Herzchirurgie irgendwann verdrängen?
Windecker: Nein, das sicher nicht. Es sind sich ergänzende Methoden: Einfachere Herzprobleme können gut minimalinvasiv behandelt werden. Bei komplexen, fortgeschrittenen Erkrankungen kommen herzchirurgische Massnahmen zum Tragen. Im Inselspital arbeiten wir in sogenannten Herzteams zusammen und suchen fachübergreifend für jeden einzelnen Patienten den besten Weg.

Beobachter: Welches sind denn die Fortschritte in der Herzchirurgie?
Windecker: Herzoperationen sind im Vergleich zu früher allgemein sicherer geworden, dies dank verfeinerten Techniken und fortgeschrittener Anästhesie. Wichtiger geworden sind insbesondere Unterstützungssysteme für Patienten, die an lebensbedrohlicher Herzschwäche leiden. Weil die Warteliste für Transplantationen sehr lang ist, wird heute oft eine miniaturisierte mechanische «Pumpe» implantiert, bis ein Spenderherz zur Verfügung steht. Diese Geräte sind technisch stark verbessert worden, sodass sie häufiger zum Einsatz kommen.

Beobachter: Man forscht heute an Herzgewebe, das aus menschlichen Stammzellen erzeugt wird. So soll ein möglichst naturnaher Ersatz entstehen. Eine realistische Vision?
Windecker: Ja, im Bereich Herzklappen gibt es sehr ermutigende Ansätze. Forschern der Universität Zürich ist es im Tierversuch gelungen, natürliche Herzklappen herzustellen: Sie bauen ein Gerüst aus zuckerbasiertem Biopolymer, bringen darauf Herzvorläuferzellen an und züchten die Stammzellen im Reagenzglas, bis sich diese zu einer vollständigen Herzklappe formiert haben. Diese «lebende» Herzklappe wird dann implantiert. Der Vorteil solcher Implantate ist, dass sie mitwachsen und voraussichtlich nicht verkümmern.

Beobachter: Wie weit ist die Forschung mit naturnahem Ersatzgewebe bei Herzinfarkt oder Herzschwäche?
Windecker: Hier steht der Durchbruch zwar noch aus, aber die bisherigen Studien haben gezeigt, dass dies technisch möglich ist.

«Von einer allgemeinen Überversorgung bei den Herzkatheteruntersuchungen würde ich nicht sprechen.»

Stephan Windecker

Beobachter: Gemäss einer kürzlich erschienenen Studie der Universität Zürich und der Helsana machen in der Schweiz viele Ärzte vorschnell teure Herzkatheteruntersuchungen. Die Rede ist von 5000 unnötigen Eingriffen. Sehen Sie das auch so?
Windecker: Diese Schätzungen halte ich für zu hoch, denn die Aussagekraft der Studie ist wegen der gewählten Methodik begrenzt. Zugegeben: Es gibt in der Schweiz ein Überangebot an Herzkatheterlaboren mit teilweise niedrigen Fallzahlen. Zudem wird ein Eingriff nicht überall nach den gleichen Kriterien angeordnet, und mancherorts wird damit vielleicht übertrieben. Von einer allgemeinen «Überversorgung», wie die Autoren der Studie kritisieren, würde ich trotzdem nicht sprechen. In der Schweiz werden jährlich nur halb so viele Herzkatheteruntersuchungen pro Kopf durchgeführt wie etwa in Deutschland, nämlich 5531 pro eine Million Einwohner, gegenüber 10 783 in Deutschland. Wichtig: Beim akuten Herzinfarkt ist der Herzkatheter lebensrettend.

Beobachter: Wenn aber die Situation nicht akut ist und es nur darum geht, den Schweregrad von Verengungen der Herzkranzgefässe abzuschätzen, werden gemäss internationalen Richtlinien andere, nichtinvasive Diagnoseverfahren empfohlen.
Windecker: Das stimmt. Die Ausarbeitung der europäischen Guidelines, die viele Schweizer Spitäler befolgen, habe ich selbst geleitet. Bei Patienten mit niedrigem bis mittlerem Risiko, eine Herzarterienerkrankung zu erleiden, empfehlen wir, zunächst nichtinvasive Tests durchzuführen: Stressecho, Stress-MR, Computertomografie oder Szintigrafie. Bei hohem Risiko hingegen ist direkt eine Herzkatheteruntersuchung angezeigt. In der von Ihnen erwähnten Studie sind das immerhin 669 von 2714 Patienten.

Beobachter: Trotzdem: Wird mit dem Einsatz des Herzkatheters nicht übertrieben?
Windecker: Man muss gut abwägen: Wir dürfen den Hochrisikopatienten den Herzkatheter nicht vorenthalten, müssen jedoch bei den anderen – deren Risiko gering bis mittel ist – mit anderen Untersuchungen sehr sorgfältig vorabklären, ob ein relevanter Befund vorliegt. Das CT zum Beispiel ist eine gute Methode, um einen Normalbefund zu dokumentieren und somit eine koronare Herzerkrankung auszuschliessen.

Moderne und klassische Eingriffe am Herzen: So wird heute operiert

Bei der Behandlung von Herzkrankheiten haben Mediziner in den vergangenen Jahren riesige Fortschritte erzielt. Während die Ärzte früher das Brustbein aufsägen mussten, um am offenen Herzen operieren zu können, setzen sie heute immer öfter auf minimalinvasive Chirurgie und vor allem auf Interventionen mittels Kathetern. «Solche Eingriffe ersparen dem Patienten eine belastende Rehabilitationszeit», erklärt Thomas Lüscher, Direktor der Klinik für Kardiologie am Universitätsspital Zürich.

Eine Übersicht über die wichtigsten minimalinvasiven und klassischen Operationstechniken:


Schonende, minimalinvasive Eingriffe

  • Stent
    Bei einem Patienten mit einer verengten Herzkranzarterie führt der Mediziner einen Katheter in der Leistengegend in eine Arterie ein und schiebt ihn bis in das verengte Herzkranzgefäss vor. Dort wird  das Gefäss mit einem Ballon erweitert und ein feines Metallgitter (Stent) als Stütze eingesetzt. «Der Trend geht langfristig in Richtung selbstauflösende Stents», sagt Thomas Lüscher.

  • Katheterablation
    Schlägt ein Herz nicht mit dem richtigen Rhythmus, können Ärzte das Gewebe ermitteln, das im Herzen die Störung verursacht. Danach wird dieses Gewebe verödet. Dabei führt der Arzt von der Leiste aus einen Katheter in das Herzgewebe, erhitzt mittels Hochfrequenzstrom dessen Spitze und zerstört so die schädlichen Zellen.

  • TAVI
    Geschädigte Herzklappen lassen sich entweder durch mechanische oder biologische Klappen (etwa von einem Rind) ersetzen. Während Metallklappen eine Operation am offenen Herzen erfordern, kann man die zusammenfaltbaren biologischen Klappen mit einem Katheter in die Aorta einführen (Transkatheter-Aortenklappen-Implantation, kurz TAVI). Weil die Lebenserwartung einer biologischen Klappe geringer ist als die einer mechanischen, wurde diese Technik laut Lüscher bisher primär bei älteren Patienten angewendet.



Klassische, invasive Eingriffe

  • Bypass
    Wenn nicht nur eine oder zwei, sondern alle drei Herzkranzgefässe verengt oder verkalkt sind, nehmen Mediziner eine Bypassoperation vor. Der Chirurg entfernt entweder eine Vene aus dem Bein oder eine Arterie aus der Brustwand und vernäht sie anschliessend mit den betroffenen Herzkranzarterien.

  • LVAD
    Wenn die linke Seite des Herzens zu sehr geschwächt ist, kann ein LVAD («left ventricular assist device») implantiert werden. Diese kleine Pumpe leitet Blut von der linken Herzkammer über einen Schlauch zur Hauptschlagader um und überbrückt die Zeit,bis ein neues Herz transplantiert wird. Die Patienten müssen aber die Akkus für die Pumpe mit sich herumtragen – sie wiegen etwa vier Kilogramm.

  • Herzschrittmacher
    Ein Herzschrittmacher ist ein wenige Zentimeter grosses Gerät, das im Brustbereich unter der Haut des Patienten eingesetzt wird und ein verlangsamtes Herz durch elektrische Impulse wieder schneller schlagen lässt. Fällt der Puls unter 60 Schläge pro Minute, setzt der Herzschrittmacher ein.

  • Implantierter Defibrillator
    Ist das Risiko potenziell tödlicher Herzrhythmusstörungen erhöht, schafft ein implantierbarer Defibrillator Abhilfe. Sobald im Herz ein Kammerflimmern auftritt, sendet das Gerät einen Stromstoss aus und normalisiert die Herzschläge. Der Nachteil: «Ganz selten gibt es bei einer Fehldiagnose unangemessene Schocks», sagt der Kardiologe Thomas Lüscher. Diese seien für die Patienten enorm schmerzhaft.