Hilfe wie von Geisterhand
Hypnose ist kein Hokuspokus, sie kann bei seelischen und körperlichen Problemen helfen – sofern sie richtig angewandt wird.
Veröffentlicht am 22. November 2005 - 16:13 Uhr
Die Augen geschlossen, liege ich völlig entspannt, hellwach. «Vielleicht spüren Sie schon, wie eine Hand immer leichter wird.» Die Stimme der Hypnotiseurin geht im Rhythmus meines Atems. Sie nimmt Anteil an allem, was mit mir passiert. Darauf baut sich unser Rapport auf, unser Vertrauensverhältnis. Das gibt mir die Sicherheit, loszulassen, tiefer in die Trance zu sinken. Offener zu sein für Suggestionen – für Vorschläge bezüglich dem, was ich jetzt oder später fühlen oder tun könnte. «Vielleicht merken Sie, dass sich eine Hand von der Unterfläche lösen will», höre ich. Während ich überlege, welche Hand das wohl sein wird, merke ich, dass es die linke langsam, ruckartig hochzieht.
«Hypnose ist ein veränderter Bewusstseinszustand», erklärt die Hypnotiseurin, die Zürcher Ärztin Karin Kastner. «Das bewusste Denken tritt etwas zurück, das Unbewusste übernimmt die Führung. Äusseres nimmt man weniger wahr, innere Vorstellungen umso lebhafter.» Und das Hirn ist weniger vernetzt. Das kann Phänomene auslösen wie die Hand, die «von selbst» steigt. Die Hirnregionen, die die Bewegungen managen, melden nicht direkt ans Bewusstsein, sondern über Umwege.
«Ein guter Weg in die Trance führt über die Konzentration», so Karin Kastner. «Der Hypnotisand konzentriert sich etwa auf seinen Atem oder auf einen auf und ab wandernden Stift.» Jeder Mensch kennt diese Zustände – wenn er die Zeit beim Fernsehen vergisst oder gedankenversunken Tram fährt und die Haltestelle verpasst. Jeder und jede kann sich in Trance versetzen; in der Hypnose wird diese auf ein Ziel gerichtet – seit Jahrtausenden. Die moderne Hypnose basiert auf der Einsicht des Amerikaners Milton Erickson: Zweck der Hypnose sei es, Menschen dabei zu helfen, ihre eigenen Möglichkeiten für sich nutzbar zu machen.
Unter Hypnose nicht fremdbestimmt
Das Unbewusste weiss genau, was es will. Kein Hypnotisand ist offen für Suggestionen, die ihm widerstreben – sie wecken ihn nur aus seiner Trance. Das fremdbestimmte Hypnoseopfer, das wider seinen Willen handelt, gibt es nicht. Und ein falsches Bild vermittelt auch die Show-Hypnose: Sie baut auf der Bereitschaft, dem Erfolgsdruck und dem Alkoholpegel der Freiwilligen auf und wird durch Verwirrungstaktiken und Schaustellertricks unterstützt: Man muss nicht hypnotisiert sein, um auf der Bühne zu quaken oder schmerzfrei über ein Nagelbrett zu laufen – sofern die Nägel eng aneinander stehen.
Und doch: Manche Menschen geraten auf der Bühne tatsächlich in Trance. Der Hypnotiseur begleitet sie nicht, falls in ihnen schlimme Bilder hochkommen – er achtet auch nicht darauf, ob die Trance am Ende der Show vollständig zurückgebildet ist. Vielmehr lässt er die Betroffenen in einem Zustand hoher Verletzlichkeit allein. Hypnose ist ein wirksames Behandlungsverfahren, und als solches gehört es nur in die Hände qualifizierter, verantwortungsvoller Ärzte und Therapeuten.
Inwiefern hilft Hypnose – mal abgesehen davon, dass der Zustand entspannend ist? «In der Trance ist man offener für neue Denk-, Gefühls-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster», so Expertin Karin Kastner. «Die Bilder und Empfindungen wirken stark nach und arbeiten weiter, viel stärker als bewusst gefasste Vorsätze.» Diverse Hypnosetechniken können dieses Nachwirken unterstützen. Zum Beispiel die Amnesie, das absichtliche Ausblenden von Erinnerungen: So arbeitet manche «vergessene» Suggestion im Unbewussten besser weiter, weil sie nicht durch bewusste Überzeugungen («Das schaffe ich ja doch nie!») gestört wird.
Hypnose unterstützt den Menschen – egal, wie alt – als Manager seines Körpers und seiner Seele. Mit ihrer Hilfe kann er seine Immunabwehr anregen, den Blutdruck senken, die Ausschüttung von Histaminen eindämmen, Blutungen stoppen, Schmerzen in den Griff kriegen, nächtliches Bettnässen überwinden, Unschönes positiv umdeuten, Schlafstörungen beheben, Süchte aufgeben, Licht ins Dunkel einer Depression bringen. Zauberei ist das nicht. Vielmehr macht Übung den Meister. Unter Anleitung der Experten lernen viele zudem, sich selbst zu hypnotisieren.
Wirksam gegen Zahnarztphobie
Auch bei chirurgischen Eingriffen und Zahnbehandlungen wird Hypnose eingesetzt. «Das bewusste Schmerzempfinden lässt sich ausblenden, so dass auf Lokalanästhesie ganz oder teils verzichtet werden kann», sagt der Berner Zahnarzt Philippe Dubied. Er arbeitet auch bei chronischen Kiefer- und Gesichtsschmerzen, Würgreiz und Zähneknirschen mit Hypnose. Und vor allem bei Zahnarztphobien: Mit Vorgespräch, Übungen, Behandlung in Trance und Nachgespräch ist das ziemlich aufwändig. «Doch alle können davon profitieren», so Dubied. «Nicht nur der Patient, der die Behandlung als angenehm oder zumindest neutral erlebt, sondern auch der Zahnarzt. In einer entspannten Situation arbeitet er sicherer, besser und zielgerichteter.»
- Gehen Sie nur zu einem Spezialisten, der eine fundierte Ausbildung hat und Mitglied einer anerkannten Hypnosegesellschaft ist.
- Klären Sie mit dem Spezialisten ab, wie teuer die Behandlung ist und ob sie von der Krankenkasse übernommen wird.
- In einem Vorgespräch sollte der Spezialist mit Ihnen ein Ziel definieren, Sie nach ärztlichen Befunden fragen und abklären, welche Hypnosetechniken er mit Ihnen anwenden kann.
- Wechseln Sie den Spezialisten, wenn der Draht zum Hypnotiseur nicht stimmt oder Sie sich bei ihm nicht völlig aufgehoben fühlen.
- Schweizerische Ärztegesellschaft für Hypnose: www.smsh.ch
- Gesellschaft für klinische Hypnose Schweiz: www.hypnos.ch
- Deutsche Gesellschaft für Hypnose:
www.dgh-hypnose.de