Viel mehr Keime im Trinkwasser als angenommen
Die Zahl der Bakterien im Trinkwasser wurde bisher stark unterschätzt. Jetzt führt die Schweiz als erstes Land eine bessere Messmethode ein.
Veröffentlicht am 24. Januar 2013 - 15:18 Uhr
Ob Trinkwasser hygienisch einwandfrei ist, wird seit über hundert Jahren mit derselben Methode ermittelt: Man gibt die im Wasser vorhandenen Bakterien auf einen Nährstoffboden, lässt die Keime an einem warmen Ort aufwachsen und zählt nach drei bis zehn Tagen aus, wie viele Kolonien sich gebildet haben.
Doch diese herkömmliche Methode ist alles andere als exakt: Man hat inzwischen herausgefunden, dass auch in einwandfreiem Trinkwasser zwischen 100- und 10'000-mal mehr Bakterien leben als die Auszählmethode glauben macht. Deshalb wird nun in der Schweiz eine neue Art der Messung eingeführt: die Durchflusszytometrie, bei der die Lebewesen im Wasser mit Laserlicht gezählt werden. Damit lasse sich die Zahl der Bakterien viel exakter ermitteln, schreibt das Wasserforschungsinstitut Eawag in einer Medienmitteilung.
Bei der bisherigen Methode liegt das Hauptaugenmerk auf den Darmbakterien Escherichia coli und Enterokokken, die als Indikatoren für die Verschmutzung des Wassers mit Fäkalien dienen. Parallel dazu, als Mass für die allgemeine mikrobiologische Qualität, wird auch die aerob-mesophile Keimzahl ermittelt.
Doch die bisherige Methode hat laut der Eawag entscheidende Nachteile: Sie benötigt viel Zeit und es werden nur Bruchteile der effektiv in der Probe lebenden Keime gezählt. «Erfasst werden nur diejenigen Bakterien, die bei den vorgegebenen Bedingungen wachsen und Kolonien bilden können», so sie Eawag. Das seien nur gerade 0,01 bis 1 Prozent der Bakterienarten, die im Wasser vorkommen. Daraus ergibt sich eine massive Unterschätzung der Gesamt-Keimzahl, was auch einen Einfluss auf den Toleranzwert hat: «Der in der Hygieneverordnung festgelegte Toleranzwert von weniger als 300 koloniebildenden Einheiten pro Milliliter beruht auf einer starken Unterschätzung der tatsächlichen Zahl vorhandener Mikroorganismen», schreibt die Eawag. Nur für E. coli und für Enterokokken liefere die alte Methode in der Regel verlässliche Resultate.
Mit dem neuen Verfahren kann nun innert weniger Minuten die Gesamtzahl der Zellen in einer Wasserprobe ermittelt werden. Diese Zahl ist ein realistischer Gradmesser für die mikrobielle Belastung des Trinkwassers. Zudem kann mit dem neuen Verfahren auch das Verhältnis von grossen zu kleinen Zellen eruiert werden. Dieses gilt als «Fingerabdruck» des Wassers; plötzliche Veränderungen dieses Werts können auf Schäden und falsche Anschlüsse im Leitungsnetz oder Störungen in einer Wasseraufbereitung hinweisen.
Die Schweiz ist das erste Land weltweit, das die neue Methode einführt. Neue Grenzwerte seien hingegen nicht nötig, glaubt der Eawag-Trinkwasserspezialist Stefan Kötzsch: «Hohe Zellzahlen alleine lassen noch nicht auf eventuell vorhandene Krankheitserreger schliessen.» Koetzsch und seine Kollegen sind überzeugt, dass sich die Durchflusszytometrie als neuer Standard etablieren wird. Bereits wird an einer automatisierten Version des Verfahrens gearbeitet, die eine «online»-Kontrolle der Bakterienzahlen erlaubt.
Die Durchflusszytometrie basiert auf der Einfärbung der lebenden Zellen mit einem Fluoreszenzfarbstoff, der an die DNA bindet. Das Wasser wird dann durch eine enge Kapillare geschickt, wobei Laserstrahlen die Bakterien erfasst.