Die Gefahr lauert im Badezimmer
Unüberlegtes Energiesparen kann zu Legionellen im Duschwasser führen. Fachleute fordern deshalb strengere Vorschriften und mehr Kontrollen.
Veröffentlicht am 5. Dezember 2022 - 16:49 Uhr
Der Tipp kam von einer Bekannten. «Hast du dein Duschwasser auf Legionellen überprüft?» Nein, hatte Angela Casada nicht. Es war im Frühling 2021, seit Monaten ging es ihr schlecht. Erst hatte sie hohes Fieber, Schüttelfrost, Hustenanfälle. Sie ging zum Arzt, der verschrieb ihr ein Antibiotikum. Wie eine Lungenentzündung habe es sich angefühlt, sagt die 61-Jährige, die das schon zweimal erlebt hatte.
Kaum war die Entzündung abgeklungen, bildeten sich an beiden Beinen Ekzeme. Mit der Zeit rötete sich ihr ganzer Körper. Der Arzt war ratlos. Dann kam der Tipp der Bekannten. Casada informierte die Hausverwaltung, worauf diese eine Wasserprobe nehmen liess. Tatsächlich: Sie ergab über 100'000 Legionellen pro Messeinheit. Bei Werten über 1000 müssen Hallenbäder, Schulduschen und Spas schliessen.
Legionellose auf dem Vormarsch
Legionellen sind Bakterien. Sie lösen verschiedene Krankheiten aus. Das harmlose Pontiac-Fieber zum Beispiel, das mit einer Grippe vergleichbar ist. Aber auch die Legionärskrankheit, die zu einer schweren Lungenentzündung führt. Gefährdet sind vor allem immungeschwächte Menschen, über 50-Jährige und starke Raucherinnen und Raucher. Mindestens jede zwanzigste erkrankte Person stirbt daran.
Die Legionärskrankheit ist selten, aber auf dem Vormarsch. «Wir haben die Lage nicht mehr im Griff», sagte Daniel Koch bereits 2018, damals noch kaum bekannter Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten beim Bund. Seither haben die Fälle in der Schweiz weiter zugenommen. Innert zehn Jahren sind sie von 277 auf 677 gestiegen.
Das sind über sieben Fälle auf 100'000 Einwohner – ein Spitzenwert in Europa.
«Die hohen Fallzahlen in der Schweiz sind nicht allein auf unser gutes Test- und Meldesystem zurückzuführen.»
Daniel Mäusezahl, Tropen- und Public-Health-Institut
Die Gründe dafür sind ebenso unbekannt wie diejenigen für den weltweiten Anstieg. Der Bund hat 2020 ein grosses Forschungsprojekt in Auftrag gegeben, bei dem Medizin und Gebäudetechnik zusammenspannen. «Klar ist, dass die hohen Fallzahlen in der Schweiz nicht allein auf unser gutes Test- und Meldesystem zurückzuführen sind», sagt Daniel Mäusezahl vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH).
Die Infektion erfolgt in der Regel, wenn man Legionellen über Wassertröpfchen einatmet, beim Duschen, im Dampfbad, aber auch über Klimaanlagen und in Autowaschanlagen. Gefährlich viele Legionellen bilden sich, wenn Wasser lange steht und 25 bis 45 Grad warm ist. Erst ab einer Temperatur über 60 Grad sterben die Bakterien ab. Die Gefahr ist deshalb immer real, wenn man unüberlegt Energie spart: Stellt man den Warmwasserboiler zu niedrig ein, gedeihen sie.
Defekte und fehlendes Wissen
Häufigere Ursache sind Defekte oder Mängel bei der Aufbereitung von Warmwasser . Wie bei Angela Casada. Weil ein Elektroinstallateur ein Kabel nicht richtig angeschlossen hatte, wurde das Warmwasser nur noch auf gut 40 Grad erhitzt. Casada, von Beruf Heilpraktikerin, hatte das auch bemerkt. Dass das ein Problem sein könnte, wusste sie aber nicht. «Duschwasser, das krank macht – darauf wäre ich nie gekommen.»
Die Hausverwaltung wiederum hatte vom Problem nichts mitbekommen. Das passiere oft, sagt Franziska Rölli, Legionellenexpertin am Institut für Gebäudetechnik und Energie der Hochschule Luzern. Es gebe zwar Richtlinien und Baunormen, um übermässige Legionellenbildung in Wasserleitungen zu verhindern. Trotzdem stossen Rölli und ihr Forschungsteam bei Kontrollen immer wieder auf Mängel, auch bei neuen Anlagen.
«Eine Probe alle drei Jahre ist eigentlich zu wenig, aber besser als gar nichts.»
Franziska Rölli, Mikrobiologin
Höchstwerte sowie die Pflicht, Dusch- und Badwasser regelmässig auf Legionellen zu testen, gibt es in der Schweiz nur für Hallenbäder, Spitäler, Hotels und Spas. Anders in Deutschland. Dort müssen Vermieter mindestens alle drei Jahre durch ein Labor eine Legionellenprobe nehmen lassen. In der Schweiz müssen sie nur kontrollieren, ob Boiler und Wasserleitungen in Ordnung sind.
«Eine Probe alle drei Jahre ist eigentlich zu wenig, aber besser als gar nichts», sagt Mikrobiologin Rölli. Unbedingt notwendig sei es jedoch, regelmässig die Wassertemperatur zu messen. So erkenne man Defekte oder Mängel, die ebenfalls Legionellen verursachen können. Leider täten das viele Hausverwaltungen nicht, oft fehle schlicht das Wissen. «Wir wurden vom Hauswart schon zum Heizungsspeicher geführt, als wir den Trinkwasserboiler überprüfen wollten.»
So viele Legionellose-Fälle wurden in den letzten Jahren in der Schweiz gemeldet (2022: bis Kalenderwoche 44).
Noch weiss die Forschung wenig darüber, warum genau sich Legionellen bilden, wie die Übertragung auf Menschen erfolgt und warum sie nur für manche gefährlich sind. Diese Unklarheit spielt auch mit, wenn es darum geht, Normen und Schutzmassnahmen festzulegen.
Die Höchstwerte für öffentliche Anlagen gelten für alle Legionellenarten, obwohl manche nicht krank machen. «Hier wird vereinzelt der Ruf laut, dass man differenzieren müsse», sagt Rölli. Auch Vorschriften zur Wassererwärmung sind umstritten, denn klimaschonende Wärmepumpen arbeiten effizienter, wenn sie das Wasser nur auf 50 Grad aufheizen. «Legionellenbekämpfung beisst sich häufig mit dem Energiesparen», bestätigt Rölli. Hier soll das Forschungsprogramm des Bundes helfen. Man will weitere Grundlagen erarbeiten, um verhältnismässige Regeln und Vorschriften einführen zu können.
Wer ist schuld?
Ein Problem ist ausserdem, dass meistens nicht klar ist, wo man sich mit Legionellen angesteckt hat. Wenn man den Vermieter haftbar machen will, muss man dessen Schuld nachweisen können. Das ist nicht einfach: Bei Angela Casada etwa ist unsicher, ob sie überhaupt an der Legionärskrankheit gelitten hat. In ihrem Duschwasser wurden zwar massiv Legionellen nachgewiesen, allerdings von einem Stamm, der als wenig ansteckend gilt. Zudem sind nur das hohe Fieber und die Lungenentzündung typische Symptome, nicht aber die Hautrötung. Ein Test wurde nie gemacht.
Beim Tropen- und Public-Health-Institut heisst es zwar, dass verschiedene Legionellenstämme krank machen können und dass es auch schon Fälle mit Hautreaktionen gegeben hat. Das Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität Zürich ist trotzdem eher skeptisch, ob es sich bei Angela Casada um Legionellose handelte.
Nach dem Vorfall ist sie aus ihrer Wohnung ausgezogen und hat von ihrem Vermieter eine Entschädigung von 3000 Franken erhalten. Informell und mit der Bitte, das mit den Legionellen für sich zu behalten.