Falsche Heilsversprechen – und die Aufsicht schaut weg
Verkäufer propagieren gefährliche Salben und Chemikalien, als wären sie Heilmittel. Dabei nutzen sie Lücken in der Schweizer Gesetzgebung.
Veröffentlicht am 12. Mai 2022 - 14:56 Uhr
Wer in Todesangst ist, klammert sich noch an den letzten Strohhalm. Zum Beispiel an die Mär, man könne mit «Schwarzer Salbe» Hautkrebs heilen. Das behauptet ein Australier in seinem «Praxisbuch» zum «Wundermittel». Darin ist von Personen die Rede, bei denen Tumoren dank der Salbe einfach rausgefallen seien. Die Salbe spüre auch noch nicht entdeckte Geschwüre auf.
Was nicht erwähnt wird: Die Salbe enthält Zinkchlorid. Es löst starke Reizungen und Verätzungen aus, es können sich Geschwüre und irreparable Schäden auf der Haut, in den Augen und bei Einnahme im Verdauungstrakt bilden. Die US-Heilmittelbehörde FDA warnt seit Jahren eindringlich vor der Salbe. In den USA und in Deutschland ist der Verkauf verboten.
Anders in der Schweiz. Hier gibt es keine Verbotslisten. Ein Produkt darf aber nur als heilsam angepriesen werden, wenn die Wirksamkeit erwiesen ist und es von der Heilmittelbehörde Swissmedic als Arzneimittel zugelassen wurde. Wer ein Präparat als heilsam anpreist , das nicht zugelassen ist, macht sich strafbar. Das Heilmittelgesetz sieht Strafen von bis zu drei Jahren Gefängnis oder hohe Bussen vor. Es fragt sich aber: Ist dieses Gesetz mehr als toter Buchstabe?
Die Masche mit den zwei Websites
Ein Beispiel: Was passiert, wenn ein Verkäufer auf der einen Website nur ein Heilsversprechen macht , seine Mittel aber auf einer anderen Site zum Verkauf anbietet – ohne Heilsversprechen? Die Behörden müssen ihm zweifelsfrei nachweisen können, dass er für Heilsversprechen und Verkauf verantwortlich ist. Denn laut Heilmittelgesetz kann eine Person nur bestraft werden, wenn sie nicht zugelassene Arzneimittel «herstellt, in Verkehr bringt, anwendet, verschreibt, einführt, ausführt oder im Ausland damit handelt». Heilsversprechen abzugeben, ohne das Mittel zu verkaufen, ist nicht strafbar.
Das weiss offenbar auch Nikolaj Schauer, der einen Webshop in Härkingen SO betreibt. Er bietet das australische «Praxisbuch» an, aber auch die «Schwarze Salbe». Den 30-Gramm-Tiegel mit dem gefährlichen Zinkchlorid für 43 Franken – als «traditionelle Kräutermischung zur Pflege von Leder». Daneben findet sich als Kaufempfehlung das «Praxisbuch» zur Salbe.
Bloss eine «Beschreibung»
Das sei kein Heilsversprechen, heisst es beim Solothurner Gesundheitsamt: «Auf der Homepage des Webshops wird zum Buch klar festgehalten, dass es sich nicht um ein medizinisches, sondern ein alternatives, insbesondere diagnostisches Verfahren handelt.» Es handle sich lediglich um eine Artikelbeschreibung zum Buch und sei deshalb Ausdruck der freien Meinungsäusserung des Autors. Das Amt schreite nicht ein, «ausser es liegt eine massgebliche Gesundheitsgefährdung vor».
Zudem handle es sich bei der Salbe laut Deklaration um Lederpflege. Dem Gesundheitsamt ist offenbar nicht bekannt, dass dies ein beliebter Trick ist, mit dem eingefleischte Anhänger dubioser Heilmethoden rechtliche Schwierigkeiten umgehen.
Obwohl der Beobachter das Amt darauf hinwies, dass Schauers Firma Kunden per E-Mail bestätigt, dass es sich bei der «Lederpflege» um die im Buch propagierte Salbe handle, kann das Amt keinen Zusammenhang «zwischen den zu erwerbenden schwarzen Salben sowie der im Buch erwähnten ‹Schwarzen Salbe› entnehmen». Schauer distanziert sich gegenüber dem Beobachter von den in der Mail «angeblich gemachten Aussagen». Weil im Buch die Salbe, die er anbietet, nicht direkt genannt werde, mache er «weder direkte noch indirekte Heilsversprechen».
«Wenn wir zur angekündigten Inspektion vorbeikommen, ist in solchen Betrieben meist alles in bester Ordnung.»
Armin Feurer, Leiter Chemiesicherheit des Kantons Aargau
Kein seltener Fall, findet die Juristin Juana Vasella. Die Spezialistin im Heilmittelrecht sagt, es sei ein beliebter Trick im Bereich der Pseudomedizin und bei zweifelhaften Nahrungsergänzungsmitteln, die Heilsversprechen und den Verkauf der Produkte zu trennen. Teilweise werden Heilsversprechen und Verkauf zur Verschleierung sogar von unterschiedlichen Personen gemacht. «So wird es für Behörden viel schwieriger, die verantwortlichen Personen ausfindig zu machen und die Vergehen zu verfolgen und zu bestrafen.»
Juana Vasella weist auch auf ein anderes Problem hin: den Föderalismus. Er sei womöglich mitverantwortlich, dass Anbieter zweifelhafter Heilmethoden straflos davonkommen. Denn die Zulassung von Mitteln und die Ahndung von Verstössen gegen das Heilmittelgesetz ist grundsätzlich Sache des Bundes. Swissmedic prüft dazu, ob Aussagen als Heilsversprechen einzustufen sind. Doch für die Prüfung der Arzneimittelqualität und die strafrechtliche Verfolgung sind meist die Kantone zuständig. Unter diesen gibt es keinen systematischen Austausch zu solchen Fällen.
Aufwendige Ermittlungen
Jedes Amt beurteilt und urteilt selbst. Das sei zum Teil so aufwendig, dass es die Kapazitäten stark strapaziert, so Armin Feurer, Leiter Chemiesicherheit des Kantons Aargau. Seine Behörde hat 2014 einem Händler quasi ein Verkaufsverbot auferlegt, der das angebliche Wundermittel MMS (Miracle Mineral Supplement) als heilsam bewarb. Hinter der Bezeichnung steht ätzendes Chlordioxid. Auf einer zweiten Website verkaufte er diese und weitere Chemikalien, die heilsam sein sollen, auch die «Schwarze Salbe». Es gelang Feurers Amt, die Verbindung zwischen den zwei Websites zu beweisen.
Der Fall sei sehr zeitintensiv gewesen, sagt Feurer. «Im Aargau haben wir zum Glück die Kapazitäten, um einzelne solche Fälle zu bewältigen.» Es fehle eine Art Wissensdatenbank dazu, mit welchen Argumenten die Behörden welche Produkte aus dem Verkehr ziehen können. Ein weiteres Problem: Das Gesetz erlaube keine anonymen Testkäufe. Verdeckte Ermittlungen müsse die Staatsanwaltschaft anordnen – was nur in schweren Fällen passiere. «Wenn wir zur angekündigten Inspektion vorbeikommen, ist in solchen Betrieben meist alles in bester Ordnung.»
Eine Umfrage des Beobachters bei allen Kantonen zeigt, dass es wohl grosse Unterschiede bei der Ahndung gibt – wobei die Erfassung nicht einheitlich ist. Thurgau und Tessin stellten von 2017 bis 2021 je rund 120 Verstösse durch Ärzte, Apotheken oder medizinische Fachpersonen fest. Solothurn meldete sechs, Aargau zehn; Luzern, Ob- und Nidwalden und Uri meldeten keinen einzigen Verstoss, der administrative oder strafrechtliche Massnahmen nötig gemacht hätte.
Verschleierung erschweren
Inzwischen beschäftigt das Thema auch die Politik: SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo fragte im März den Bundesrat, ob das Gesetz angepasst werden müsse. Etwa mit einem Passus, dass bei der Beurteilung der Fälle die gesamte Kommunikation über diverse Kanäle von Personen und Firmen berücksichtigt werden könne.
Sie will wissen, ob man so auf Verschleierungstaktiken wie die Trennung von Heilsversprechen und Verkauf besser reagieren könnte. «Das Geschäft mit nicht zugelassenen Substanzen und falschen Heilsversprechen gefährdet die Gesundheit der Bevölkerung», sagt Birrer-Heimo. «Der Gesetzgeber muss handeln, um diesen Machenschaften einen Riegel zu schieben.»
«Eine Verschärfung ergibt nur Sinn, wenn das Gesetz auch umgesetzt werden kann», sagt Juristin Juana Vasella. Das brauche aber wohl mehr Personal bei kantonalen Behörden und der Heilmittelbehörde Swissmedic. «Sanktionen haben immer auch abschreckende Wirkung. Es braucht daher ein konsequentes Vorgehen.»