Wie sicher ist der AstraZeneca-Impfstoff?
Der Impfstoff der britisch-schwedischen Pharmafirma AstraZeneca könnte in seltenen Fällen zu Genveränderungen führen. Sind Spätfolgen zu befürchten?
Veröffentlicht am 11. Februar 2021 - 17:38 Uhr
Die Gerüchte waren so schnell widerlegt, wie sie aufgetaucht waren. Verschwörungstheoretiker und Impfgegner hatten behauptet, die Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna könnten das menschliche Erbgut verändern und somit Krebs auslösen. Es fiel Wissenschaftlern sehr leicht, diese Ängste zu entkräften.
Denn die beiden Impfstoffe bestehen gar nicht aus DNA, der Erbsubstanz, die Lebewesen von Generation zu Generation weitergeben, sondern aus ihrer kurzlebigen Arbeitskopie, der mRNA. DNA lagert im Zellkern, doch die mRNA bleibt ausserhalb, im Zellplasma. Die eingeschleuste Impf-RNA kann damit gar nicht mit der DNA interagieren.
Doch diese Argumentation trifft nicht auf den nächsten Impfstoff zu, der wohl kurz vor der Zulassung steht. Das Präparat von AstraZeneca basiert auf einem Vektor, einem Virus, das als Transportvehikel benutzt wird. Es soll die Erbinformation für das Spikeprotein des Coronavirus in die menschlichen Zellen bringen. Dazu verwenden die Entwickler Adenoviren. Deren Erbsubstanz besteht genau wie die unsere aus DNA. Damit der Impfstoff wirken kann, muss die Virus-DNA in unsere Zellkerne gelangen.
Bedenken an der Uni Zürich
«Mich macht das ein bisschen nervös», sagt Christian Münz, Professor für virale Immunbiologie an der Uni Zürich. Dass Virus-Erbsubstanz in den Zellkern gelangt, ist für zugelassene Impfstoffe ungewöhnlich.
Falls Erbsubstanz vorhanden ist, besteht sie entweder direkt aus RNA, die nicht in den Zellkern eindringt. Oder das Vakzin basiert auf abgeschwächten Erregern: Dann ist zwar DNA als Erbsubstanz enthalten. Entweder bleibt diese dann aber im Zellplasma, wie beim Pockenimpfstoff. Oder es gibt einen ins Virus eingebauten Mechanismus, der eine Integration der DNA verhindert – wie beim Windpockenimpfstoff.
Wenn aber bei den Adenoviren fremde DNA in Zellkerne gelangt, wird diese gelegentlich in das menschliche Genom eingebaut. Das gehört nicht zum Lebenszyklus von Adenoviren, sondern geschieht zufällig.
«Diese Integration passiert leider nicht ganz so selten, wie man es sich erhoffen würde», sagt Christian Münz. «In Mäusen wird eines von einer Million injizierten Viren in die Wirts-DNA integriert – und beim AstraZeneca-Impfstoff werden je nach Dosierung 25 bis 50 Milliarden Viren gespritzt.» Daraus ergebe sich – im Vergleich mit dem RNA-Impfstoff – ein höheres Risiko für Langzeitschäden. Krebs könnte die Folge sein, wie er bei frühen Gentherapien aufgetreten sei. «Da hat man allerdings Retro- und Lentiviren verwendet, die sehr viel häufiger integrieren», sagt Münz. «Bei Adenoviren ist das Risiko viel geringer.»
In den aktuell laufenden Studien zu den Vektorimpfstoffen würden Komplikationen durch Virus-DNA-Integration kaum auffallen können. Betroffen wären zunächst nur einzelne Zellen, die Folgen könnten sich erst Jahre später zeigen.
Doch wie wahrscheinlich sind solche Integrationen? Stefan Kochanek, Direktor der Abteilung Gentherapie am Uniklinikum Ulm, hat es bei Mäusen erforscht. «In dieser einen Zelle, in der die Integration passiert, wird vielleicht ein Gen unterbrochen und funktioniert deshalb nicht mehr», sagt der Molekularmediziner. «Aber spontan auftretende Mutationen, durch die ein Gen funktionsuntüchtig wird, kommen in gesunden Zellen gar nicht so selten vor – und diese natürlichen Veränderungen sind 1000-mal häufiger als eine Integration der DNA eines Adenovirus in die Säugetier-DNA.»
Diese Angaben beziehen sich auf Leberzellen von Mäusen. Die Vektorimpfstoffe werden beim Menschen aber in den Oberarmmuskel injiziert. «Am liebsten wüssten wir jetzt natürlich, wie Muskelzellen reagieren. Aber dort ist es quasi unmöglich, Integrationen quantitativ festzustellen – erst recht nicht beim Menschen», sagt Kochanek. «Der Muskel ist allerdings ein quasi ruhendes Gewebe mit geringer Zellteilungsrate. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Integrationsrate dort noch mal deutlich niedriger ist als in der Leber.»
Krebs in Muskelzellen – sogenannte Myosarkome – ist denn auch äusserst selten. «Ausserdem würde das Immunsystem Zellen, in denen sich ein Adenovirus-Vektor ins Genom integriert hätte, sehr wahrscheinlich spätestens nach wenigen Wochen abtöten», sagt Kochanek. «Ich sehe deshalb in den Corona-Impfstoffen auf Basis von Adenoviren keine langfristige Gefahr.»
«Man muss sehr aufpassen, dass man bei der Bevölkerung keine unnötigen Ängste schürt.»
Urs Greber, Professor für molekulare Zellbiologie an der Uni Zürich
Doch reicht das für die Sicherheitsanforderungen an einen Impfstoff, der anders als Gentherapie nicht schwer kranken Menschen verabreicht wird, sondern gesunden?
Christoph Berger, Vorsitzender der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF), antwortete nicht auf eine Anfrage des Beobachters. Auch Claire-Anne Siegrist, Professorin für Vakzinologie an der Uni Genf und Leiterin des Kollaborationszentrums für Impffragen der WHO, ging nicht auf die Frage ein. «Es gibt die Möglichkeit, dass Swissmedic einen Impfstoff zulässt und die EKIF diesen trotzdem nicht empfiehlt», teilte sie zum AstraZeneca-Impfstoff mit.
Carlos Guzmán, Leiter Vakzinologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, verweist auf Gerd Sutter, Professor für Virologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, der an Vektorimpfstoffen forscht, aber ebenfalls nicht antwortet.
Keine Zweifel streuen
Es wirkt, als ob die Fachleute die Impfskepsis nicht unnötig befördern wollen, nur weil sie aus wissenschaftlicher Sicht das Risiko einer Integration der Adenovirus-Vektoren nicht ganz ausschliessen können.
«Man muss sehr aufpassen, dass man bei der Bevölkerung keine unnötigen Ängste schürt», sagt Urs Greber, Professor für molekulare Zellbiologie an der Uni Zürich, der an Adenoviren forscht. «Es gibt keinerlei Evidenz, dass bösartige Krankheiten durch die menschlichen Adenoviren verursacht werden – und dieses Feld wird seit mehr als 50 Jahren erforscht.» Allerdings benutzt der AstraZeneca-Impfstoff ein Virus, das sonst nur bei Schimpansen vorkommt.
Virologen sehen die Vektorimpfung trotz einzelnen Bedenken positiv. «Viren integrieren ständig in unser Genom», sagt Urs Greber. Er würde sich mit dem AstraZeneca-Impfstoff immunisieren lassen. Auch Friedemann Weber, Direktor des Instituts für Virologie an der Uni Giessen, sagt: «Ich würde mir den AstraZeneca-Impfstoff sofort spritzen lassen, sobald ich dran bin. Adenoviren verursachen bei uns ständig Erkältungen – nach diesen Infektionen kennen wir auch keine Häufung von Krebserkrankungen.»
Swissmedic bremst
Die Wirksamkeit des AstraZeneca-Impfstoffs bleibt mit 62 Prozent weit hinter jener der RNA-Impfstoffe (95 Prozent) zurück – und für ältere Menschen gibt es bislang so wenig veröffentlichte Daten, dass die deutsche Ständige Impfkommission den Stoff nicht für Menschen über 64 empfiehlt. Swissmedic schiebt den Entscheid über eine Zulassung hinaus: «Die aktuell vorliegenden Daten erlauben noch keinen positiven Nutzen-Risiko-Entscheid.»
«Die Hoffnung ist, dass die Impfung der jüngeren Erwachsenen die Übertragung auf Risikopersonen verlangsamt», sagt Christian Münz. Vermutlich müsste dafür ein hoher Prozentsatz der jüngeren Bevölkerung geimpft werden. Das scheint bei den momentanen Lieferengpässen von AstraZeneca zunächst wenig realistisch. Zudem müssten besonders Jüngere noch lange mit möglichen Spätfolgen leben.
«Auch bei diesem Impfstoff sind in den klinischen Phase-III-Studien nur selten Nebenwirkungen aufgetreten. Dennoch birgt der Einsatz eines DNA-Vektorimpfstoffs eine höhere Gefahr der Integration ins Wirtsgenom als bei den RNA-Impfstoffen», so Christian Münz. «Das könnte – vermutlich allerdings bei einer geringen Zahl Geimpfter – zu Langzeitkomplikationen führen. Daher ist der Nutzen geringer und unter Umständen das Risiko grösser als bei den RNA-Impfstoffen.»
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