Was man von den noch nicht zugelassenen Impfstoffen erwarten kann
Warum die Schweiz ausschert und nicht mehr mit Vektorimpfstoffen plant – und was von den anderen Vakzinen zu erwarten ist.
Veröffentlicht am 12. März 2021 - 09:29 Uhr
In der Corona-Krise hat die Schweiz nicht immer ein gutes Bild abgegeben – von der anfänglichen Maskenskepsis bis zu den zögerlichen Schutzmassnahmen im Herbst. Doch jetzt schickt sich der Bund an, vorwegzugehen auf einem Gebiet, bei dem er einen Weltruf zu verteidigen hat: bei der Sicherheit.
Während die meisten Länder auf Vektorimpfstoffe setzen, um die Pandemie zu überwinden, sieht es ganz so aus, als würde die Schweiz auf diese Präparate nun ganz verzichten.
Bislang verimpfen die Kantone nur die RNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und von Moderna. Zuletzt meldete der Bund, dass er bei Moderna zusätzliche 6 Millionen Impfdosen bestellt hat. Inklusive der 3 Millionen Dosen von Biontech/Pfizer sind damit bereits 16,5 Millionen Dosen der beiden Impfstoffe geordert. Das wird für 8,25 Millionen Impfwillige reichen.
Bestellt hat der Bund weitere 5 Millionen Dosen bei der deutschen Firma Curevac. Deren Vakzin befindet sich in der letzten klinischen Testphase und ist noch nirgendwo zugelassen. Es handelt sich ebenfalls um einen RNA-Impfstoff. Der Bund hat zudem noch 6 Millionen Dosen vom Novavax-Vakzin geordert, einem proteinbasierten Impfstoff. Auch dieser befindet sich erst in der Endphase der Testungen. Damit hat die Schweiz ohne Vektorimpfstoffe insgesamt 27,5 Millionen Impfdosen bestellt.
Die Schweiz geht damit beim Corona-Impfstoff von Johnson & Johnson eigene Wege, obwohl die halbe Welt sehnsüchtig auf ihn wartet. Im Gegensatz zu den bislang zugelassenen Vakzinen muss er nur ein einziges Mal verabreicht werden. Als eines der wenigen europäischen Länder hat die Schweiz das Präparat bislang nicht bestellt. Und es wird immer offensichtlicher, dass sie auch mit den 5,3 Millionen Impfdosen von AstraZeneca nicht mehr plant. In der Schweiz ist das Vakzin – im Gegensatz zur EU – bislang nicht zugelassen. In einem Lieferplan tauchte es zuletzt nicht mehr auf.
Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson bieten weniger Schutz
Die Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson haben eine Gemeinsamkeit. Beide nutzen ein verändertes Adenovirus, das sich nicht vermehrt, um das Gen für das Spike-Protein des Coronavirus in menschliche Zellen einzuschleusen – also jenes Molekül, mit dem das Virus an Zellen andockt.
Allerdings schützen sie gemäss Zulassungsstudien nur zu 62 Prozent (AstraZeneca) und 66 Prozent (Johnson & Johnson) und damit weniger gut als RNA-Impfstoffe. Deren Effektivität wird mit 94 (Moderna) und 95 Prozent (Biontech/Pfizer) angegeben.
Gleichzeitig gibt es auch Sicherheitsbedenken gegen den Vektorimpfstoff. Denn die Adenoviren transportieren ihre DNA direkt in den Zellkern. Damit kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie in die menschliche Erbsubstanz eingebaut wird (der Beobachter berichtete).
Beim RNA-Impfstoff ist diese Gefahr deutlich geringer. Ausserdem schützt er besser vor Sars-CoV-2. Deshalb sei «nicht mehr einsichtig, weswegen man den Impfstoff auf Basis von Adenoviren verwenden sollte», sagt Christian Münz, Professor für virale Immunbiologie an der Uni Zürich. Er steht innerhalb der Covid-Taskforce der Expertengruppe Immunologie vor. Sie berät den Bund in Sachen Impfstoff.
Das Bundesamt für Gesundheit gibt keine Auskunft darüber, ob es auch noch Vektorimpfstoffe wie den von Johnson & Johnson beschaffen will. Eine BAG-Sprecherin schloss zuletzt nicht aus, dass der bereits bestellte von AstraZeneca weiterverkauft wird.
«Wir haben die RNA-Impfung seit den Neunzigerjahren weiterentwickelt, weil die Vektorimpfstoffe in meinen Augen ein gesundheitliches Risiko darstellen.»
Steve Pascolo, Mitgründer von Curevac
Geht die Schweiz ein zu grosses Risiko ein, wenn sie ganz auf Vektorimpfstoffe verzichtet? Denn die zusätzlich bestellten RNA-Präparate von Novavax und Curevac sind bisher nicht zugelassen. Die beiden Firmen haben noch nicht einmal Anträge bei der Zulassungsbehörde Swissmedic eingereicht.
Trotzdem lobt der Zürcher Immunologe Steve Pascolo das Vorgehen. Er ist Curevac-Mitgründer und einer der Erfinder der RNA-Impfung. «Es ist sehr gut, dass die Schweiz nicht mit Vektorimpfstoffen plant», sagt Pascolo. «Wir haben die RNA-Impfung seit den Neunzigerjahren weiterentwickelt, weil die Vektorimpfstoffe in meinen Augen ein gesundheitliches Risiko darstellen», sagte er dem Beobachter.
Was aber kann man von den beiden noch nicht zugelassenen Vakzinen erwarten?
Das Präparat von Curevac ist ein RNA-Impfstoff. Es funktioniert wie die Präparate von Moderna und Biontech/Pfizer. Allerdings wird er in geringerer Dosierung gespritzt: nur 12 Mikrogramm statt 100 wie bei Moderna und 30 bei Biontech/Pfizer. «Die Antikörper-Antwort – die Ausschüttung von Antikörpern – ist deshalb etwas schwächer als bei den bereits zugelassenen RNA-Impfstoffen, aber etwa gleichwertig mit dem, was eine Infektion mit Sars-CoV-2 auslöst», so Pascolo. «Ich hoffe, das reicht.»
Novavax-Impfstoff arbeitet nach anderem Prinzip
Der Novavax-Impfstoff wirkt etwas anders. Er enthält keine Erbsubstanz als Wirkstoff, sondern nur das Corona-Spike-Protein selbst. Damit stützt er sich auf ein Verfahren, wie man es etwa vom Impfstoff gegen Hepatitis B her kennt.
Neu bei Novavax ist, dass jeweils drei Spike-Proteine an einen Nanopartikel gekoppelt sind und mit dieser Struktur eine stärkere Antikörper-Antwort auslösen. Um diesen Effekt noch zu erhöhen, enthält der Impfstoff einen Wirkverstärker, den man aus dem Extrakt des Seifenbaums gewinnt.
Laut einer Presseerklärung schützt das Novavax-Vakzin gut, nämlich zu 89 Prozent. «Der Veröffentlichung zufolge ist der Impfstoff besser wirksam als die Präparate von Johnson & Johnson und AstraZeneca», bestätigt der Immunologe Christian Münz. «Langzeitrisiken sind beim Novavax-Vakzin nicht zu erwarten, deshalb ist das Nutzen-Risiko-Profil besser als bei den Vektorimpfstoffen.»
Allerdings hat auch das Novavax-Vakzin einen Nachteil. «Proteinimpfstoffe sind mehr darauf ausgerichtet, die Ausschüttung von Antikörpern hervorzurufen als die anderen Impfstoffe», sagt Christian Münz. Das heisst: Die sogenannten cytotoxischen T-Zellen werden weniger gut stimuliert, die Immunantwort ist damit leichter auszutricksen. «Deshalb sind Proteinimpfstoffe am empfindlichsten gegen Spike-Mutationen, die neutralisierenden Antikörpern entkommen.»
Darauf deuten die ersten Daten aus Südafrika hin, wo die Mutante B.1.351 grassiert. Gegen sie wirken Spike-Antikörper weniger gut. Der Novavax-Impfstoff verhindert wohl nur bei 60 Prozent der Probanden eine Covid-Erkrankung. Allerdings ist die südafrikanische Variante in Europa bisher nur wenig vertreten.
Die Mutante breitet sich vor allem dort aus, wo ein grosser Teil der Bevölkerung bereits immun gegen Sars-CoV-2 ist. Dies ist etwa in Südafrika der Fall, wo wohl die überwiegende Mehrzahl der Menschen bereits infiziert war. Dies trifft nicht auf die Schweiz zu.
AstraZeneca und Johnson & Johnson kämpfen zurzeit ohnehin mit Lieferproblemen. Sie könnten die Impfsituation in der Schweiz nicht entscheidend verbessern. Es ist auch von daher gut möglich, dass der Bund bei seiner Impfstoff-Shoppingtour einen cleveren Kompromiss eingegangen ist.
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