Leserfrage von Maria K.: «Jeden Morgen muss ich sieben Pillen schlucken. Mittags nochmals drei. Ist das nicht zu viel?»

Ihre Bedenken kann ich gut verstehen. Ich stelle mir lebhaft vor, wie Sie am Zmorgetisch sitzen, die Tabletten vor sich. Fein säuberlich aufgereiht. Gelbe, weisse, eine ovale rote, eine Kapsel, die Sie scherzhaft Luzernerin nennen, da sie halb weiss, halb dunkelblau ist. Dazu noch ein Sachet mit weissem Pulver, das Sie in einem Glas Wasser auflösen müssen.

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Sie haben das Gefühl, dass Ihr Frühstück nicht aus Brot und Butter besteht, sondern aus Chemie. Die ovale, die ist für den Blutdruck, aber all die anderen? Es sind inzwischen so viele, dass Sie gar nicht mehr wissen, wie sie heissen und wozu sie gut sind. Zudem sind einige wirklich nicht einfach zu schlucken. Das hängt vielleicht mit dem Alter zusammen – Schluckfähigkeit und Speichelproduktion nehmen ab. Schon beim Anblick der Pillen würgt es Sie leicht, der Mund wird noch trockener.

Oft rätseln Sie auch, ob sich die Mittel gegenseitig vertragen, da liest man heute ja so einiges. Und Sie nehmen sie ja auch nicht erst seit gestern. Es scheint, dass es mit jedem Lebensjahrzehnt zwei mehr werden.

Ihre Tochter versteht Sie rein gar nicht. Froh sein sollen Sie um all die Medizin, sagt sie jeweils etwas schnippisch und leicht genervt. Es ist in der Tat so, dass wir hier in der Schweiz wohl fast am meisten Medikamente einnehmen – eine Goldmedaille, auf die wir gern verzichten würden. 

Schuldgefühle kommen dazu

Für viele sind all diese Tabletten ein Sinnbild – leider kein positives. Gesundheit hat in unserer Gesellschaft einen sehr hohen Stellenwert. Tabletten sind in dem Sinne Symbol für das Nicht-gesund-Sein. Jede Pille erinnert Sie täglich daran.

Schwieriger wird es auch dadurch, dass es Langzeitmedikamente sind. Bei einem Antibiotikum sind Pille und Effekt in der Regel zehn Tage lang gekoppelt. Doch bei Ihnen ist eine unmittelbare Wirkung nicht spürbar. Dennoch nehmen Sie 365-mal pro Jahr zehn Tabletten ein.

Unbewusst löst das bei vielen auch Schuldgefühle aus. Sie schämen sich, die Gesundheit nicht im Griff zu haben und von etwas Chemischem abhängig zu sein. Als hätten sie versagt. Dabei ist es eine Tatsache, dass wir mit einer gesunden Lebensführung vieles beeinflussen können, vieles aber nicht.

Heute haben die Schuldgefühle noch einen anderen Grund. Sie sehen ja jeweils Ihre Krankenkassenrechnung und sind sich bewusst, dass Sie zu den Gesundheitskosten beitragen. Und die Tochter klagt doch immer über die hohen Prämien für ihre Familie, wegen all der Leute, die «wegen nichts zum Arzt rennen».

Andererseits sagt einer meiner Patienten, der kosovarische Wurzeln hat: «Ich verstehe die Schweizer manchmal schon nicht. Ich nehme jeden Tag diese paar Tabletten. Mir geht es recht gut. Mein Bruder im Kosovo starb letzten Sommer ganz plötzlich am genau Gleichen – aber er hatte leider keinen Zugang zu diesen Pillen.»

Tipps
  • Setzen Sie sich mit Ihrem Hausarzt zusammen und gehen Sie alle Medikamente durch. Am besten nehmen Sie die Tochter mit. Fragen Sie bei jedem Mittel, warum Sie es einnehmen müssen – und was passieren würde, wenn man es wegliesse. So können Sie sich entscheiden, ob Sie es weiter möchten oder nicht. Plötzlich sieht es vielleicht anders aus. Die kleine gelbe Tablette verhindert einen Schlaganfall. Das haben Sie vielleicht ja bei Ihrem verstorbenen Ehemann miterlebt, und das möchten Sie für sich verhindern.
  • Zum Thema Wechselwirkungen Medikamente Vor schweren Schäden wird zu spät gewarnt kann der Arzt oder die Apotheke einen sogenannten Interaktionscheck durchführen.
  • Wenn Ihnen der Grund für ein Medikament nicht einleuchtet, dann teilen Sie das dem Arzt mit. Fragen Sie, wie Sie das Mittel «ausschleichen» können. Sie entscheiden, denn es geht um Ihre Gesundheit und Ihren Körper.
  • Sehen Sie Ihre Medikamente nicht als Sinnbild für das Nicht-gesund-Sein, sondern als Sinnbild für «bei möglichst guter Gesundheit bleiben – trotz Krankheit». Es geht um Lebensqualität und damit um Ihre Zufriedenheit.