«Furchtbar, was man sich da reinzieht»
Die Sängerin Dodo Hug schaffte nach 30 Jahren den Ausstieg aus der Sucht – und geniesst das Leben seither in vollen Zügen.
Veröffentlicht am 23. September 2010 - 09:12 Uhr
Beobachter: «Du durchtriebenes Luder, du Kokette», singen Sie in Ihrem Lied «Cigarette sich wer kann». «Es wär doch allzu schön, wenn ich dich nicht mehr hätte…»
Dodo Hug: (Singt) du Filterlose, Lange, Leichte – und Adrette –, du schicksal-haftes Laster Nikotin-kotin-kotin-Kotinko! Komm gib mir noch eine! Nä? Bestell ich sie mir halt per Internet. Stinken auch die Kleider, leider…
Beobachter: Das klingt nach einer Hassliebe.
Hug: So ist das mit dem Rauchen. Du willst es nicht mehr – und brauchst es trotzdem.
Beobachter: Sie haben 30 Jahre lang geraucht und dann einfach aufgehört.
Hug: Tatarataaaa! Aber nein, so einfach war das nicht. Zuvor hatte ich mehrmals aufgehört – und wieder angefangen.
Beobachter: Wie kam es zu den Rückfällen?
Hug: Als ich zum ersten Mal aufhörte, spielte ich unter Christoph Marthaler am Theater Basel. Die meisten Schauspieler trinken und rauchen viel. Da zog ich kurz vor der Premiere da und dort an Zigaretten von Kollegen, und nach der Premiere war ich wieder Raucherin. Das geschah zweimal. Ich sagte mir: Beim dritten Mal passiert mir das nicht mehr! (Schnippt mit dem Finger) Und so funktionierte es. Das war am 7. Januar 1996. Übrigens zusammen mit einem Musikerkollegen, der es gleichzeitig schaffte – was sehr half.
Beobachter: Sie hörten kurz vor Ihrem 46. Geburtstag auf. War das Datum wichtig?
Hug: Der Geburtstag nicht – mein Alter und die Dinge, die sich damals ereigneten, schon. Es kam alles aufs Mal. Ich löste mein Ensemble Mad Dodo auf, lernte Auto fahren, traf meinen späteren Ehemann. Viele neue, gute Anfänge. Es ging alles in einem Wisch!
Beobachter: Welche Rolle hat das Alter gespielt?
Hug: Ich realisierte, dass sich der Körper nach 40 verändert. Meine Augen wurden schwächer und dann die Wechseljahre. Ich wusste nicht, wie mir geschieht. Zudem hatte ich eine ganz liebe Freundin, die mit 50 einen Herzinfarkt erlitt. Unvorstellbar. Ich rauchte ja am Schluss bis zu zwei Päckchen am Tag und hatte furchtbar Angst, mir könnte so etwas auch passieren.
Beobachter: Wie hat sich das Aufhören dann angefühlt?
Hug: Es war nicht einfach. Im Februar fuhr ich mit der ganzen Crew nach Sardinien für eine CD-Aufnahme. Ich war so was von aggressiv, kannte mich selber nicht mehr. Und ich war immer am Stricken. Ich musste einfach meine Hände beschäftigen. Und ich naschte. Das muss ich leider sagen. Wenn die anderen rauchten, ass ich. Ich fühlte mich nicht toll. Trotzdem war ich sehr stolz, es aus eigener Kraft geschafft zu haben. Ohne Medis, ohne fremde Hilfe. Darum finde ich es auch dumm, wenn gewisse Leute sagen, ich hätte keinen Willen, sonst könnte ich auch abnehmen.
Beobachter: Sie strahlen eine grosse Selbstsicherheit aus, ist Ihnen die Meinung anderer nicht egal?
Hug: Das Gewicht ist schon ein Thema. Immer wieder.
Beobachter: Aber Sie würden nicht wieder anfangen zu rauchen, um ein paar Kilo abzunehmen?
Hug: Niemals. Wenn ich mir heute vorstelle, was man da alles in sich reinzieht. Pfui, das ist ja furchtbar!
Beobachter: Viele hören nicht mit dem Rauchen auf, weil sie sich vor dem Zunehmen fürchten.
Hug: Ich bin zu dick. Ich weiss. Aber diesen Magerwahn verstehe ich nicht. All diese jungen Frauen, die sowieso schon so schlank sind, wollen noch dünner werden – und essen nichts. Dabei ist Essen doch so etwas Sinnliches.
Beobachter: Oft empfinden Menschen, die aufhören zu rauchen, Essen als Ersatzhandlung.
Hug: Das ist schon so. Aber es gibt auch noch andere Möglichkeiten, sich abzulenken. Stricken zum Beispiel. In jener Zeit war ich auch sehr produktiv, habe viel geschrieben, Gitarre gespielt – und so meine Hände beschäftigt. Wenn die Hände mit der Gitarre und der Mund mit Singen abgelenkt sind, ist es vielleicht auch ein wenig einfacher. Nach ein paar Wochen ist es dann nicht mehr so schlimm.
Beobachter: Welches waren die positiven Seiten des Rauchstopps?
Hug: Mein Stimmumfang hat sich langsam um ein paar Töne erweitert. (Singt ein paar hohe Töne) Und das Küssen natürlich. Küsse einen Nichtraucher und geniesse den Unterschied. Als Raucher stinkt man ja immer ein bisschen, merkt es selber aber nicht. Überhaupt: Die Sympathie der Nichtraucher. Das ist nicht zu unterschätzen. Also wenn ich daran denke, wie wir früher im Auto gepafft haben, mit geschlossenen Fenstern auf der Autobahn. Furchtbar! Wenn ich mir das heute vorstelle, habe ich sogar im Nachhinein noch ein schlechtes Gewissen gegenüber den Nichtrauchern, die dabei waren. Was haben wir gemacht? Grauenhaft. Das ist, wie jemandem weh zu tun.
Beobachter: Das Umfeld hat also positiv reagiert.
Hug: Durchwegs. Die Sängerin Sue Mathys, mit der ich damals zusammenarbeitete, rief mich jeden Tag an, um mir zu gratulieren. Das war eine gute Unterstützung.
Beobachter: Haben Sie sich nie mehr eine angezündet?
Hug: Eben nicht. Das ist es ja genau. Eine anzünden heisst alle anzünden. Das ist für mich tabu. Fertig. Wenig rauchen geht nicht, wenn du mal viel geraucht hast. Das Lustige ist, ich habe das letzte Päckchen aufbewahrt. Und da hat es heute noch eine Zigi drin. Das ist wie ein Symbol für mich. Dort ist es versorgt.
Beobachter: Ex-Raucher werden oft militant. Sie auch?
Hug: Nein, ich hoffe nicht. In Restaurants, wo gegessen wird, sollte es verboten sein zu rauchen. Zudem finde ich es absolut unhöflich, wenn am Nebentisch gequalmt wird – vor allem wenn auch Kinder dabei sind. Daher bin ich froh über das Rauchverbot. In Bars sollte man hingegen weiterhin rauchen dürfen.
Beobachter: Wie haben Sie angefangen zu rauchen?
Hug: Als Au-pair im Kanton Neuenburg mit 16 Jahren. Dort lernte ich eine junge Frau kennen, sie war extrem schön – mit dunklen Mandelaugen, einem sinnlichen Mund und so einem adretten Pagenschnitt. Wenn sie rauchte, sah es ungemein elegant aus. Das wollte ich auch. Ich war jung und wollte alles ausprobieren. Eine Woche lang übergab ich mich täglich vom Rauch – dann war ich Raucherin.
Beobachter: 1966 haben noch nicht so viele Frauen geraucht.
Hug: Ja, das war neu, auch ein bisschen revolutionär. Eine Zeitlang rauchte ich sogar Pfeife – Cherry Tobacco, so Hippiezeugs. Es war so: Schaut her, ich bin modern und mache, was ich will.
Beobachter: Noch heute ist Rauchen für viele Teenager ein Symbol fürs Erwachsensein.
Hug: Dabei ist es nichts anderes als eine Sucht. Das vermittelt die Werbung natürlich nicht.
Beobachter: Rauchen ist auch eine Lebenshaltung. Haben Sie nach dem Aufhören eine andere Form des Ausdrucks gefunden?
Hug: Hoffentlich! Mitte 40 hat man es doch längst nicht mehr nötig, sich mit Suchtmitteln eine Haltung zu verschaffen.
Beobachter: Es gibt Werbung, die suggeriert, man sei mit Zigaretten kreativer.
Hug: Kreativer? In der Musikszene wird tatsächlich viel geraucht und Alkohol getrunken. Jeder hat die Freiheit, so weit zu gehen, wie er will. Ich denke: Alles mit Mass wäre am besten. Nur wird man beim Rauchen schnell masslos.
Beobachter: Nikotin regt an und setzt Adrenalin frei.
Hug: Das Gefühl hatte ich nie. Im Gegenteil: Nach dem Rauchstopp hatte ich viel mehr Energie. Ich fühlte mich freier – nicht mehr so zugepafft eben. Ich kam auch plötzlich wieder leichter die Treppen hoch.
Beobachter: Und was entgegnen Sie Leuten, die den Verzicht aufs Rauchen lustfeindlich finden?
Hug: Ich geniesse es sehr! Indem ich wahnsinnig feines Essen vorbereite – manchmal allein, manchmal mit anderen. Heute gibt es bei uns zum Beispiel Pouletflügeli mit Lorbeerblättern an Zitronenjus und dazu Taboulé. Ich stelle mir das dann schon Stunden vorher vor – und freue mich drauf. So kann man viel länger geniessen, denn Genuss bedarf auch mentaler Aktivität. Und das nicht nur beim Essen.
Beobachter: Geben Sie uns noch einen Ratschlag zum Aufhören auf den Weg?
Hug: Diejenigen, die das können, sollten gleichzeitig eine Diät machen. Das ist aber nicht so einfach. Kaugummis sind nicht schlecht. Allerdings machen die dann wieder Appetit. Sich mit den Händen beschäftigen ist wichtig – egal, ob beim Gärtnern, Schreiben oder Stricken. Hauptsache Ablenkung. Da fällt mir ein: Seit damals kaufe ich Rubbel-Lose. Man hat ja auch plötzlich mehr Geld. Ein Päckchen Zigis hat 1996 noch vier Franken gekostet. Acht im Tag, 240 im Monat, 3000 im Jahr – nur fürs Rauchen! Wenn du denkst, was du dir damit leisten kannst. Ui, und heute wärs noch viel teurer. Für dieses Geld könntest du glatt einen Monat Luxusferien machen.
Hören Sie «Cigarette sich wer kann» auf der Homepage von Dodo Hug: www.dodohug.ch
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