Frage von Andrea G.: «Ich hatte immer wieder das Gefühl, von meinem Mann nicht wirklich geschätzt und getragen zu werden. Doch plötzlich fiel mir auf, dass ich selbst zu streng mit mir bin. Wie kann ich das ändern?»

Es klingt so simpel: «Du musst dich selber mehr lieben, dann bist du nicht mehr so sehr auf die Liebe und Zuwendung anderer angewiesen.» Aber Ihre Frage ist berechtigt: Wie tut man das?

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Und: Wie viel Selbstliebe ist normal oder gesund? Wenn jemand selbstverliebt nur um sich allein kreist, ist das sicher falsch. Man würde vielleicht sogar von einer narzisstischen Störung sprechen. In Anlehnung an den Jüngling aus dem griechischen Mythos, der derart in sein Spiegelbild im See vernarrt war, dass er die schöne Nymphe Echo überhaupt nicht wahrnahm – und ins Verderben geriet.

Der Grund für mangelnde Selbstachtung

Es gibt aber auch einen gesunden Narzissmus: Man schätzt sich und hält sich grundsätzlich für einen liebenswerten Menschen. Wenn man in den Spiegel schaut, hat man Freude am Bild, obwohl es nicht perfekt ist. Wenn einem etwas misslingt, kann man es sich verzeihen, auch wenn man sich zuerst geärgert hat. Hat man Erfolg, freut man sich, ohne sich gleich für einen Star zu halten.

Menschen, die sich im richtigen Mass lieben, verhalten sich wie gute Eltern zu einem Kind. Diese schätzen das Kind als Person, auch wenn es Fehler macht und Schwächen zeigt. Ihre Wertschätzung ist stabil und nicht von ihren Launen oder der Situation abhängig. Und sie interessieren sich für die Gefühle und das Erleben der Kinder.

Natürlich liegt genau da die Wurzel der mangelnden Selbstachtung Erwachsener. Weil sie als Kind diese Art von Liebe nie erfahren haben, können sie diese sich selber gegenüber nicht empfinden. Der erste Schritt zur Heilung besteht deshalb darin, anzunehmen und anzuerkennen, dass einem als Kind Liebe gefehlt hat.

Wie vieles in der Psychologie ist auch das viel schwieriger, als es klingt. Der Psychotherapeut Peter Schellenbaum ist dieser «Wunde der Ungeliebten», wie er es nennt, nachgegangen (siehe «Buchtipp»).

Wir nehmen als selbstverständlich an, dass alle Eltern ihre Kinder gern haben. Es ist ein Tabu, dass dem nicht immer so ist. Natürlich geben alle Eltern ihr Bestes. Aber vielleicht sind sie dermassen gestresst, dass sie nicht wirklich auf das Wesen des Kindes eingehen können, vielleicht werden sie selber von Neurosen oder Depressionen gequält, die es ihnen verunmöglichen, das Kind in seiner ganzen Wirklichkeit wahrzunehmen. Vielleicht sind sie auch durch die Ansprüche des Kindes überfordert, gerade wenn es besonders vital und liebesbedürftig ist. In der Regel fällt es Betroffenen aber ausserordentlich schwer, die Illusion aufzugeben, die Eltern hätten sie doch geliebt.

Interessieren Sie sich für sich selber!

Diese schmerzhafte Erfahrung von Kälte und Zurückweisung wird massiv verdrängt. Erst wenn man zu den Eltern sagen könnte: «Ich habe euch als kleines Kind geliebt, obwohl zu wenig zu mir zurückkam», ist man über den Berg. Wenn diese Trauerarbeit geleistet ist, kann man als Erwachsener beginnen, sich so zu lieben, wie man es damals gebraucht hätte.

Der beste Zugang zu sich ist Neugier. Interessieren Sie sich für sich! Ohne zu urteilen, was Ihnen gefällt oder missfällt. Je mehr man sieht, wer man wirklich ist, desto besser kann man sich akzeptieren.

Eine Persönlichkeitsentwicklung hat letztlich aber auch immer einen äusseren Effekt: Wer sich selber mag, verändert seine Perspektive. Er registriert zunehmend Wärme und Zuwendung anderer, und allfällige Zurückweisungen verlieren an Gewicht.

  • Sich eingestehen, dass man zu wenig Liebe erhalten hat.
  • Lieblosen Bezugspersonen verzeihen.
  • Sich selber so behandeln, wie es gute Eltern mit einem Kind tun.
  • Die liebevolle Zuwendung anderer Menschen erkennen und geniessen.

Peter Schellenbaum: «Die Wunde der Ungeliebten. Blockierung und Verlebendigung der Liebe»; Verlag dtv, 2009, 196 Seiten, CHF 14.90