Viel guter Wille, aber kein Geld
Mit einem Aktionsplan will der Bund die Zahl der Suizide um einen Viertel senken. Die Mittel dafür sollen aber andere aufbringen.
Veröffentlicht am 18. Juli 2018 - 15:35 Uhr,
aktualisiert am 19. Juli 2018 - 15:21 Uhr
In der Schweiz sterben mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Tötungsdelikte und Drogen zusammen. Zwei bis drei jeden Tag. Dazu kommen knapp 30 Männer und Frauen, die nach Suizidversuchen medizinisch behandelt werden müssen.
Alarmierend zugenommen hat zuletzt die Zahl der Jugendlichen, die in schweren Lebenskrisen suizidal sind. «Früher experimentierten Jugendliche in einer schweren Lebenskrise mit Drogen oder Alkohol, heute machen sie sich Gedanken, sich selbst etwas anzutun», sagt Dagmar Pauli, Chefärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Uniklinik Zürich.
Seit Jahrzehnten kritisieren Fachleute, dass der Bund zu wenig in der Suizidprävention unternimmt. Erst vor zwei Jahren legte er einen Aktionsplan mit 19 Schlüsselmassnahmen vor. Bis 2030 will der Bund so die Zahl der Suizide um einen Viertel senken. Gelingt das, können jährlich 300 Leben gerettet werden.
Präventionsorganisationen begrüssen das Engagement des Bundes. «Aber es gibt kein Geld für die Prävention», kritisiert der Psychiater Patrick Haemmerle von der Dachorganisation zur Suizidprävention.
Die Bundesverwaltung hat nur eine einzige Stelle für die Präventionsarbeit bewilligt. «Es sind bereits viele Akteure in der Suizidprävention tätig», erklärt Daniel Dauwalder, Sprecher des Bundesamts für Gesundheit. Die Finanzkompetenz liege auch nicht beim Bund, sondern bei den Kantonen und Gemeinden – ausser bei Unfällen, Sucht- und übertragbaren Krankheiten. «Im Moment haben wir die Situation, dass der Bund einen Aktionsplan hat, aber ohne Geld, um ihn durchzusetzen», sagt Patrick Haemmerle.
«Es ist schwierig, die Politik zu überzeugen, dass Suizidprävention ähnlich funktioniert wie Unfallprävention», meint Psychiater Sebastian Haas, Präsident des Forums für Suizidprävention und Suizidforschung. Dabei seien Suizide «seelische Unfälle». Laut Haas sollte der Bund nationale Programme anstossen wie etwa die Stop-Aids-Kampagne. Dem Bund seien aber auch hier die Hände gebunden. «Dafür gibt es keinen gesetzlichen Auftrag», so BAG-Sprecher Dauwalder.
Deshalb entscheiden Gemeinden und Kantone. Bisher haben aber nur vier Kantone eigene Programme: Zürich, Zug, Wallis und Waadt. Knapp drei Millionen Franken hat der Kanton Zürich bis 2018 in sein Schwerpunktprogramm investiert. «Zum ersten Mal in der Geschichte des Kantons wurden für ein Programm zur Suizidprävention Gelder gesprochen», sagt Sibylle Brunner, Kantonsbeauftragte für Prävention und Gesundheitsförderung.
In kleinen Kantonen würden die Präventionsgelder teils willkürlich eingesetzt, kritisiert Psychiater Sebastian Haas. «Oft hängt die Bedeutung der Suizidprävention vom zuständigen Regierungsrat ab.» So war es im Kanton Zug der heutige FDP-Ständerat Joachim Eder, der sich aus persönlicher Überzeugung engagierte und Zug zum Vorreiterkanton machte. Aber auch in Appenzell Innerrhoden, dem Kanton mit der schweizweit höchsten Suizidrate (siehe Grafik), seien die Regierungsräte überdurchschnittlich engagiert.
Weil dem Bund die Hände gebunden sind, springen andere Player in die Bresche. Etwa die SBB, die das Projekt «Reden kann retten» mitfinanziert. U25, ein erfolgreiches Suizidpräventionsprojekt für Jugendliche, versucht sich über Crowdfunding zu finanzieren.
Wie sich Suizide verhindern lassen, ist gut erforscht. Wichtig sei, dass man gefährliche Orte absichert, schrieb die UNO vor vier Jahren. Das belegen Daten aus den USA: Von 515 Personen, die vom Sprung von der Golden Gate Bridge abgehalten werden konnten, waren 480 auch 25 Jahre danach noch am Leben. Die meisten Suizide sind nicht geplant, sondern geschehen aus einem Impuls heraus. Massnahmen, die eine Selbsttötung erschweren, wirken deshalb sehr gut – zum Beispiel das Anbringen von Netzen an Brücken.
Sinnvoll sind auch Schulungen von Ärzten, Lehrern oder Sozialarbeitern, die beruflich mit Menschen in suizidalen Krisen in Kontakt kommen. Sie sollen lernen, ihre Gedanken zu erkennen und sie richtig anzusprechen. Wie sehr sich diese Zielgruppe weiterbilden möchte, zeigte sich im Kanton Zürich: Der Präventionstag war nach zweieinhalb Wochen ausgebucht.
Diese Angebote sind schweizweit rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und ihr Umfeld da – vertraulich und kostenlos:
- Dargebotene Hand: Telefon 143, www.143.ch
- Pro Juventute für Jugendliche: Telefon 147, www.147.ch
- Adressen von Beratungsangeboten in allen Kantonen gibt es unter www.reden-kann-retten.ch
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