Was wir von dänischen Familien lernen können
Harmonische Familie, Erfolg im Job, viele Freunde – und doch scheint ständig noch etwas zum Glück zu fehlen. Wie die Lebenskultur Hygge hier helfen kann.
aktualisiert am 12. April 2018 - 15:35 Uhr
Leserfrage: «Mein Mann und ich haben drei Kinder und arbeiten beide. Obwohl wir gut organisiert sind, fehlt uns das Gefühl, wirklich glücklich zu sein.»
Kennen Sie Hygge? Hygge ist ein wichtiger Teil der dänischen Lebenskultur. Es beschreibt die Fähigkeit, die Seele baumeln zu lassen , wie Kurt Tucholsky schreibt, und das Gute des Lebens mit netten Leuten gemeinsam zu geniessen.
Hygge hat viel mit dem subjektiven Erleben von Glück zu tun. Glücksgefühl nicht durch Leistung und Erfolge, sondern durch gemütliches, ziel- und zweckloses Sein. Die Skandinavier, insbesondere die Dänen, gehören laut einer jährlich nachgeführten Statistik der Vereinten Nationen zu den glücklichsten Völkern der Welt.
Meik Wiking ist Däne. Und Glücksforscher . Er setzt sich in seinem Kopenhagener Institut für Glücksforschung mit der Frage auseinander, was uns glücklich macht und warum manche Gesellschaften glücklicher sind als andere. Er hat festgestellt, dass, wenn die Grundbedürfnisse nach Gesundheit und Sicherheit gestillt sind, vor allem zwei Dinge wichtig sind: Innehalten im Moment und Zusammensein mit anderen. Müssiggang im Schosse von Freundeskreis und Familie.
«Freie Zeit, richtungslos und unverplant, gibt es kaum. Man hat stets ein Ziel vor Augen.»
Christine Harzheim, Psychologin FSP und systemische Familientherapeutin
Heutzutage ist das Leben straff durchorganisiert . Das Streben nach Effizienz und Optimierung prägt unser Handeln. In einer durchschnittlichen Familie wollen Arbeitspläne und Arbeitswege mit Kita, Kindergarten, Schule, Hausaufgaben, Musikunterricht, Sportverein aufeinander abgestimmt und logistisch bewältigt sein. Dazu Aktuelles (Kinderarzt, Schulvorführungen, Kindergeburtstage) und Unvorhergesehenes (Krankheiten, Verlorenes, Kaputtgegangenes, Kummer und Krisen). Und Garten, Haushalt und Abfallrecycling. Mental: gut sein wollen in Beruf und Sport, Fördern der Kinder in jedem Bereich für eine erfolgreiche Zukunft, ohne Rücksicht auf Risiken und Nebenwirkungen. Erziehung als Möglichkeit, Kinder zu optimieren.
Insgesamt: erledigen, weiterkommen, besser werden. Uff.
Freie Zeit – unverplant und richtungslos – gibt es kaum noch. Wege werden so schnell wie möglich zurückgelegt. Man hat immer ein Ziel vor Augen.
Natürlich entstehen auch hier Glücksmomente . Etwas erreichen, sich anstrengen und verausgaben, sich verbessern und Leistungserfolge sind Quelle von Stolz und Selbstvertrauen. Wenn aber der Gegenpol im Alltag fehlt, die gedehnte Zeit ohne Ziel, dann drohen Erschöpfung und Überreizung.
Vor allem Kinder sind auf Freiräume angewiesen, in denen man einfach zusammen ist, ohne Zeitdruck, ohne Ziel. Kinder leben intensiv in der Gegenwart, sie leiden, wenn diese von den Erwachsenen nicht wahrgenommen wird und nur Mittel zum Zweck für die Zukunft ist.
Dabei liesse sich jeder Alltagsmoment nutzen. Das kann der gemeinsame Heimweg sein, entschleunigt und mit dem Blick für Dinge, die für das Kind von Bedeutung sind. Das kann das gemeinsame Abhängen auf dem Familiensofa sein, kuscheln, lesen, plaudern, ohne Handy und Fernsehen. Ein Tag im Pyjama, im Wald oder am See. Sich treiben lassen, improvisieren, sich im Gegenwartsmoment verlieren.
Kinder aus Familien, in denen das immer wieder Priorität hat, sind dann dort, wo Leistungsanforderung und Zeitdruck vorherrschen, höchst kooperativ.
«Zum Glück braucht es wohl den Fokus und das Loslassen.»
Christine Harzheim
Zum Glücklichsein braucht es wohl beides. So entstehen Gleichgewicht und Zufriedenheit. Vorwärtsgehen und innehalten, leisten und sein. Fokussieren und loslassen. Beides eingebettet in Zugehörigkeit und Gemeinschaft.
- Verplanen Sie nicht alle Zeit.
- Schaffen Sie Wohnbereiche, die zum Beisammensein einladen: grosses Sofa, grosser Esstisch, grosses Bett.
- Machen Sie es sich gemütlich.
- Schenken Sie kleinen Dingen Beachtung.
- Gehen Sie ab und zu vom Erledigungs- und Sende- in den Ruhe- und Empfangsmodus (auf dem Weg zum Altglascontainer, beim Essen).
- Nehmen Sie Ihr Kind und Ihren Partner einfach wahr und belassen Sie es dabei (keine Tipps, keine Verbesserungsvorschläge).
Meik Wiking: «Hygge – Ein Lebensgefühl, das einfach glücklich macht»; Verlag Lübbe, 2016
Julia Dibbern, Nicola Schmidt: «Slow Family. Sieben Zutaten für ein einfaches Leben mit Kindern»; Verlag Beltz, 2017
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