Wie finden Eltern genügend Schlaf?
Viele Eltern können ein Lied davon singen: Abend für Abend bringen sie die Kinder zu Bett – in der Hoffnung auf eine ruhige Nacht. Doch dann zerschlägt sich diese erneut. Das zehrt an den Nerven. Was tun?
Veröffentlicht am 16. Januar 2018 - 10:11 Uhr,
aktualisiert am 16. Januar 2018 - 09:59 Uhr
Frage: «Wir haben drei kleine Kinder. Der Schlafmangel macht uns zu Zombies. Hilfe!»
Antwort von Christine Harzheim, Psychologin FSP und systemische Familientherapeutin:
Wenn in einer Familie fünf Personen zusammenleben, drei davon minderjährig, ist die allgemeine Bedürfnislage komplex. Kleine Kinder brauchen Nähe und Sicherheit rund um die Uhr. Eltern brauchen Ruhe und Schlaf und sehnen sich nach Abgrenzung, Freizeit und ungestörtem Sex. Sie müssen in der Lage sein zu arbeiten und zu leisten. Daneben: Haushalt, Garten und alles, was einem sonst noch so im Nacken sitzt.
Und bei all dem: ich oder du oder wir? Das ist anspruchsvoll. Oft wirds erschwert durch unrealistische Erwartungen (ein Kind sollte doch mit sechs Monaten durchschlafen!), durch Vergleiche mit anderen oder den Anspruch, perfekt sein zu müssen.
Viele Eltern trifft es völlig unvorbereitet, wenn sich ihr Baby als Wesen entpuppt, das weder allein einschlafen noch mehrere Stunden am Stück schlafen kann. Dabei ist das eher die Regel als die Ausnahme. Dennoch prägt die Idee eines Neugeborenen, das den Schlafrhythmus der Eltern sogleich übernimmt, unser Bild vom friedlich entspannten, dauernd schlafenden Baby.
Der Kinderarzt Remo Largo hat wichtige Fakten zum Thema Schlaf benannt:
- Die Menge Schlaf, die ein Mensch (auch ein Baby) braucht, ist individuell und in hohem Masse biologisch vorgegeben.
- Die meisten Neugeborenen muss man erst an den Tag-Nacht-Rhythmus gewöhnen.
- Das perfekt eingerichtete Kinderzimmer gehört nicht zu den existenziellen Bedürfnissen eines Babys.
- Die meisten kleinen Kinder brauchen auch in der Nacht Nähe und Körperkontakt.
Diesem Grundbedürfnis eines biologisch völlig hilflosen Wesens hat man auch in unserer Kultur über Jahrtausende entsprochen. Die Idee, das Kind in einem eigenen Bett oder gar in einem eigenen Zimmer zu separieren, ist noch keine 200 Jahre alt. Sie ist häufig der Grund, dass sich Eltern erschöpfen im wiederholten nächtlichen Aufstehen, Kind aufnehmen, stillen/beruhigen, Kind ablegen, warten, bis es schläft, zurück ins Bett gehen et cetera. Natürlich gibt es Ratgeber, die darauf beharren, dass jedes Kind allein schlafen lernen kann. Sie raten Eltern, die den ganzen Tag empathisch die Bedürfnisse ihres Babys entschlüsselt und es «artgerecht» und sorgfältig begleitet haben, auf all das zu pfeifen und dem nicht einmal jährigen Kind Stress, Angst und das Gefühl zuzumuten, dass auch echte Not niemanden erweichen wird (oder erst nach drei, sieben oder zwölf Minuten).
«Überlegen Sie, wer für Sie einspringen kann, und nehmen Sie Hilfe an.»
Christine Harzheim
Im besten Fall ist die Familie der Ort, an dem alle Beteiligten möglichst viel von dem bekommen, was sie wirklich brauchen. Die Verantwortung liegt bei den Erwachsenen. Wie schafft man das?
- Realistische Ansprüche. Grundbedürfnisse sichern unsere Existenz und unsere Entwicklung. Machen Sie sich klar, was Ihre Kinder in der jeweiligen Entwicklungsphase brauchen und was sie schon leisten können. Es macht keinen Sinn, jeden Abend zu erwarten, dass nun eine ruhige Nacht kommt, und dann frustriert und enttäuscht zu sein, wenn das Kind dazu noch nicht in der Lage ist.
- Prioritäten setzen. Wenn Sie spüren, dass Sie eine ungestörte Nacht brauchen, um den nächsten Tag zu überstehen, stehen Sie dafür ein! Überlegen Sie, wer für Sie einspringen kann, und nehmen Sie Hilfe an.
- Pragmatisch handeln. Verabschieden Sie sich von idealisierten Vorstellungen und Stress erzeugenden Theorien und Methoden. Pragmatisch zu handeln heisst, sich – ideologiefrei und lösungsorientiert – an den konkreten Folgen und Erfahrungswerten auszurichten und nicht an abstrakten Richtlinien.
- Zuversichtlich bleiben. Kinder entwickeln sich stetig weiter. Eltern verlieren diese Sicht im Stress oft und landen in einer Art Sorgen-Trance. Wenn Sie sich aus pragmatischen Erwägungen heraus für ein Familienbett (alle schlafen im gleichen Zimmer) entscheiden, ist das eine Entscheidung für den Moment, für die jetzige Familienphase. Damit öffnen Sie nicht gleich Tür und Tor dafür, dass Ihr Sohn auch mit Schuhgrösse 45 noch nächtliche elterliche Nähe sucht.
- Eva Solmaz: «Besucherritze. Ein ungewöhnliches Schlaf-Lern-Buch»; Verlag Beltz, 2014, 160 Seiten, CHF 17.90