Blumen in aller Munde
Gartenblumen sind nicht nur schön – manche sind auch sehr fein: Lilien, Dahlien und Sonnenblumen kommen jetzt auf den Tisch.
aktualisiert am 17. Juli 2018 - 11:55 Uhr
Viele Blüten haben sich auf dem Teller etabliert: Kapuzinerkresse, Rose, Ringelblume. Doch der Garten bietet weit mehr blumige Schätze, deren aromatisches Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft ist. Akazienblüten zum Beispiel. «Man kann die Blütenknospen kurz über Dampf garen, dann mit einer Sauce aus Zitronensaft, Haselnussöl und etwas Sherry anrichten», sagt Meret Bissegger, Kochbuchautorin aus dem Tessin.
Der deutsche Sternekoch Daniel Achilles steht auf Magnolienblüten. «Ich schätze die knackigen, fast schon fleischigen Blätter. Sie sind in der Konsistenz ähnlich wie Chicorée.» Damit sie knackig bleiben, kocht er sie nicht, sondern mariniert sie roh mit Vinaigrette. Auch bei ihm findet die Scheinakazie den Weg auf den Tisch: «Taubenbrust, Akazienblütenbutter, Schwarzwurzeln ist bei mir ein Signature-Dish.»
Definitiv mehr als Deko sind Blüten bei Christin Bölsterli. Cosmeen, Ringelblumen oder Chrysanthemen gibts bei der Bernerin im Bierteig gebacken. Sie schwärmt auch von Gewürztagetes auf Ofengemüse.
Christin Bölsterli
Bölsterli war 20 Jahre lang Schäferin, im Sommer auf der Alp, im Winter mit der Wanderherde unterwegs. Als sie dann in der Stadt sesshaft wurde, vermisste sie die Natur. So begann sie zu gärtnern und entdeckte ihre Liebe zu essbaren Blüten. Diese baut sie in einem Garten im Marziliquartier an. Ihre Kurse zu essbaren Blüten sind begehrt.
Doch welche Blüten sind für den Menschen verträglich? Urs Streuli, Gartenberater bei Bioterra, trägt seit längerer Zeit Informationen zu essbaren Blüten zusammen (siehe Bildergalerie unten).
Er hat sie alle probiert: «Immer wenn ich im Garten arbeite, picke ich da und dort.» Seine Favoriten? «Die Begonie ist toll, wegen der Säure. Oder auch die Levkoje.» Sie gehöre zur Kreuzblütlerfamilie wie Gemüsekohl-Pflanzen. Und schmecke kohlig-scharf.
Solche botanischen Verwandtschaften zeigen oft, welche Blüten essbar sein könnten. Hier kennt sich die britische Nachhaltigkeitsexpertin Jo Barker aus. Wenn sie Salat auftischt, gibt es darin bis zu 150 Zutaten, viele davon sind Blüten. «Um mich an neue Blüten heranzutasten, orientiere ich mich auch an botanischen Familien», sagt sie. «Blüten aus der Familie der Rosengewächse oder der Kreuzblütler etwa sind oft essbar.»
Bevor sie reinbeisst, informiert sich Barker. Etwa auf der Pflanzendatenbank Pfaf.org, die sie seit Jahren unterstützt: «Eine wunderbare Sache, unglaublich, was man dort alles findet.» Wenn sie Informationen hat, probiert sie kleine Mengen mehrmals selbst, bevor sie die Blüten anderen vorsetzt. «Ich plane als Landschaftsarchitektin auch Gärten, in denen alles essbar sein soll. Da muss ich natürlich jede Pflanze kennen.»
Was essbar ist, zeigen auch Rezepte aus fremden Ländern. In Asien etwa baut man Taglilien als Gemüse an. Die Knospen werden als «Golden Needles» getrocknet und in verschiedenen Speisen mitgekocht. Die Schweizer Gartenbuchautorin Sabine Reber serviert sie roh zum Apéro, mit einem Dip. Kochbuchautorin Meret Bissegger kocht sie eine Minute über Dampf. «Die Blütenblätter können wie Salat eingesetzt werden. Fifty-fifty mit grünem Salat.»
Nicht nur was überirdisch wächst, hat kulinarisches Potenzial. Bei der Taglilie etwa sind auch die Rhizome ein Lebensmittel, das in Asien sogar kultiviert und gehandelt wird. Sensorikwissenschaftlerin Christine Brugger ist von den Knollen der Dahlie begeistert. «Wie tropische Früchte, da braucht man keinen Fruchtsalat mehr.» Manchen ist der Geschmack zu intensiv. Gleiches gilt für die Böden der Sonnenblumenblüten. Sie schmecken teils so parfümiert, dass sie kein Genuss mehr sind. «Man muss sie sehr jung essen, im Knospenstadium», sagt Urs Streuli. «Oder die Blütenblätter verwenden.»
Woher nimmt man aber die Blüten? Man kann nicht einfach gekaufte Sträusse verspeisen (siehe «Bio-Schnittblumen» unten). Idealerweise hat man einen Garten. Oder eine Quelle für ungespritzte Blüten. Das Label Bio allein genügt nicht immer. Streuli: «Auch wenn Topfpflanzen aus Bioproduktion sind, sollte man drei Wochen warten bis zum Anknabbern, damit das Biospritzmittel abgebaut ist.»
Einmal gepflückt, halten sich Blüten bis zu vier Tage, sagt Fachfrau Christin Bölsterli – wenn man sie gekühlt aufbewahrt, in feuchtem Küchenpapier, luftdicht verpackt. Für die Eigenaufzucht hat Bölsterli einen Tipp: «Je mehr Blüten man erntet, desto mehr wachsen nach.» Auf diese Weise lässt sich auch auf kleinem Platz Nachschub schaffen.
Ein Aspekt darf bei der Blütenesserei nicht vernachlässigt werden: Auch wenn viele Blüten als essbar gelten, kann die eine oder andere doch Allergien auslösen. Zum Beispiel die Taglilie. «Die gelben, eher früheren Sorten lösen bei manchen Leuten Allergien aus, die orangen, späteren Sorten weniger», erklärt Urs Streuli. Er empfiehlt, beim ersten Versuch nur eine Minimalmenge zu verspeisen – und ein paar Tage später nochmals. «Allergien zeigen sich oft erst beim zweiten Mal.» Christin Bölsterli rät Leuten, die zu Allergien neigen, den Blütenstempel mit den Pollen zu entfernen.
Ausprobieren und Entdecken ist also angesagt. «Die Schweizerinnen und Schweizer sind da noch wenig abenteuerlustig», findet Fachfrau Sabine Reber. «Es gibt Hunderte von interessanten essbaren Blüten. Aber um sie zu entdecken, muss man sich schon etwas in die Botanik reinknien und sich kundig machen.»
Regional, saisonal, biologisch: Was bei Lebensmitteln angesagt ist, scheint bei Blumen noch exotisch zu sein. «Der biologische Zierpflanzenbau ist ein relativ junger Zweig des biologischen Landbaus. Er entwickelt sich vergleichsweise langsam», heisst es etwa bei Bio Suisse. Allerdings sei es in den letzten drei Jahren zu einem spürbaren Wachstum gekommen.
Eine Tendenz, die sich auch in der Markthalle IX in Berlin-Kreuzberg zeigt – einem Ort, wo sich Foodtrends sehr früh manifestieren. Die Halle führt im September erstmals einen Blumen-Frühstücksmarkt durch. «Wir möchten Alternativen zu Blumen aus Holland zeigen», sagt Projektassistentin Lea Ligat. «Und den Bioblumen-Produzenten, die es in der Region gibt, eine Plattform bieten.»
Einer ist permanent in der Markthalle eingemietet: Christoph Lenzen mit seinem «Blumenstand». Rund die Hälfte der von ihm verkauften Blumen baut er selber an – in Bioqualität. «Doch einen Mehrpreis, wie das bei Biolebensmitteln der Fall ist, erhalte ich dafür nicht.»
Am Spezialtag werden Schnittblumen und Gerichte mit essbaren Blüten angeboten. Es gibt Workshops zum Thema Blüten, ausserdem Kochkurse.
Blumen-Frühstücksmarkt, Markthalle IX, Berlin: 17. September 2017, 10 bis 17 Uhr; www.markthalleneun.de
- www.blueten-bern.ch: Christin Bölsterli hält Kurse zu essbaren Blüten ab und verkauft diese auch.
- www.bioterra.ch: Schweizer Organisation für den Bio- und Naturgarten
- www.meretbissegger.ch: Die Expertin für Wildkräuter und Gemüse veranstaltet Kurse und Tavolate – oft spielen dabei Blüten eine Rolle.
- www.dynamic-equilibrium.co.uk: Website der britischen Permakultur-Expertin Jo Barker
- www.sabinesgarten.ch: Gartenbuchautorin Sabine Reber weiss viel über essbare Blüten und schreibt immer wieder zum Thema.
- www.pfaf.org: Verzeichnis von 7000 essbaren und Medizinalpflanzen