Wie ich ein Kissen lieben lernte
An Messen lassen sich Besucher oft zu Käufen überreden, die sie später bereuen. Warum ist das so? Ein Selbstversuch.
Veröffentlicht am 12. März 2010 - 17:01 Uhr
Mittwochnachmittag in einer riesigen Ausstellungshalle irgendwo in der Schweiz. Seit zwei Stunden besuche ich die lokale Gewerbemesse – zum ersten Mal in meinem Leben. Mit von der Partie: viele Pensionierte und ebenso viele Mütter mit Kindern. Meine zwei habe ich vorsorglich beim Messe-Kinderhütedienst parkiert – sieben Franken pro Kind für drei Stunden. So kann ich ungestört auf Wasserbetten schaukeln und mir die Vorteile eines Dusch-WCs erklären lassen. Man weiss ja nie, was noch kommt. Ich bestaune die neusten Elektrovelos, rechne meinen Energiekonsum aus und frage mich, warum Teppichhändler auch an Messen einsam auf Kundschaft warten.
Dazwischen esse ich allerlei «Versuecherli», die gratis abgegeben werden. Meinen Durst lösche ich zum Nulltarif in der Abteilung «Weindegustationen» – mit gravierenden Folgen: Hinterher kaufe ich Trekkingschuhe, obwohl ich gar keine Zeit für grosse Touren habe, und unterschreibe einen Kaufvertrag für ein Lounge-Kissen für 249 Franken, das farblich (hellgrün) und von der Grösse her (1,40 mal 1,80 Meter) eine Herausforderung für unser Wohnzimmer sein wird. Meine Liebste wird mir daheim den Hals umdrehen, wenn sie davon erfährt.
Auf dem reichhaltigen «Showprogramm» steht auch Miss Schweiz, Ausgabe 2009/2010. Linda Fäh wird um 18 Uhr vor Publikum die Fragen der lokalen Radiostation beantworten. Bis dahin vertreibe ich mir die Zeit in der Abteilung «Haushalt». Nichts ahnend. Denn plötzlich stehe ich vor dem König aller Messefallen: dem Dampfstaubsauger. In einem leuchtend roten Kleid, aber etwas verloren, steht er in einer Ecke von Stand D15. Sein Name: «Maxima Tiamo». Der aufgelegte Prospekt verspricht allerhand: «BI-Turbinenmotor», «Separatorsystem mit 28'000 Umdrehungen», «permanente 100%ige Saugleistung» und «auch zum Bügeln geeignet». Was ein Staubsauger nicht alles kann.
Da ich zu Hause für die Entfernung des Staubs zuständig bin, trete ich näher. Ein Verkäufer – Typ deutsche Gründlichkeit, um die 40 und nicht unsympathisch – springt sofort von seinem Stuhl auf. «Darf ich Ihnen unseren Klassiker zeigen?», fragt er mich und beginnt sogleich mit seinem Vortrag. Leicht und wendig sei das Modell. Mühelos sauge es Hartböden, Teppiche und Polster sauber. Der Verkäufer lässt den Worten Taten folgen. Der schmucke Tiamo schluckt alles, was er vor die Düse bekommt.
Ich zögere. Der Verkäufer spürt das und leert einen halbvollen Kaffeebecher auf seinem gepolsterten Klappstuhl aus. Tiamo schafft auch das. Zweimal mit der «transparenten» Düse übers Polster gefahren, und vom kalten Kaffee fehlt jede Spur. Ich bin beeindruckt. «Was kostet denn das?», höre ich mich fragen. «Sie wissen ja, was Sie wollen», beginnt der Verkäufer vieldeutig. 3990 Franken soll Tiamo kosten. «Ein stolzer Preis!», gebe ich mit leiser Stimme zu bedenken. «Stimmt, aber dafür gibt es zehn Prozent Messerabatt und allerlei Zubehör», kontert der Verkäufer. Ich zögere und flüchte mich in ein Ich-muss-das-noch-mit-meiner-Frau-Besprechen.
Der Verkäufer grinst verständnisvoll und beugt sich vor. Sein Atem riecht nach Kaffee und Zigaretten. «Sie wissen ja, was Sie wollen», wiederholt er und zieht seinen nächsten Trumpf: «VG!» – «Vollgas?», frage ich. «Nein, Vorführgerät!», berichtigt er und streicht liebevoll über den Tiamo. Ich könne das Gerät am Sonntag bei Messeschluss für 3000 Franken abholen. «Mit gleicher Garantie», betont er und streckt mir den Kugelschreiber für die Unterschrift hin. Ich weiche zurück. Der Verkäufer drängt. «Jetzt müssen wir aber zum Abschluss kommen. Sie wissen ja, ich bin Verkäufer, ich lebe davon.» Jetzt meldet sich mein Gewissen: sicher ein Familienvater, zu Hause nichts zu beissen, wenn er nicht verkauft, dröhnt es in meinem Kopf. Ich schaue auf die Uhr. «Schon zwanzig nach sechs!», rufe ich. «Die Kinder! Gleich schliesst der Hütedienst!» Und mache mich flugs aus dem Staub. Puhhhhh – nochmals Glück gehabt!
Nachtrag: Ich lebe noch. Meine Liebste hat mir das hellgrüne Lounge Pillow verziehen – aber erst nachdem ich ihr von meiner Begegnung mit Tiamo erzählte.
Die Cüpli-Falle
Der Verkäufer offeriert ein Cüpli oder andere Alkoholika. Wer kann da widerstehen. Den Verkäufer freut es, denn Sie finden die ausgestellte Wohnwand nach ein paar Gläsern noch viel schöner – und unterschreiben freudig den Vertrag.
Die Rabatt-Falle
«Messerabatt!», «Sonderpreis!», «Jubiläumspreis!»: Die teils enormen Preisnachlässe sind verlockend. Doch sind Sie sicher, dass das Objekt jemals zum Originalpreis angeboten wurde? Offeriert Ihnen der Verkäufer – wenn Sie mit der Unterschrift zögern – einen massiven Preisabschlag, handelt es sich meist nur scheinbar um ein Schnäppchen.
Die Lüge
Das Gerät hält nicht immer das, was der Verkäufer verspricht oder bei einer Vorführung zeigt. Zum Beispiel sind Dampfstaubsauger für die Reinigung von Teppichen, Polstern und Holzböden eher ungeeignet. Das Gleiche gilt, wenn es um die Beseitigung von Milben geht.
Die AGB-Falle
Wer liest denn schon das Kleingedruckte auf der Rückseite des Vertrags, bevor er ihn unterzeichnet? Diese Unterlassung kann sich rächen: Die allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) schränken die gesetzlichen Käuferrechte häufig ein. Zum Beispiel wird ein Rücktritt bei verspäteter Lieferung oder die Haftung des Verkäufers für Mängel ausgeschlossen.
Die Vertrags-Falle
Bei Messekäufen existiert kein Rücktrittsrecht. Sobald Sie den Bestellschein ausgefüllt oder den Kaufvertrag unterzeichnet haben, stehen Sie dem Verkäufer gegenüber in der Pflicht. Ein Rücktritt, auch wenn er bloss zehn Minuten später erfolgen würde, ist dann nicht mehr möglich. Sie können den Verkäufer allenfalls noch auf den Knien bitten, dass er Sie gegen Bezahlung eines Teils des Kaufpreises aus dem Vertrag entlässt. Verpflichtet ist er aber nicht dazu.
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