Das Essen war gut, die Bedienung freundlich und aufmerksam. Gerne hätte man die Rechnung grosszügig aufgerundet. Doch der Kellner winkt ab: Bei Kartenzahlung könne er leider kein Trinkgeld annehmen. Weil man kein Bargeld bei sich hatte, gabs für den tollen Service nur warme Worte.

Kommission von 1 bis 2 Prozent

«Leider habe ich das auch schon erlebt», sagt Nicolas Kern, Präsident der Vereinigung Gastro Stadt Zürich. Seiner Erfahrung nach komme es zwar immer seltener vor. Wenn doch, hat er dafür aber kein Verständnis. «Den Angestellten ein Trinkgeld vorzuenthalten, geht gar nicht.»

Partnerinhalte
 
 
 
 

Kern kann sich nur einen Grund vorstellen, warum manche Wirte das tun: Bei jeder Zahlung per Karte entfällt eine Kommission an die Bank oder die Kreditkartenfirma. Rundet man die Rechnung von 180 Franken auf 200 Franken auf, muss der Wirt die Kommission auch auf die 20 Franken zahlen, die nicht er, sondern die Bedienung als Trinkgeld erhält.

Allerdings beträgt sie lediglich ein bis zwei Prozent, bei 20 Franken also 20 bis 40 Rappen. Über einen Monat mache das zwar schon einige Hundert Franken aus, sagt Kern. «Trotzdem muss es selbstverständlich sein, dass man als Gast mit der Karte Trinkgeld geben kann.»

Trinkgeld auch in bargeldlosen Zeiten

Seit der Pandemie zahlen bis zu 90 Prozent der Gäste mit Karte, schätzt der oberste Zürcher Beizer. Er selber wirtet im Zürcher Ausflugsrestaurant Degenried. Anfängliche Bedenken, es gebe weniger Trinkgeld, hätten sich nicht bewahrheitet.

Mit der Karte ein Trinkgeld zu geben, ist auf verschiedene Arten möglich. In manchen Restaurants und Cafés kann man einen Extrabetrag für den Service ins Kartenlesegerät eingeben. Viele Gäste empfinden das aber als fordernd. «Sie runden lieber selber auf und sagen ‹machen Sie 20› oder 50 oder 100, und dann gibt das Servicepersonal diesen Betrag als Rechnung ein», sagt Kern. Die Differenz zwischen dem Betrag der Bestellung und dem Betrag, der schliesslich verrechnet wurde, macht am Ende der Schicht das Trinkgeld aus.

Der Wunsch des Oberwirts

Im Restaurant von Nicolas Kern geht das Geld direkt an den jeweiligen Kellner oder die Kellnerin. Einen kleinen Teil geben sie in einen gemeinsamen Topf ab, aus dem auch die Köchinnen und Köche, die Tellerwäscher und Putzfrauen ihren Anteil erhalten. In anderen Betrieben gibt es nur ein Portemonnaie, und das Trinkgeld wird unter allen Mitarbeitenden aufgeteilt.

Beides sei gut, sagt der Präsident von Gastro Stadt Zürich. Nur kein Trinkgeld erhalten, obwohl der Gast ohne Bargeld etwas geben will, das gehe nicht. «Mein Wunsch wäre: Wenden Sie sich als Gast an den Chef oder die Chefin und sagen Sie, dass Sie für den Service gerne ein Trinkgeld geben möchten. Vielleicht kommen solche Wirte dann zur Besinnung.»

Jede Woche das Beste vom Beobachter
«Jede Woche das Beste vom Beobachter»
Raphael Brunner, Redaktor
Der Beobachter Newsletter