Bekommt man etwas für den Ärger?
Wann ist ein Schaden ein Schaden? Nicht immer deckt sich die Intuition mit der gesetzlichen Einschätzung. 5 häufige Beispiele.
aktualisiert am 14. Juli 2020 - 09:04 Uhr
Frau Bär: «Ich habe bei Ihnen ein Tiramisù gegessen und mir Salmonellen eingefangen.»
Beizerin: «Das tut mir leid. Kann ich Ihnen als kleine Wiedergutmachung einen Gutschein ausstellen
?»
Frau Bär: «Ich will keinen Gutschein. Ich will 600 Franken.»
Beizerin: «Wofür?»
Frau Bär: «Für die teuren Opernkarten, die ich wegen des Durchfalls nicht nutzen konnte.»
Ob Frau Bär die vergebens gekauften Operntickets als Schaden geltend machen kann, ist juristisch umstritten. Das Bundesgericht definiert streng: Als Schaden betrachtet es grundsätzlich nur unfreiwillige Verminderungen des Vermögens, die durch ein Schadensereignis verursacht wurden. Frau Bär hat freiwillig Geld für die Opernkarten bezahlt, und zwar bereits vor der Salmonellenvergiftung. Sie könnte also nichts verlangen.
Beim sogenannten Frustrationsschaden lässt sich aber auch anders argumentieren: Frau Bär hatte einen Aufwand, den sie wegen eines schädigenden Ereignisses abschreiben muss. Ob ein Gericht Frau Bär die 600 Franken zusprechen würde, ist also ungewiss.
Herr Degen: «Mein Internet funktioniert nicht!»
Callcenter: «Tut uns leid. Wir kümmern uns darum.»
Herr Degen: «Das hat man mir schon x-mal versprochen. Ich habe mittlerweile dreimal mit eingeschriebenem Brief reklamiert, fünfmal angerufen, und nichts ist passiert
.»
Callcenter: «Ich werde Ihr Anliegen dem Chef weiterleiten.»
Herr Degen: «Sagen Sie dem Chef, dass ich auch eine Entschädigung für meinen Aufwand verlange.»
Von einem säumigen Vertragspartner kann man Schadenersatz verlangen. Das bezieht sich grundsätzlich auch auf den eigenen Aufwand. Das Problem ist: Dieser hat keinen Preis. Eigenen Aufwand kann nur geltend machen, wer seine Zeit sonst anderweitig gewinnbringend hätte einsetzen können. Das ist bei Arbeitnehmern kaum je der Fall.
Bei Selbständigen ist es theoretisch denkbar. Aber auch hier ist es schwierig, zu beweisen, dass man die Zeit, die man für eine Mahnung eingesetzt oder in der Warteschleife verbraten hat, mit Gewinn hätte nutzen können. Bloss die Porti für die Einschreiben kann Herr Degen als Schaden geltend machen und von der nächsten Rechnung abziehen.
Liefert der Anbieter die bestellte Ware nicht, können Kundinnen und Kunden erst dann vom Vertrag zurücktreten, wenn eine angemessene Nachfrist oder Mahnung übermittelt wurde. Beobachter-Mitglieder können für diesen Zweck bequem auf diese Musterbriefe zurückgreifen:
Käuferin: «Ich komme die antike Uhr abholen, die ich gestern online für 300 Franken ersteigert habe.»
Verkäufer: «Oh. Die habe ich vor zehn Minuten jemand anderem verkauft und übergeben.»
Käuferin: «Was? Ich hätte die Uhr mit einem Gewinn von 400 Franken weiterverkaufen können.»
Verkäufer: «Dumm gelaufen. Vergessen wir die Sache.»
Käuferin: «Ich will sie nicht vergessen, ich will die 400 Franken von Ihnen.»
Ein Schaden liegt nicht nur vor, wenn sich das Vermögen verkleinert. Sondern auch, wenn es sich nicht vergrössert. Die Käuferin kann also den entgangenen Gewinn geltend machen.
Allerdings ist es häufig schwierig, einen solchen zu beweisen. Die Käuferin muss nachweisen können, dass sie tatsächlich eine verbindliche und bezifferte Kaufzusage erhalten hat.
Handwerker: «Entschuldigen Sie, Frau Auer, aber mir ist gerade ein Missgeschick passiert …»
Frau Auer: «Herrje, Sie haben meinen Keramikherd zerstört!»
Handwerker: «Mir ist der Hammer aus der Hand gefallen …»
Frau Auer: «Sie Tollpatsch! Der Herd hat über 10'000 Franken gekostet.»
Handwerker: «Ich zahle Ihnen sicher nichts mehr – der Herd ist ja schon uralt.»
Ob ein Schaden vorliegt und wie hoch er ist, hängt vom Zeitwert ab. Ein Glaskeramikherd etwa ist nach 20 Jahren abgeschrieben, das heisst, er hat dann keinen Wert mehr. Ob er sich noch nutzen lässt, ist rechtlich nicht relevant.
Vielmehr greift ein anderes Prinzip: Niemand soll sich an einem Schadensfall bereichern können. Wenn also Frau Auers Herd über 20 Jahre alt und damit rechnerisch wertlos ist, muss der schusslige Handwerker auch nichts mehr bezahlen. Wer die Lebensdauer eines Gegenstands nicht kennt, konsultiert am besten die Lebenswerttabellen des Mieterverbands oder diese Checkliste.
Herr Corti: «Sie können unseren Flug nach Mallorca doch nicht einfach auf den Abend verschieben!»
Fluggesellschaft: «Tut uns leid, dass wir den Morgenflug streichen mussten.»
Herr Corti: «Aber damit verpasse ich einen ganzen Tag auf der Sonnenliege! Wer entschädigt mir das?»
Gemäss der «Differenztheorie» des Bundesgerichts besteht ein Schaden im Unterschied zwischen dem gegenwärtigen Stand des Vermögens und jenem, den es ohne das schädigende Ereignis hätte. Cortis Kontostand hat sich durch die Flugverschiebung aber nicht verkleinert, und die verlorene Ferienzeit lässt sich nicht in Geld umwandeln. Immerhin kann Corti bei der Fluggesellschaft eine Entschädigung nach EU-Fluggastverordnung geltend machen. Deren Höhe bemisst sich nach Anzahl Flugkilometer.
Besser steht Corti übrigens da, wenn er eine Pauschalreise gebucht hat, das heisst mehr als eine touristische Leistung aufs Mal (zum Beispiel Flug und Hotel oder Flug und Mietwagen). Dann haftet der Reiseveranstalter für die vertraglich vereinbarte Durchführung der gesamten Reise.
Wenn Corti also durch den verschobenen Flug einen ganzen Ferientag verloren hat, kann er beim Reiseveranstalter einen entsprechenden Minderwert geltend machen. Der Veranstalter muss sich das Verhalten der Fluggesellschaft anrechnen lassen – auch wenn er einwendet, dass er an der Flugverschiebung kein Verschulden trägt.
Das Bundesgericht definiert: Ein Schaden ist eine unfreiwillige Verminderung des Vermögens – wenn sich also die Aktiven vermindern, die Passiven vermehren oder einem ein Gewinn entgeht. Der Schaden entspricht der Differenz zwischen dem Stand des gegenwärtigen Vermögens und dem Stand, den das Vermögen ohne das schädigende Ereignis hätte.
Voraussetzungen für Schadenersatz: Damit ein Anspruch auf Schadenersatz entsteht, muss ein sogenannter Kausalzusammenhang vorliegen zwischen schädigender Handlung und Schaden. Weiter muss die Schädigung widerrechtlich und vorsätzlich oder fahrlässig verursacht worden sein. Nur in Ausnahmefällen haftet man auch ohne Verschulden – etwa ein Halter für seinen bissigen Hund.
Flug annulliert, überbucht oder verspätet: Beobachter-Mitglieder erfahren im Merkblatt «Ihre Rechte als Flugpassagier», was ihnen zusteht und welche Entschädigungssumme sie in den jeweiligen Situationen verlangen können.