Twint? Vielleicht noch nie gehört. Aber bestimmt schon gesehen? Das Logo – ein verschlungenes W auf grünem oder neuerdings schwarzem Hintergrund – sticht ins Auge. Es vergeht praktisch kein Tag, an dem der aufmerksame Konsument nicht an irgendeiner Kasse auf Twint stösst. In allen Coop-Filialen zum Beispiel kann inzwischen flächendeckend mit dem Handy bezahlt werden, schweizweit gibt es schon mehr als 30'000 sogenannte «Beacons», Bezahlstellen.

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Breite und heftige Kritik

Doch in den letzten Wochen sind in Fachmedien und Blogs zahlreiche Berichte erschienen, die Twint das baldige Ende prophezeien: «Aus Twint wird Tlost», schreibt beispielsweise Thomas Lang, Experte für E-Commerce und Geschäftsführer der Carpathia AG: «Die App ist ein Rohrkrepierer. Jeder Beteiligte wollte sich mutmasslich selber verwirklichen, aber an den Kunden hat kaum jemand gedacht.» Er kritisiert, dass es nicht eine einzige Twint-Anwendung gebe, sondern dass jede Bank seine eigene Version anbiete. Inzwischen sind im App-Store tatsächlich schon fast ein Dutzend unterschiedliche Twint-Apps verfügbar. Journalist und Branchenkenner Lukas Hässig kritisiert auf «Inside Paradeplatz» die aus seiner Sicht mageren Nutzerzahlen: «Handy-Nutzer der Schweiz laden jeden Tag Hunderttausende von Apps herunter. Eine ist nicht darunter: Twint.»

Twint-Apps

Unübersichtlich: Schon 8 Banken bieten Twint an – und es werden immer mehr.

Unübersichtlich: Schon zahlreiche Banken bieten ihr eigenes Twint an – und es werden immer mehr.

Quelle: Screenshots Google Play Store

Die ausführlichste Kritik stammt von Bankenspezialist Peter Hody. Der Journalist beschreibt in seinem Beitrag die substanziellen Probleme von Twint: Zuerst einmal bestünde gar keine echte Nachfrage, so seine Kritik: «Twint ist technologisch zwar ausgereift und modern, doch zwei Drittel der Schweizer bevorzugen weiterhin Bargeld. Das Online-Shopping funktioniert mit Twint zwar sehr speditiv, doch diese Bezahlmethode ist nur eine weitere unter vielen.» Zweitens bringe Twint keinen Fortschritt in der Nutzerfreundlichkeit gegenüber herkömmlichen EC-Karten. Und drittens, so Hody, sei Twint eine Insel, denn die App funktioniere nur in der Schweiz – ganz im Gegensatz zu Kreditkarten oder Anbietern wie Apple Pay.

Sein Fazit: «Eine Million Nutzer lautet das Ziel von Twint bis Ende Jahr. Die bisherigen Nutzer-Zahlen aber sind enttäuschend – trotz erheblichem Marketingaufwand.» Bei all diesen Problemen sei es sehr zweifelhaft, ob Twint jemals zur Standardlösung für mobiles Bezahlen werde, ist Hody überzeugt.

«Der Nutzer braucht Zeit»

Twint-CEO Thierry Kneissler konterte die Kritik und rechtfertigte seine Strategie in einem eigenen Blog-Eintrag: «In den letzten Wochen konnten wir die Stabilität des Systems deutlich verbessern und wir werden weiterhin daran arbeiten. In einzelnen Fällen, zum Beispiel im E-Commerce, ist die Erfolgsquote von Twint bereits höher als diejenige von anderen Zahlungsmitteln». Dazu veröffentlichte Twint die neusten Nutzerzahlen: Von April bis bis Mitte Juli gab es kumuliert mehr als 600'000 Downloads, 375'000 Personen haben sich aktiv registriert. Ausserdem kommen pro Tag rund 2500 neue Nutzer hinzu. Hält dieser Trend an, zählt Twint bis Ende Jahr 800'000 Nutzer – was bedeutend weniger sind als die avisierte Million.

Entscheidender ist, wie intensiv die Nutzer ihre App nutzen. Und diese Zahlen sind tatsächlich bescheiden. Im Monat Juni gab es 257'000 Transaktionen mit Twint, die Hälfte davon ging von Nutzern aus. Das sind also lediglich 4100 Transaktionen pro Tag. Zum Vergleich: Mit Karten mit NFC-Technologie sind im Monat Juni insgesamt 5,6 Millionen Transaktionen getätigt worden – das sind rund 190'000 pro Tag und damit 46 mal mehr als bei Twint. Und selbst diese Zahlen sind im Vergleich zum gesamten Bezahlvolumen noch tief. Total gibt es in der Schweiz jeden Monat mehr als 20 Millionen Transaktionen mit Kredit-, EC- oder Prepaid-Karten, die Anzahl an Banküberweisungen liegt bei rund 238 Millionen (siehe Grafik).

Kneissler relativiert auch diesen Kritikpunkt: «Aus der Geschichte der Einführung von anderen Zahlungssystemen wissen wir, dass der Nutzer Zeit braucht, bis er ein neues Zahlungssystem intensiv nutzt. Bei den NFC-fähigen Karten hat es beispielsweise sieben Jahre gedauert, bis die Nutzerzahlen substanziell wurden.»

Der Beobachter nimmt diese Diskussion zum Anlass, Twint selbst zu testen.

Twint im Praxistest

Wer braucht Twint überhaupt?

Jeder, der interessiert ist an neuen Technologien und mit dem Handy bezahlen will. Wer zum Beispiel das Portemonnaie nicht dabei hat, die Karte zuhause vergessen hat oder ohnehin alle Geschäfte übers Handy abwickelt, der profitiert von dieser App. Die Technik hinter Twint funktioniert ähnlich wie bei einer EC-Karte, die Bezüge werden also direkt vom Konto belastet. Ausnahme ist die Prepaid-Version: Doch sogar Twint selber empfiehlt, die App nur in Verbindung mit einem Konto bei einer beteiligten Bank zu nutzen.

 

Wie funktioniert die Installation?

Im App-Store finden sich schon ein Dutzend unterschiedliche Twint-Apps, weil jede Bank, die mitmacht, ihr eigenes Twint lanciert und auch bewirbt. Wählen Sie hier die App Ihrer Bank aus. Anschliessend müssen Sie sich einmalig registrieren und die App mit ihrem Bankkonto verknüpfen. Dann kann es losgehen.

 

Wie hoch sind die Gebühren?

Twint ist für die Nutzer gratis und gebührenfrei. Wer 40 Franken überweist, dem werden auch 40 Franken belastet. Twint verdient, indem der Händler bei jeder Transaktion einen kleinen Prozentsatz abgibt.

 

Wie funktioniert die Bezahlung?

Twint kann unterschiedlich eingesetzt werden: an der Kasse, im Internet und für Geldüberweisungen.


Wir haben alle drei Vorgänge getestet:

1.) An der Kasse
Rund 60 Prozent der Twint-Transaktionen werden an Kassen, im Handel oder im Restaurant abgewickelt. Die zahlreiche Kritik von frustrierten Nutzern (Störungen und mangelde Performance) bestätigen sich beim Praxistest nicht: An fünf verschiedenen Kassen klappte die Bezahlung mit Twint einwandfrei. Der Bezahlvorgang dauerte auch nie länger als 15 Sekunden. Das Handy sollte aber schon vor der Zahlung bereit und die App gestartet sein. Zudem kann bei Coop beispielsweise die Supercard mit Twint gekoppelt werden, sodass die Punkte direkt bei der Bezahlung gutgeschrieben werden.

Fazit: Wer kontaktlos (NFC) mit seiner EC-Karte bezahlt, wird das wahrscheinlich auch weiterhin tun. Schneller bezahlen geht praktisch nicht. Wer aber noch keine solche Karte besitzt oder bislang mit Kreditkarte bezahlte, für den lohnt sich Twint. Wer aber bevorzugt mit Bargeld zahlt, wird dies auch in Zukunft machen. Es sei denn, er ist neugierig.

 

2.) Online-Shopping
Erst 10 Prozent der Twint-Interaktionen werden online abgewickelt. Trotzdem ist E-Commerce die grosse Hoffnung der Twint-Macher: «Praktisch alle Schweizer Bankkunden haben nun die Möglichkeit, von ihrem Konto aus auch ohne Kreditkarte mobil zu bezahlen. Dies ist ein wesentlicher Pfeiler für den künftigen Erfolg», ist Twint-CEO Thierry Kneissler überzeugt.

Der Testkauf beim Onlinehändler Digitec verlief reibungslos. Nach der Bestellbestätigung erscheint ein Fenster, in dem ein QR-Code zu sehen ist. Diesen Code muss mit der in der App integrierten Kamera gescannt werden, und schon ist die Bezahlung getätigt. Dauer des Vorgangs: 5 Sekunden.

Die Bestellung mit QR-Code.

Die Bestellung mit QR-Code.

Quelle: Screenshot Digitec


Fazit: Im Online-Shopping ist Twint praktisch, weil es sehr schnell und einfach funktioniert. Die Schwäche der Kreditkarte ist das Eingeben der Kreditkartendaten, während bei der traditionellen Rechnung häufig ein Aufpreis verrechnet wird.

 

3.) Geldüberweisung
Obwohl Twint mit dieser Funktion keinen Rappen verdient, ist es das beste Marketingargument: Noch nie war es so einfach, seinen Freunden Geld zu überweisen. Der Handykontakt muss in der App ausgewählt werden, dann können Beträge von bis zu 1500 Franken gesendet oder gefordert werden. Solche Überweisungen machen einen Drittel aller Twint-Interaktionen aus.

Fazit: E-Banking oder Einzahlungsscheine haben hier im Vergleich keine Chance. Wer einem Freund Geld schuldet, bietet Twint eine bequeme Lösung. Bedingung allerdings ist, dass die betreffende Person die App ebenfalls installiert.

Das bedeutet NFC

Bei NFC (Near Field Communication, Nahfeldkommunikation) kommunizieren das Zahlterminal und die Karte respektive das Mobiltelefon per Funk miteinander. Die Datenübertragung erfolgt verschlüsselt aus wenigen Zentimetern Entfernung. Der Kunde gibt die Karte nicht aus der Hand, sondern hält sie in die Nähe des Zahlgeräts. Erst bei Beträgen ab 40 Franken muss zusätzlich der PIN-Code eingegeben werden. Mehrfachbelastungen sollen bei einem Zahlungsvorgang nicht möglich sein, versichern die Betreiber. Geht die Karte verloren, sollte sie so schnell wie möglich gesperrt werden, um Missbrauch zu vermeiden.