«In der Schweiz hat es zum Glück noch nie Todesopfer gegeben»
Jeder dritte Campingplatz in der Schweiz ist hochwassergefährdet. Nehmen Betreiber und Behörden die Lage ernst genug? Oft sind Gäste nicht einmal informiert. Zum Beispiel in Eschenbach SG.
Veröffentlicht am 2. Juli 2021 - 12:01 Uhr
Der Gast sitzt beim Morgenkaffee neben seinem Wohnwagen, direkt am Bach, und ahnt nichts Böses. Dass Hochwassergefahr besteht, hat er nie gehört. «Dazu habe ich keine Informationen erhalten», sagt er. Der Camper aus Deutschland übernachtet in Eschenbach SG mitten in der roten Gefahrenzone, da, wo die Hochwassergefahr am grössten ist. Als er das hört, macht er erst mal grosse Augen.
Die Gefahr ist real. Auf dem Campingplatz Atzmännig könnte der Goldingerbach nach starken Regenfällen schnell zu einer tödlichen Gefahr werden. Die Wassermassen geraten am unteren Rand des Platzes in eine enge Röhre. Bei einem Hochwasser, wie es alle 30 Jahre vorkommen kann, stehen dann Teile des Platzes bis zu 1,5 Meter unter Wasser. Bei einem 300-Jahre-Ereignis sind es sogar 3 bis 4 Meter. Und das Fluchtgelände ist steil.
Ein Drittel der 440 Campingplätze in der Schweiz liegt in den gefährlichsten Hochwasserbereichen – zumindest stellenweise. Das hat eine Auswertung der «Sonntags-Zeitung» von 2019 ergeben. Kaum ein Betreiber warne seine Gäste, und manche seien sich der Gefahr gar nicht bewusst, schrieb die Zeitung. Das Bundesamt für Umwelt hält nur fest: «Campingplätze sollten grundsätzlich nicht in Gefahrengebieten liegen.» Und wenn, dann nur mit strengen Sicherheitsvorkehrungen.
Im Kanton St. Gallen, wo der Atzmännig-Camping liegt, scheint man das auch heute noch nicht so eng zu sehen. Von 19 Campingplätzen sind 16 ganz oder teilweise durch Hochwasser gefährdet. Handlungsbedarf sieht das kantonale Baudepartement dennoch kaum. Die Gefahrenkarten seien erst zwischen 2006 und 2012 erarbeitet worden. Die damals bestehenden Campingplätze «haben eine Bestandesgarantie», so das Amt. Zudem: Für die Sicherheit seien die Betreiber verantwortlich.
Strenger ist der Kanton Graubünden, wo zwölf Campingplätze zum Teil in der Gefahrenzone liegen. Plätze in der höchsten Gefahrenzone wurden aufgehoben. In der zweithöchsten müssen bauliche Schutzmassnahmen ergriffen werden.
Hinweise fehlen
Dafür wäre es auch beim Atzmännig höchste Zeit. Vor zwei Jahren forderten die Kantonsbehörden, der zu enge Durchlass des Bachs müsse durch eine Brücke ersetzt oder der Campingplatz verlegt werden. Die Gemeinde Eschenbach beteuerte, ein Massnahmenkonzept stehe kurz vor der Genehmigung. Doch passiert ist nichts.
Derzeit lässt die Gemeinde «die Situation durch ein spezialisiertes Ingenieurbüro beurteilen, um anschliessend geeignete Schutzvorkehrungen zu planen». Hinweise auf Hochwassergefahr fehlen auf dem Campingplatz – auch im öffentlich zugänglichen Teil mit einer beliebten Grillstelle. Schulklassen oder Familien würden im schlimmsten Fall nichts ahnend in der Überschwemmungszone bleiben.
Auch sonst ist im Hügelland am Atzmännig einiges im Argen. Teile des Campingareals liegen in der Naturschutzzone und dürften überhaupt nicht genutzt werden, darunter auch die am meisten gefährdeten Stellen direkt am Bach mit mehr als einem Dutzend fix installierten Wohnwagen. Der Platz in der Schutzzone wurde in jüngster Zeit sogar ausgebaut. «Die lokalen Behörden schauen hier einfach weg», kritisiert der SP-Lokalpolitiker Ivo Kuster. Der Betreiber des Campingplatzes, die Sportbahnen Atzmännig AG, werde wohl als wichtiger Arbeitgeber eingestuft.
Bei der Gemeinde heisst es dazu nur, der baurechtliche Sachverhalt im besagten Gebiet werde derzeit überprüft. Man sei zudem dabei, «die Gesamtsituation rund um den Campingplatz umfassend zu überprüfen» und die Rechtmässigkeit der Anlage und die Hochwasser-Gefahrenlage neu zu beurteilen.
Die grösste Gefahr
2020 gab es mehr Übernachtungen als je zuvor auf Schweizer Campingplätzen – rund fünf Millionen. Die Campingplätze an Fliessgewässern sind am meisten hochwassergefährdet, weil der Pegel sehr schnell steigen kann. Am grössten ist diese Gefahr im alpinen Gebiet, wo das Wasser von steilen Hängen herabkommt.
In den Abflussschneisen gibt es häufig nur kurze Vorwarnzeiten, hier seien Personen «an Leib und Leben gefährdet», schreibt das Tiefbauamt des Kantons Bern. Wie viele Berner Campingplätze in der Gefahrenzone liegen, weiss das Amt nicht. Die Aufsicht sei Sache der Gemeinden. In der höchsten Gefahrenzone sollen gar keine neuen Anlagen erstellt werden, in der zweithöchsten nur zurückhaltend. Zur Gefahrenprävention werden bauliche Massnahmen verlangt.
Wichtig wären gute Sicherheitskonzepte der Betreiber. Der Beobachter hat in einer Stichprobe die Verantwortlichen von 15 Campingplätzen an Fliessgewässern mit Fragen zu Sicherheitsvorkehrungen kontaktiert. Nur etwa die Hälfte hat reagiert.
- Der TCS-Camping in Flaach ZH wollte keine beantworten.
- Beim Camping Schaffhausen wussten die Pächter nichts von einem Schutzkonzept. Die Rheinwiese sei in den letzten 100 Jahren einmal überflutet worden. Hochwasser sehe man nicht als Gefahr.
- Aus Samedan GR hiess es, der Platz befinde sich nicht mehr in einer Gefahrenzone, seit der Bach umgeleitet und vertieft worden sei.
- Der Camping in Lütschental BE sei nur am Rand gefährdet, der Bach sei noch nie über die Ufer getreten.
- Die Campingbetreiber in Pontresina GR und Lauterbrunnen BE gaben an, über umfassende Schutzkonzepte zu verfügen.
- Und in Tujetsch GR hat man auf Mängel reagiert: Man darf dort nicht mehr direkt am Bach zelten, das ist nur noch ausserhalb der Gefahrenzone erlaubt.
Wie sieht es auf anderen Campingplätzen aus?
Hochwasserschutz sei auf Verbandsebene kein Thema, es gebe keine Leitlinien, sagt Swisscamps-Präsident Marcel Zysset. Viele Plätze lägen an einem See und seien deshalb als gefährdet eingestuft. Dort sei das Risiko gut kontrollierbar, der Wasserpegel könne nicht so schnell steigen wie an einem Bach. Zysset selber betreibt den Camping Aaregg am Brienzersee. «Wir haben mit den lokalen Behörden ein Schutzkonzept erarbeitet, das uns im Jahr 2005 vor grösseren Schäden bewahrt hat.» Zysset sagt: «In der Schweiz hat es zum Glück noch nie Todesopfer nach Hochwasserkatastrophen auf Campingplätzen gegeben.»
Anders im Ausland. In Spanien und Frankreich gab es Dutzende Tote nach Überschwemmungen. Im Wallis wäre es um ein Haar zur Katastrophe gekommen. 2018 donnerte nach einem Unwetter eine Schlammlawine haarscharf an einem Campingplatz im Val d’Anniviers vorbei. «Wir können froh sein, dass es keine Opfer gab», sagte damals ein Gefahrenexperte der «Sonntags-Zeitung». Auf Fragen des Beobachters reagierten die Walliser Kantonsbehörden nicht.
Keine Informationen bei gutem Wetter
Im Camping Atzmännig hatte man bisher Glück. In den gut 40 Jahren seit Bestehen habe es kein Hochwasser gegeben, sagt Roger Meier, Geschäftsführer der Sportbahnen, die den Campingplatz betreiben. Man verfüge aber über ein Konzept für den Notfall. Zur Sicherheitslage generell verweist er auf die derzeit stattfindenden Abklärungen der Gemeinde.
Der Platz ist vor allem mit Dauergästen belegt, die meisten Wohnwagen sind fix. Einer dieser Mieter bestätigt, das Schutzkonzept bekommen zu haben. Anders ist es bei temporären Aufenthaltern. «Diese Gäste informieren wir nicht explizit über die Hochwassergefahr, solange das Wetter gut und keine Gefahr in Aussicht ist», sagt Meier. Eine riskante Strategie: Der deutsche Feriengast blieb nach eigenen Angaben mehrere Wochen in Eschenbach. In diesem Zeitraum ist es wiederholt zu Gewittern mit Starkregen gekommen.
Das Naturgefahrenportal des Bundes informiert über die aktuelle Lage und wird fortlaufend von mehreren Gefahrenfachstellen wie MeteoSchweiz oder dem Schweizerischen Erdbebendienst der ETH Zürich aktualisiert. Gefahrenkarten zeigen hingegen, welche Gebiete potenziell durch Naturgefahren bedroht sind.
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