Knatsch um Kassenzettel
Lidl verzichtet demnächst auf das automatische Ausdrucken von Kassenzetteln. Auch Coop führt diese Massnahme in einzelnen Filialen ein. Das sorgt für Unmut.
aktualisiert am 21. Dezember 2016 - 16:20 Uhr
Er ist klein, weiss, unscheinbar – und liefert dennoch erstaunlich viel Diskussionsstoff: der Kassenzettel. Die Ankündigung von Lidl, ab Ende Januar 2017 in seinen Schweizer Filialen auf das automatische Ausdrucken der Kassenbons zu verzichten, hat sehr viel Feedback in den Online-Kommentarspalten ausgelöst. Ebenso das Vorhaben von Coop, künftig in Coop-Pronto- und «Coop to go»-Shops den Kassenzettel nur mehr auf Verlangen anzubieten.
Wie schon bei der Einführung einer Gebühr für Raschelsäckli bei einzelnen Grossverteilern ist auch jetzt eine grosse Skepsis spürbar.
Nur die Spitze des Abfallbergs
Bald kosten Raschelsäckli an der Ladenkasse überall fünf Rappen. Dabei wäre der Handlungsbedarf anderswo viel grösser.
Lidl rechnet damit, dass dank dem «Kassenzettel auf Verlangen» 30 Tonnen weniger Papierabfall anfallen werden. Bei den Online-Kommentatoren stösst dies allerdings auf wenig Gehör. Die Unternehmen würden gescheiter bei den Werbeprospekten einsparen, die in den Läden herumliegen oder in den Briefkästen landen würden, so der Tenor.
Der Unmut über Neuerungen beim Kassenzettel kommt nicht von ungefähr. In Deutschland ergab diesen Sommer eine repräsentative Umfrage des Instituts myMarktforschung.de, dass drei Viertel jener Supermarkteinkäufer, die immer den Kassenbon verlangen, – das sind vor allem ältere Kunden – im Nachhinein die angegebenen Preise noch einmal mit kritischem Auge betrachten.
In der Schweiz verhält sich das offensichtlich nicht viel anders. Laut Geschäftsleiterin Sara Stalder erhält die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) regelmässig Beschwerden, dass auf Kassenzetteln ein Produkt doppelt oder mehrfach aufgeführt oder dafür ein höherer Kaufpreis berechnet wurde. «Weil es sich nicht um Einzelfälle handelt, gibt es mittlerweile auch Kunden, die dahinter sogar eine Systematik zur Umsatzsteigerung vermuten», so Stalder.
Lidl und Coop reagieren beschwichtigend. Die Sprecherinnen der Unternehmen halten beide auf Anfrage fest, dass der Kassenzettel nicht abgeschafft werde. Kunden können weiterhin stets einen Ausdruck wünschen. Coop betont zudem, dass die Neuerung einzig in Coop-Pronto-Shops und «Coop to go»-Filialen umgesetzt werde. Dort wird damit auf regelmässige Rückmeldungen von Kunden reagiert, die angeregt hatten, vor allem bei kleineren Einkäufen auf den automatischen Ausdruck zu verzichten. In den über 850 Coop-Supermärkten wird der Kassenzettel dagegen wie bis anhin automatisch ausgedruckt.
Die Migros hält sich beim Thema «Kassenzettel auf Verlangen» noch zurück. Es seien rund um den Kassenbon Anpassungen an Trends und Entwicklungen im Gange. «Gerade im Kassenbereich müssen aber solche Änderungen hohen Anforderungen genügen, bevor sie umgesetzt werden», so eine Sprecherin. Auch wenn es sich «nur» um das vermeintlich simple Ausdrucken oder Nicht-Ausdrucken eines Kassenzettels handelt. Zu wichtig sei es, Fragen rund um Mehrwertsteuer, Umtausch, Garantie sowie rechtliche Themen so abzuklären, damit die Massnahme schliesslich allen Kunden diene.
Der Detailhandel im Wandel
In welche Richtung wird sich der Detailhandel zukünftig entwickeln? Weltweit werden etliche Innovationen getestet. Was sich effektiv etablieren wird, ist aber noch ungewiss. Klar ist: Immer mehr Geschäfte setzen auf digitale Helfer – sei es für persönliche Rabattcoupons und Produktempfehlungen oder als Navigationshilfe im Laden.
Der jüngste Streich stammt von Amazon: Der US-Onlinehändler wird Anfang 2017 in Seattle einen 180 Quadratmeter grossen Laden ohne Kasse eröffnen. Über eine App erhalten die Kunden eine Zugangsberechtigung für das Geschäft, wo sie nach Belieben über Sensoren gesicherte Lebensmittel aus den Gestellen in ihre Tasche packen können. Ist der Einkauf beendet, liefert die App die digitale Rechnung, der fällige Betrag wird direkt vom persönlichen Amazon-Konto abgezogen.
Dass besonders mit der Gestaltung der Kassenbereiche experimentiert wird, kommt nicht überraschend. Sie sind kostenintensiv für die Betreiber und des Öfteren Ursache längerer Wartezeiten für die Kundschaft.
Garantieschein jederzeit abrufbar
Bereits vermehrt eingesetzt wird im deutschsprachigen Raum der digitale Kassenzettel. Käufer erhalten die Quittung nach dem Einkauf per E-Mail oder auf das Smartphone zugestellt. Bei der deutschen Supermarktkette Real können Kunden beispielsweise seit vergangenem Sommer direkt über eine firmeneigene App bezahlen, die auch einen digitalen Kassenbon ausstellt. Das Feedback der Kunden sei bislang ausschliesslich positiv, sagt ein Real-Sprecher auf Anfrage des Beobachters: «Positiv bewertet wird vor allem die Möglichkeit, einen Online-Bon für Garantiefälle jederzeit abrufbar zu haben und diesen nicht im Portemonnaie oder auf dem Schreibtisch zuhause suchen zu müssen.»
Auch in der Schweiz können registrierte Migros-Cumulus- bzw. Coop-Supercard-Karten-Nutzer auf eigenen Wunsch online auf ihre Quittungen zurückgreifen. Die Kundschaft schätze diesen Zusatzservice, heisst es bei Coop. In der Freiwilligkeit sieht denn auch Real den Grund, warum Kritik der Kunden bislang ausgeblieben sei. SKS-Geschäftsleiterin Sara Stalder teilt hingegen jene Befürchtungen, die diesbezüglich in diversen Online-Kommentaren geäussert wurden: «Die Erfahrung zeigt, dass nach Überschreiten einer kritischen Grösse die Wahlfreiheit für die Kunden abgeschafft wird.» Dann würde nur noch der Kassenbon per E-Mail bestehen bleiben.
Bloss ein Vorwand, um Daten zu sammeln?
An den elektronischen Kassenzetteln wird schon länger Kritik geäussert. Sie zielt darauf ab, dass das eigentliche Ziel der Händler sei, mehr Daten über die Kunden zu sammeln. Der digitale Kassenzettel helfe dabei, einen anonymen Laufkunden identifizierbar zu machen und dessen Kaufverhalten zu analysieren, um mit diesen Daten später unter anderem zielgerichtetere Werbung ausspielen zu können. Den Vorwurf der Personalisierung weist Real für seine App indes zurück: «Wir erheben bei der Nutzung keine personenbezogenen Daten.»
Dass für die Zukunft des Detailhandels – wie in so vielen anderen Branchen auch – das Zauberwort «Big Data» heisst, ist indes unbestritten. In Deutschland will Lidl laut der «Lebensmittelzeitung» einen zweistelligen Millionenbetrag in moderne Technik investieren, die das Verhalten der Kunden systematisch analysiert. Mit der umfassenden Analyse von Kassenbons soll eruiert werden, welche Produkte wann und mit welchen anderen Produkten zusammen gekauft wurden. Für die Auswertung sollen zudem sogar Wetterinformationen beigezogen werden.
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